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Daniel Craig in "Othello"
Düsteres Soldatendrama im Nahen Osten

Shakespeares "Othello" mit den Film-Superstars Daniel Craig und David Oyelowo unter der Regie von Sam Gold am New York Theater Workshop – das scheint wie ein Duell der Giganten. Und die Erwartungen werden nicht enttäuscht. In Regisseur Sam Golds moderner Inszenierung spielen sie als Jago und Othello die zwei Seiten einer traumatisierten Seele.

Von Andreas Robertz |
    David Oyelowo und Daniel Craig in "Othello" am New York Theatre Workshop.
    David Oyelowo und Daniel Craig in "Othello" am New York Theatre Workshop. (Chad Batka)
    Sam Gold gilt in der New Yorker Theaterszene als einer der wichtigsten Regisseure für neue US-amerikanische Dramatik. Kein Wunder also, dass er sich für "Othello", seine erste Shakespeare-Inszenierung, einen aktuellen Kontext ausgesucht hat: den Alltag von US-Soldaten, stationiert irgendwo im Nahen Osten. Sein Bühnenbildner Andrew Lieberman hat ihm dafür das ganze Theater des "New York Theater Workshop" umgebaut und Wände, Boden und Decke mit billigem Sperrholz verschalen lassen. Der so entstandene Raum hat die Atmosphäre einer Turnhalle, die als provisorische Kaserne dient. Das Publikum sitzt in Holzrängen an drei Seiten, in der Mitte liegen Matratzen für die Schauspieler mit den wenigen persönlichen Utensilien, die ein Soldatenleben erlaubt: Videokonsolen, Bücher, Kopfhörer, Smartphones und ein paar Kleidungsstücke. Kaltes Licht kommt von Neonröhren oder Seitenstrahlern von den Wänden, grünes Streulicht aus mobilen Scheinwerfern gibt immer wieder den Eindruck, durch Nachtsichtgeräte zu blicken.
    Zustände von traumatisierten Soldaten
    Der intime und gleichzeitig unpersönliche Raum, gefüllt mit schwitzenden, oft halb nackten Männern, die nichts wirklich zu tun haben, funktioniert überraschend gut für das Stück und mit Themen wie Islamophobie, Rassismus und Krieg im Nahen Osten handelt "Othello" von genau den Problemen, die die politische Realität heute bestimmen. Daniel Craig, den man durch seine Rolle als Bond eher nicht mit einem Bösewicht verbindet, spielt seinen Jago als witzigen, manchmal frivolen Kameraden, der mit allen gut Freund ist und stets ein aufmunterndes Wort für jeden bereit hat. Sein Jago hat wenig mit der düster-eleganten Kampfmaschinenästhetik seiner 007-Auftritte zu tun. Immer ist er in fast privat wirkendem T-Shirt und Jogginghose gekleidet, locker und bequem wie jeder andere Soldat des Ensembles. Und man mag diesen Jago, wie er vor und mit dem Publikum seine Pläne schmiedet. Immer wieder grinst er in die Ränge, wenn ihm seine naiven Opfer in die Falle laufen.
    Doch mit David Oyelowos Verwandlung vom vor Lebenslust und Kraft strotzenden Othello zum sich selbst zerfressenden Monster verliert der Abend seine Leichtigkeit. Sein emotionaler Kollaps scheint dabei weniger aus Eifersucht zu kommen, als aus der Erfahrung lebenslang gesammelter Erniedrigungen und einem daraus erwachenden Rachegefühl, das wie ein Tier aus ihm hervorbricht und ihm seine lebensbejahende Maske vom Gesicht reißt. Jago ist kaum in der Lage, die Flut dieser Emotion zu stoppen. Zuweilen presst er dessen Stirn gewaltsam gegen seine, versucht ihn so zur Vernunft zu bringen und Othellos Zorn für seine Zwecke zu zähmen. Unweigerlich ist man an Zustände von traumatisierten Soldaten erinnert, die den Terror ihrer Kriegserfahrungen nicht loswerden. In diesen Momenten, wenn jede Muskelfaser der beiden angespannt ist und sie sich ineinander verkrallen, scheinen Jago und Othello zu einer Figur zu verschmelzen.
    Zwischen hilfloser Verwirrung und dunkler Vorahnung
    Regisseur Sam Gold folgt dieser Spur, zum Beispiel wenn er die Szenen der Ermordung Desdemonas und des nächtlichen Überfalls auf Cassio geschickt parallel inszeniert und beide Protagonisten von "ihrer Nacht der Rache" sprechen. Am Ende versucht Jago, zärtlich den Kopf des toten Othello zu berühren, der mit den anderen Opfern seiner Intrige unter grünen Leichentüchern vor ihm liegt, als hätte er einen Teil seiner selbst verloren.
    Rachel Brosnahan, die viele als die Prostituierte Rachel aus der TV-Serie "House of Cards" kennen dürften, spielt Desdemona mit wunderbar direktem Ton, sehr berührend zwischen hilfloser Verwirrung und dunkler Vorahnung, als habe sie sich in einem Sturm verirrt und wisse, dass sie der Gewalt seiner Natur nichts entgegenzusetzen hat.
    Doch der Abend lebt wirklich von dem überzeugenden Regiekonzept und der Kraft und Präzision seiner beiden Protagonisten: David Oyelowo spielt seinen Othello als einen letztendlich Liebenden, der von einem inneren Dämon übermannt wird und am Ende in unbegreiflicher Trauer seinem Leben ein Ende setzt. Und Daniel Craig als Motor des Abends verführt sein Publikum mit viel Charme und großer Bühnenpräsenz, bevor er ihm die Fratze seiner Rache zeigt. Man darf hoffen, dass Othello nicht Daniel Craigs letzter Shakespeare sein wird.