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Unionsstreit
"Seehofer ist schon jetzt eine lahme Ente"

Angela Merkel habe als Vorsitzende der Union weiterhin die Zügel in der Hand, sagte der Politologe Gero Neugebauer im DLF. Die Gesamtpartei sehe immer noch sie als die Favoritin für die nächste Kanzlerkandidatur - und nicht Horst Seehofer (CSU). Mit der Ankündigung, 2018 nicht mehr antreten zu wollen, habe er sich bereits verabschiedet.

Gero Neugebauer im Gespräch mit Ann-Kathrin Büüsker | 23.11.2015
    Politologe Gero Neugebauer
    Angela Merkel habe die Partei so umgebaut, dass da kein Rivale auftauche, sage der Politikwissenschaftler Gero Neugebauer. (picture alliance / dpa / Freie Universität Berlin)
    Ann-Kathrin Büüsker: Unterstützung für die Kanzlerin aus den anderen Parteien, während die CSU seit dem Parteitag am Wochenende doch auf deutlichem Kollisionskurs zur Kanzlerin ist. Darüber möchte ich sprechen mit dem Politikwissenschaftler Gero Neugebauer. Guten Abend, Herr Neugebauer!
    Gero Neugebauer: Guten Abend nach Köln!
    Büüsker: Herr Neugebauer, sollte Angela Merkel bei diesen Positionen, die sie vertritt, über einen Wechsel zur SPD nachdenken?
    Neugebauer: Es gab ja schon SPD-Politiker, die sie vereinnahmt haben. Insofern wäre das natürlich auch die Lösung des Problems für die SPD, sie würde in den Umfragen besser dastehen. Aber sie ist nur eine Schein-Sozialdemokratin; sie ist weiterhin eine Christdemokratin und als Christdemokratin ist sie Vorsitzende einer Partei, die mit der CSU ja nicht nur ein Bündnis auf Basis eines Koalitionsvertrages hat, sondern auch auf der Basis einer, wie man immer behauptet, Wertegemeinschaft oder auch Interessengemeinschaft. Aber gegenwärtig scheint vielleicht nur noch der Status der Zweckgemeinschaft erfüllt zu sein.
    "Er muss der Partei die Glaubwürdigkeit erhalten"
    Büüsker: Wie beurteilen Sie denn das, was da am Wochenende passiert ist, Seehofers Strafpredigt für Merkel? Hat er damit de facto den Bruch in der Union eingeleitet?
    Neugebauer: Nein, das hat er wohl nicht. Wenn, dann nicht bedacht. Er war wohl sauer darüber, dass Frau Merkel keine Rede oder keine Ankündigung gemacht hat, die seinen Erwartungen entsprochen hat. Der Fehler muss aber bei ihm gelegen haben, denn üblicherweise macht man über solche Sachen auch ein paar Vorabreden. Das heißt, Seehofer hätte fragen müssen, was habe ich denn von Dir zu erwarten, und sie hätte ihm auch sagen können, das und das hast Du zu erwarten. Insofern war er da taktisch unklug. Aber ich denke, er hat eher nach innen geredet, das heißt auf die CSU hin. Er hat ja nicht nur ein Problem mit Herrn Söder; er hat ja mehrere Probleme. Wenn Sie sehen, dass die CSU in den Umfragen schlecht dasteht; er will sie nach vorne bringen. Er will weiterhin, dass sie in der Bundesregierung eine bestimmte Rolle spielt, und zwar eine, wo er nachweisen kann, dass bayerische Interessen vertreten werden. Und er muss natürlich auch verhindern, dass sich rechts von der CSU auf Dauer eine Partei etabliert. Aber wenn die CSU es heute schon nicht mehr erreichen kann, dass, wenn jemand CSU sagt, er auch Bayern meint, und wenn jemand Bayern sagt, auch CSU meint, dann sind die Zeiten für ihn schlecht. Aber er hat keine andere Wahl: Er muss der Partei die Glaubwürdigkeit erhalten als alleinige Repräsentantin, und das bedeutet, dass in Konfliktsituationen der eigene Anspruch notfalls auch gegen die CDU verteidigt werden muss, um ihr Profil und um ihr Selbstverständnis zu behaupten.
    Büüsker: Das heißt, Seehofer hat am Wochenende alles richtig gemacht?
    Neugebauer: Er hat alles richtig gemacht, wenn man einen großen Glasdeckel oder einen großen Deckel überstülpt und sagt, Bayern ist Deutschland und Deutschland ist die Welt und Bayern ist alles in sich zusammen. Aber bezogen auf die Partei, auf die Parteiehe, hätte ich jetzt fast gesagt, auf das Parteienbündnis Union hat er ziemlich viel falsch gemacht, insbesondere deshalb, weil er den Ruf verspielt hat, als seriöser Partner der Union zu gelten und als seriöser Partner auch für Frau Merkel, der ihr in vergangenen Krisen auch stets aus der Patsche geholfen hat.
    Büüsker: Wo sehen Sie die Union dann jetzt nach dem Wochenende?
    Neugebauer: Das ist schwierig zu beurteilen, weil wir eigentlich kein Urteil der Wähler da haben. Aber wenn man es so sieht, die CDU stellt weiterhin die Kanzlerin, Frau Merkel hat die Richtlinienkompetenz für die Politik, der müssen die CSU-Minister folgen, die Kanzlerin hat allerdings Vertrauen verloren, Seehofer holt auf bei der Beurteilung der Flüchtlingspolitik, und wenn Frau Merkel sich nach Umfragen richtet, dann müsste sie sich deshalb Sorgen um ihre Reputation als erfolgreiche Krisenmanagerin machen. Aber auf der anderen Seite: Sie repräsentiert die Union. Sie repräsentiert die Bundesregierung. Die Gesamtpartei sieht immer noch sie als die Favoritin für die nächste Kanzlerkandidatur an und keinen anderen und erst recht nicht Herrn Seehofer. Und Herr Seehofer hat sich eigentlich mit der Ankündigung, 2018 nicht mehr antreten zu wollen, aus der Politik bereits verabschiedet. Unfreundlich gesagt: Er ist schon jetzt eine lahme Ente. Womit will er denn drohen? Will er mit dem Auszug der CSU aus der Regierung drohen? Dann wird die eben erweitert um SPD-Minister und CDU-Minister. Will er vielleicht der Koalitionsgemeinschaft sozusagen einen Dämpfer aufdrücken, indem er sagt, die CSU-Landesgruppe in Berlin wird demnächst im Parlament eine eigenständige Liga vertreten? Das trifft wiederum nicht auf das Verständnis der Landesgruppe der CSU.
    Ich denke, er hat dem Ansehen der Union einen schlechten Dienst erwiesen, weil die Partei insgesamt als zerstritten erscheint und damit ihre Führungsfähigkeit auch angezweifelt wird. Im Kontext der Probleme, die Frau Merkel hat mit der Aufrechterhaltung ihrer Führungsfähigkeit ist das eine Schwächung, und die kann nach außen losgehen, weniger hier in Deutschland, vielleicht zeigt sich das bei den Landtagswahlen. Aber in anderen europäischen Staaten wird man sich ins Fäustchen lachen und sagen, mit welcher Autorität kommt jetzt eigentlich die Merkel daher, wenn sie nicht mal die eigene Partei zusammenhalten kann.
    "Sie hat als Parteivorsitzende weiterhin die Zügel in der Hand"
    Büüsker: Was bedeutet das denn dann jetzt auch für Angela Merkels Machtposition? Wir hatten de Maizière, der gegen sie geschossen hat, wir hatten Schäuble, der sich hinter de Maizière gestellt hat, wir haben jetzt Seehofer, der wieder gegen sie schießt. Hat Angela Merkel überhaupt noch die Zügel in der Hand?
    Neugebauer: Sie hat als Parteivorsitzende weiterhin die Zügel in der Hand, weil sie die Partei so umgebaut hat, dass da kein Rivale auftaucht. Sie hat in der Politik die Zügel nicht mehr so straff in der Hand, wie sie es wünscht, weil sie vergessen hat, bei ihrer Ankündigung alle Akteure so einzubinden, dass sie hätte sagen können, ihr habt meinem Konzept zugestimmt, nun haltet euch auch bitte daran. Und sie hat auch, wenn man so will, einen Verlust an Glaubwürdigkeit erreicht, der daran zweifeln lässt, ob sie es auch mit den zu ihrer Verfügung stehenden Mitteln, beispielsweise mit der Richtlinienkompetenz erreicht, einen Ministerpräsidenten, der ja eigentlich nur zur Bundestreue verpflichtet ist, auf Linie zu bringen.
    Aber solange da kein Konkurrent auftaucht, solange die Union nicht sagt, wir unterstützen jetzt Frau XY als Konkurrentin zu Frau Merkel oder Herrn Soundso, denn auch das Nennen von Herrn Schäuble oder anderen sind ja eigentlich bisher immer nur, sagen wir, Medienerzählungen, solange sitzt Frau Merkel noch fest im Sattel. Da kann ein Pferd scheuen, da kann mal vielleicht ein Zügel runterfallen. Ich denke, dass sie die wieder aufheben wird. Und wenn man sieht: Sie hat ja die Geschwindigkeit schon geändert. Sie hat ja schon Konzepte geändert. Sie ist auf die CSU zugegangen. Und insofern ist es jetzt an der CSU zu sagen, wir sollten mal nicht übertreiben. Aber das wird dann Seehofer noch den Rest Reputation kosten, den er glaubte, bis ans Ende seiner Amtszeit retten zu können.
    Büüsker: Der Politikwissenschaftler Gero Neugebauer live hier im Deutschlandfunk. Herr Neugebauer, vielen Dank für das Gespräch.
    Neugebauer: Gern geschehen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.