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"Da sind die Franzosen einfach gut, auf dieser Klaviatur zu spielen"

Der Wissenschaftler Henrik Uterwedde erklärt, warum die Franzosen bei der Besetzung internationaler politischer Ämter oft "einen Tick" besser sind als die Deutschen. Außerdem sagt er, dass Frankreich bei der Ausarbeitung von Lösungen zur Euro-Rettung durchaus engagierter gewesen sei als die Bundesrepublik.

Henrik Uterwedde im Gespräch mit Friedbert Meurer | 19.05.2011
    Friedbert Meurer: Ist er schuldig, oder nicht schuldig? Wahrscheinlich morgen wird ein Gericht in New York noch einmal darüber befinden, ob der ehemalige Direktor des Internationalen Währungsfonds, Dominique Strauss-Kahn, das Gefängnis in New York, in dem er einsitzt, gegen Kaution und Auflagen verlassen darf. Ein Urteil aber, das wird dauern, vielleicht sogar Jahre, und Dominique Strauss-Kahn kam deswegen zur Einsicht, dass er so lange nicht warten kann. Heute Morgen erklärte er seinen Rücktritt als Direktor des IWF.

    Dass Dominique Strauss-Kahn als IWF-Chef zurückgetreten ist, das hat kaum jemanden überrascht. In den letzten Tagen hatte ja schon eine muntere Debatte darüber begonnen, wer kann und soll Nachfolger an der Spitze des Internationalen Währungsfonds werden. Die Europäische Union reklamiert den Posten wieder für Europa, gerade jetzt in Zeiten von Euro-Rettungsfonds und Hilfsaktionen. Aber der Rücktritt von Dominique Strauss-Kahn eröffnet den sogenannten Schwellenländern jetzt die Chance, die europäische Bastion an der Spitze des IWF zu stürmen.

    Die Nachricht, dass Dominique Strauss-Kahn in New York verhaftet worden ist, weil er versucht haben soll, eine Hotelangestellte zu vergewaltigen, sie hat in Frankreich regelrecht für Fassungslosigkeit gesorgt. Strauss-Kahn war nicht nur Direktor des IWF; der sozialistische Politiker galt ja als aussichtsreicher Herausforderer von Amtsinhaber Nicolas Sarkozy bei den Präsidentschaftswahlen im nächsten Jahr. Die nationale Ehre ist jetzt angekratzt, nun will Paris wenigstens den prestigeträchtigen Job in Washington für sich retten.

    Professor Henrik Uterwedde forscht in Ludwigsburg beim Deutsch-Französischen Institut der Uni Stuttgart die Ökonomie, Gesellschaft und Politik Frankreichs. Bei uns ist er jetzt am Telefon. Guten Tag, Herr Uterwedde.

    Henrik Uterwedde: Guten Tag, Herr Meurer.

    Meurer: Wie sehr ist das für Frankreich eine Frage der nationalen Ehre, dass der nächste Direktor des IWF wieder aus Frankreich kommt?

    Uterwedde: Ja, das würde ich jetzt nicht ganz so hoch hängen. Natürlich hat Frankreich immer wieder in den vergangenen Jahrzehnten Persönlichkeiten hervorgebracht, die solche internationalen Spitzenpositionen besetzt haben. Allein beim IWF war es ja so, dass vier der elf europäischen Chefs in den letzten Jahrzehnten Franzosen waren. Also insofern würde man wahrscheinlich es nicht ganz ungern sehen, wenn jetzt nach dem Rücktritt von Strauss-Kahn eine Französin sozusagen für Europa ins Rennen gehen könnte. Und mit Christine Lagarde gibt es eben auch eine hervorragende Kandidatin, wie das schon gesagt worden ist. Ob man da jetzt gleich sozusagen mit der nationalen Ehre kommen muss, das würde ich jetzt mal dahingestellt sein lassen. Ich glaube, die Franzosen haben einfach noch diesen Schock zu verdauen, auf verschiedenen Ebenen.

    Meurer: Und das ist keine Frage der nationalen Ehre, was da in New York passiert ist, dass ein künftiger, fast Staatspräsident Frankreichs in Handschellen der internationalen Öffentlichkeit vorgeführt wird?

    Uterwedde: Ja gut, das ist natürlich ein Schock. Nun er war bis jetzt nicht Kandidat, noch nicht mal zur Kandidatur bei seiner Partei. Insofern: es ist ein Schock. Auch die Bilder, auch die unterschiedlichen Kulturen der Justiz, die sind ja sehr, sehr stark so empfunden worden. Dieses öffentliche Vorführen von jemand, der bislang nur beschuldigt ist, noch nicht verurteilt, das hat schon sehr tiefe Wunden hinterlassen und da wird man auch einige Zeit brauchen, um sich Gedanken zu machen, in verschiedener Hinsicht.

    Übrigens, auch die Frage, wie öffentliche Medien eigentlich mit dem Privatverhalten von Politikern umgehen sollen. Bislang war man in Frankreich dort von einer äußersten Diskretion. Das wird jetzt hier und dort auch leise in Zweifel gestellt, ob das so der Weisheit letzter Schluss ist. Und ansonsten, denke ich mal, wird Frankreich auch darüber hinwegkommen. Insofern sehe ich hier die nationale Ehre nicht wirklich in Gefahr, wenn sich der Schock erst mal gelegt hat.

    Meurer: Jetzt hat Frankreich, wie Sie eben selbst sagten, viermal den IWF-Direktor gestellt und zurzeit ja auch den Präsidenten der Europäischen Zentralbank in Gestalt von Jean-Claude Trichet. Wie schaffen das die Franzosen eigentlich, diese Jobs zu ergattern?

    Uterwedde: Also ich glaube, dass sie wie alle Nachbarstaaten, auch wie Deutschland, immer wieder, sagen wir mal, hervorragende Politiker mit einem starken Talent, auch mit hervorragender Sachkenntnis haben, dass sie vielleicht darüber hinaus einfach auch Personen haben und einen Tick besser sind als wir zum Beispiel, Personen hervorzubringen, die dann eben auch noch auf dem internationalen Parkett ein entsprechendes Geschick und diplomatische Fähigkeiten hervorbringen, die dann den kleinen Unterschied machen.

    Ich will ja gar nicht niemandem zu nahe treten, aber Peer Steinbrück hat da sicherlich gegenüber Christine Lagarde einen kleinen Nachteil, und deswegen wird er auch nicht mehr in der ersten Reihe genannt. Da sind die Franzosen einfach gut, auf dieser Klaviatur zu spielen, und das ist ja auch durchaus zum Nutzen eigentlich oft der internationalen Institutionen ausgegangen, nehmen Sie die Rolle von Trichet, oder auch die Rolle von Strauss-Kahn in seiner bisherigen Amtszeit im IWF.

    Meurer: Steinbrück hätte nicht die Kavallerie gegen die Schweiz verbal auffahren sollen.

    Uterwedde: Zum Beispiel.

    Meurer: Das war ja ein bekanntes Zitat. – Christine Lagarde, die französische Finanzministerin, ein bisschen erinnern wir uns noch daran, dass einige hier in Deutschland sagten, sie neidet uns unsere Exporterfolge und sagt, die sollen wir runterschrauben. Für welche Position steht sie?

    Uterwedde: Sie hat mal – im März 2010 war das, glaube ich – in einem Financial-Times-Interview eine vorsichtige Anfrage an die Deutschen gerichtet, ob eigentlich dieses deutsche Export orientierte Modell der Weisheit letzter Schluss sei und ob Deutschland nicht auch ein bisschen mehr für die Binnennachfrage tun könne, um auch für die Nachbarn als Exportmarkt zur Verfügung zu stehen. Da ist sie natürlich hier auf starke Kritik gestoßen.

    Aber es wäre, denke ich, zu kurzsichtig, sie nur darauf reduzieren zu wollen. Ich denke, Frau Lagarde hat ein Verständnis von der Währungsunion, das ein stärker politisches ist, als das bei uns der Fall ist. Sie fordert mehr wirtschaftspolitische Koordinierung in der Euro-Zone, auch in der französischen Linie, über dem Stabilitätsziel das Wachstumsziel nicht ganz zu vernachlässigen. Und Frankreich hat natürlich immer sich dafür ausgesprochen, in dieser jüngsten Haushalts- und auch Finanzkrise einiger Länder, hier eben auch doch schnell und effizient europäische Hilfsaktionen zu starten, in einer Zeit, wo manchmal aus Deutschland oft ein Zögern, ein "Njet" und dann ein sehr, sehr spätes Einlenken kam. Da war Frankreich eigentlich immer vorne dran bei der Ausarbeitung von Lösungen, die eben die Euro-Zone retten könnten.

    Meurer: Gibt es in Frankreich eigentlich ähnliche Befürchtungen wie in Deutschland, dass wenn der nächste IWF-Direktor aus einem Schwellenland kommt, sagen wir - Türkei wurde genannt, oder aus Lateinamerika, aus Asien -, dass das bedeuten könnte, dass man beim IWF dann sagt, so, jetzt müssen mal die Europäer rangenommen werden, was ihr uns bisher immer alles an Spardiktaten zugemutet habt?

    Uterwedde: Ja das mag hier und dort eine Rolle spielen, aber ich denke, man ist sich auch in Frankreich darüber im klaren, dass bei dem IWF – das wurde ja schon angesprochen – die Europäer keinen Stammplatz haben, dass sie künftig auch mit Vertretern der Schwellenländer werden kämpfen müssen um Führungspositionen, und insofern ja, man war, denke ich, froh, dass mit Dominique Strauss-Kahn jemand da war, dass der IWF sozusagen in die Rettungsaktionen zu Gunsten Griechenlands und anderer gefährdeter Länder mit hineingezogen werden konnte. Da könnte man sicherlich Ängste haben, dass das künftig bei einer anderen Besetzung, bei einer nicht europäischen Besetzung anders sein könnte. Aber sehr viel konkreter sind hier diesbezügliche Befürchtungen nicht. Das ist sozusagen ja auch noch teilweise im Bereich der Spekulation.

    Meurer: Um ganz kurz zu reden über den Mann, der bis heute Nacht noch Direktor des IWF war. 57 Prozent der Franzosen glauben, Dominique Strauss-Kahn sei in eine Falle gelaufen, die man ihm gestellt hat. Glauben Sie das auch?

    Uterwedde: Also ich bin prinzipiell gegen derartige Verschwörungstheorien und halte es auch in diesem Fall für wenig wahrscheinlich. Im Übrigen würde das, denke ich, nichts daran ändern, dass Dominique Strauss-Kahn in seiner politischen Karriere, denke ich, hier keine große Zukunft mehr hat.

    Meurer: Henrik Uterwedde vom Deutsch-Französischen Institut in Ludwigsburg zur Frage, wer rückt jetzt an die Spitze des Internationalen Währungsfonds nach. Danke schön und auf Wiederhören, Herr Uterwedde.

    Uterwedde: Bitte!