Montag, 13. Mai 2024

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Ceyhun: Netanjahu muss endlich handeln

Nach Ansicht des SPD-Politikers Ozan Ceyhun sollte die Eiszeit zwischen Israel und der Türkei schnellstmöglich beendet werden. Dafür müsse sich aber die Netanjahu-Regierung entschuldigen für die Militäraktion vor gut einem Jahr. Ceyhun, der als Berater für die türkische Regierung arbeitet, hofft in dem aktuellen Konflikt auf die Mithilfe der USA.

Ozan Ceyhun im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 09.09.2011
    Tobias Armbrüster: Die Beziehungen zwischen der Türkei und Israel befinden sich seit einer Woche auf einem neuen Tiefstand. Die Türkei hat am vergangenen Freitag den israelischen Botschafter ausgewiesen, Ankara hat darüber hinaus die militärische Zusammenarbeit mit Israel auf Eis gelegt. Und Regierungschef Erdogan hat jetzt außerdem angekündigt, dass sein Land künftige Schiffstransporte in Richtung Gazastreifen mit der Marine begleiten werde. Hintergrund für diese scharfen Töne ist der Einsatz von israelischen Spezialkräften vor gut einem Jahr. Dabei kamen an Bord eines Hilfstransports neun Aktivisten ums Leben. Die Türkei wartet seitdem auf eine Entschuldigung Israels, aber die ist bislang ausgeblieben.

    Ich habe über diesen Konflikt vor dieser Sendung mit Ozan Ceyhun gesprochen. Er war Abgeordneter der SPD im Europaparlament, heute arbeitet er unter anderem als Regierungsberater in seiner alten Heimat, in der Türkei. Und ich habe ihn zunächst gefragt, wie lange die türkische Regierung diesen harten Kurs gegenüber Israel noch durchhalten wird.

    Ozan Ceyhun: Ich denke, das ist für Ankara nicht so schwer durchzuhalten, weil Ankara dafür die Unterstützung der Bevölkerung hat, und so wie es aussieht im Nahen Osten sehr viele Hauptstädte auch Ankara unterstützen. Aus diesem Grund, glaube ich, ist das kein großes Problem, und wie ich die Amerikaner beobachte, die Amerikaner haben auch ein großes Interesse daran, noch mal eine Lösung für den Konflikt zu finden, und aus diesem Grund gehen sie mit Ankara sehr vorsichtig um.

    Armbrüster: Macht diese Eiszeit zwischen der Türkei und Israel, macht die denn politisch Sinn?

    Ceyhun: Grundsätzlich erst mal nicht. Wenn man natürlich an das Ostmittelmeer denkt und wenn man daran denkt, dass Türkei und Israel gerade in diesem Gebiet gemeinsam mehr erreichen können, dann würde ich sagen, es wäre viel sinnvoller, wenn man diesen Konflikt endlich beenden könnte.

    Armbrüster: Können wir dann sagen, dass Erdogan, der Regierungschef in der Türkei, überreagiert hat mit dieser Eiszeit, mit diesem Ausweisen des israelischen Botschafters?

    Ceyhun: Ich glaube, da wäre ich vorsichtig, das zu behaupten, weil die Türkei sehr, sehr lange auf eine Entschuldigung seitens Israel gewartet hat. Sie haben ja eben beschrieben, dass neun Menschen wirklich nach meiner Meinung auch bei einer Militäraktion von Israel, total unnötigen Militäraktion, umgebracht worden sind, und die Türkei hat sehr, sehr lange darauf gewartet, dass Israel, auch unter Druck von den USA, endlich sich entschuldigen würde, und das war leider nicht der Fall. Und dann blieb auch innenpolitisch für den türkischen Ministerpräsidenten nicht mehr viel übrig.

    Armbrüster: Ist die Stimmung in der Türkei also gegen Israel?

    Ceyhun: Auf jeden Fall, und gerade deswegen sollte Israel sehr vorsichtig sein. Türkei war immer ein israel- und judenfreundliches Land, und ich hoffe, dass es auch weiter so bleibt. Israel ist für mich sogar zweitrangig. Für mich sind die Menschen, die Juden, viel wertvoller. Also ich hoffe, dass alles so bleibt. Aber Israel riskiert einiges. Ich glaube, es wäre viel sinnvoller, wenn Israel wirklich endlich sich entschuldigen könnte, damit man auch weiter in diesem Gebiet all diese Probleme einfach weghaben kann.

    Armbrüster: Israels Ministerpräsident Netanjahu hat nun in dieser Woche bereits gesagt, er würde der Türkei die Hand zur Versöhnung ausstrecken und Israel respektiere die Menschen in der Türkei und wolle auch, dass sich die Beziehungen verbessern. Reicht so etwas nicht aus?

    Ceyhun: Das Problem ist, glaube ich, die Netanjahu-Regierung, zurzeit in Tel Aviv, die sind einfach unfähig, mit dieser Situation umzugehen. Auch die Opposition in Israel kritisiert ja die eigene Regierung und wirft ihr vor, dass eigentlich die Regierung in Tel Aviv vieles verursacht hätte. Livni hat, glaube ich, gestern einige Äußerungen gemacht. Und ich würde sagen, es reicht allein nicht, dass er immer wieder Gleiches sagt; er muss handeln!

    Armbrüster: Und handeln heißt?

    Ceyhun: Das heißt, dass die Hand wirklich gesehen wird, dass sie angeboten wird, nicht nur über die Hand gesprochen wird.

    Armbrüster: Viele Beobachter außerhalb der Türkei sagen jetzt, dass die Türkei diesen Moment sehr geschickt nutzt. Sie will sich sozusagen stärker als Regionalmacht im Nahen Osten profilieren und weniger als Kandidat für die Europäische Union. Ist da was dran?

    Ceyhun: Ja, gut, ich würde es anders formulieren, indem ich einfach sagen muss, Türkei war da, als es in Libyen für die Menschen sehr schlecht ging, Türkei hat viele rausgeholt. Türkei war da, als in Ägypten Oppositionelle Hilfe gebraucht haben. Türkei war da, als in Tunesien Oppositionelle gegen einen Diktator Hilfe gebraucht haben. Und Türkei hat alles ohne die Europäische Union gemacht, da gab es wirklich keine Abstimmung, aber war auch nicht notwendig, weil irgendwie die Europäische Union nicht in der Lage war, mit diesen neuen Ereignissen in vielen Staaten um das Mittelmeer herum umzugehen. Und aus diesem Grund glaube ich, da ist was dran, was Sie gesagt haben.

    Armbrüster: Wird die Europäische Union also unwichtiger für die Türkei?

    Ceyhun: Auf jeden Fall! Da muss die Europäische Union wirklich aufpassen. Wenn sie an der Türkei Interesse hat und wenn sie glaubt, dass die Europäische Union die Türkei brauchen würde, woran ich auch selbst glaube, dann müsste die Europäische Union einen Weg finden, wie sie mit der Türkei ehrlicher und vielleicht gewissermaßen effektiver umgehen kann.

    Armbrüster: Das heißt, Sie sehen hier einen deutlichen Ruck sozusagen weg von der Europäischen Union, dass die Türkei auch eigentlich gar keine besondere Rücksicht mehr nimmt auf das, was sozusagen die Menschen in der EU denken über beispielsweise so eine Aktion, wie die Ausweisung des israelischen Botschafters?

    Ceyhun: Sagen wir so: Wenn die Türkei in Libyen alleine Tausende Menschen rausholt, oder wenn sich die Türkei in Ägypten ganz alleine mit der ägyptischen Opposition gemeinsam Gedanken macht, wie es weitergehen sollte, und in all diesen wichtigen Ländern die Europäische Union sehr passiv geblieben ist, dann natürlich hat die Türkei oder die türkische Bevölkerung auch sehr wenig Interesse daran, was mit der Europäischen Union gemeinsam in Zukunft gemacht werden könnte, wenn sie feststellen, dass es ohne die Europäische Union auch gehen kann.

    Armbrüster: Ich würde gerne noch einmal zurückkommen auf die Beziehungen zwischen der Türkei und Israel. Die waren ja über lange Jahre sehr intensiv, sehr eng. Jetzt auf einmal der Bruch. Braucht die Türkei Israel nicht als Handelspartner?

    Ceyhun: Das glaube ich nicht. Türkei braucht jeden in dieser Region als Handelspartner und, denke ich, auch als Partner in jeder Hinsicht. Gerade Israel ist für die Türkei sehr wichtig und ich habe auch eine große Hoffnung, dass die USA dies ganz genauso betrachtet und Notwendiges unternimmt. Die Amerikaner sind momentan ziemlich intensiv daran, bei dieser Angelegenheit aktiv eine Lösung zu finden, und ich bin auch sehr optimistisch.

    Armbrüster: Sie glauben also, dass die USA auf der Seite der Türkei sind?

    Ceyhun: Nein. USA ist auf der Seite bei beiden Partnern. USA hat zwei wichtige Partner dort, nämlich ein Land, die Türkei, und ein anderes, Israel, und die Amerikaner sind sehr, sehr empfindlich, sehr sensibel im Moment, was ihre Politik in diesem Gebiet betrifft, und ich beobachte es, ich rede mit ihnen und ich sehe, dass sie momentan wirklich ziemlich intensiv in Ankara und Tel Aviv unterwegs und dran sind.

    Armbrüster: Herr Ceyhun, das was Sie jetzt gesagt haben, das klingt für deutsche Hörer wahrscheinlich in weiten Teilen sehr typisch türkisch, man könnte möglicherweise auch sagen nationalistisch im türkischen Sinne. Wie kommt das bei Ihrer Partei in Deutschland an, bei der SPD?

    Ceyhun: Was ich bis jetzt gesagt habe, da sehe ich nichts Nationalistisches. Also das wäre eine Betrachtungsweise, dass man nur mit Vorurteilen meine Äußerungen hören würde. Ich habe ja ganz deutlich gemacht, dass ich für Freundschaft zwischen Israel und Türkei bin. Aber wenn es um die Europäische Union geht, sage ich auch als deutscher Staatsangehöriger ganz deutlich, diese Passivität der Europäischen Union in dieser Region ist nicht gut für die Europäische Union, und aus diesem Grund kann ich auch die Türkei verstehen, wenn die Türkei zurzeit die Europäische Union nicht braucht, und das kann ich meinen Genossen sehr gut schildern, glaube ich.

    Armbrüster: Ozan Ceyhun war das, SPD-Politiker und außerdem Berater der türkischen Regierung in Ankara.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.