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"Das Datum hat sich natürlich in unser Herzen eingebrannt"

Harald Leibrecht ist in den USA geboren und besitzt neben der deutschen auch die amerikanische Staatsangehörigkeit. Die Vereinigten Staaten seien immer ein Symbol für die Freiheit und eine freiheitliche Gesellschaft gewesen. Das dürfe ihnen nicht verloren gehen, sagt der Koordinator für die transatlantische Zusammenarbeit im Auswärtigen Amt.

Harald Leibrecht im Gespräch mit Bettina Klein |
    Bettina Klein: Herr Leibrecht, der 11. September 2001 gehört zu den wenigen Daten für die heute Lebenden, würde ich mal sagen, bei dem jeder und jede eigentlich weiß, was er oder sie gemacht hat, wie er oder sie die Nachricht bekommen hat von dem, was sich vor allen Dingen in New York und Washington abgespielt hat. Wie ist Ihre Erinnerung an diesen Tag, wie haben Sie den Nachmittag des 11. September verlebt?

    Harald Leibrecht: Ich war damals in meinem Unternehmen, und ich habe schon wenige Minuten, nachdem das erste Flugzeug ins World Trade Center geflogen ist, Nachricht bekommen. Ein Mitarbeiter kam in mein Büro, sagte, da ist ein schrecklicher Unfall – dachte man damals noch – passiert. Und ich bin dann gleich zum Fernsehen, und kurz darauf war ja dann auch der Einschlag des zweiten Flugzeuges. Und daraufhin habe ich alle meine Mitarbeiter zusammengerufen, darunter auch etliche Amerikaner, und wir waren natürlich alle sehr schockiert und betroffen, nicht zuletzt, weil ich auch selber Familie in Amerika habe und auch Freunde in New York, und da machten wir uns natürlich sofort auch sehr große Sorgen. Das Datum hat sich natürlich in unserem Herz auch eingebrannt.

    Klein: Hat das Ihr persönliches Leben verändert?

    Leibrecht: Es hat schon das Leben verändert. Ich bin ja jemand, der in Amerika geboren, aber auch in Deutschland dann aufgewachsen ist. Ich lebe auch zwischen beiden Welten, und für mich war Amerika, die USA, immer auch Inbegriff für Freiheit und Demokratie. Und der 11. September hat hier natürlich vieles verändert, vor allem auch drüben in Amerika, und insgesamt das Gefühl von Freiheit hat darunter auch schon schwer gelitten.

    Klein: Hat sich Ihr Bild der Vereinigten Staaten verändert in der Folgezeit?

    Leibrecht: Das Bild der Vereinigten Staaten hat sich sicherlich auch geändert. Die Amerikaner sind nicht mehr vielleicht so ganz so weltoffen, wie sie vorher waren. Sie sehen, dass sie auch nicht nur Freunde in der Welt haben, sondern dass es auch Menschen gibt, die ihnen Böses möchten, und sie versuchen sich natürlich hier auch zu verteidigen und auch abzusichern, aber es ist nicht mehr ganz das Amerika wie vor dem 11. September.

    Klein: Glauben Sie, dass die Amerikaner, dass die amerikanischen Behörden an einigen Stellen – wir reden jetzt mal nur von der Innenpolitik – da zu weit gehen?

    Leibrecht: Es ist natürlich immer die Frage, welche Informationen die Amerikaner möchten und welche Informationen wir weitergeben möchten. Für uns, die wir doch in einer sehr liberalen, in einer freiheitlichen Gesellschaft leben, ist es nicht immer ganz einfach, persönliche Daten an ein Land weiterzugeben, die natürlich auch ausdrücklich gewünscht werden. Und wir sind hier natürlich auch im Gespräch mit den Amerikanern, um zu sehen, welche Daten sind denn absolut notwendig und welche vielleicht auch nicht unbedingt. Die Behörden müssen hier sicherlich sehr eng zusammenarbeiten, denn es kann natürlich nicht ausgeschlossen werden, dass weitere terroristische Akte auch in den Vereinigten Staaten erfolgen. Hier müssen wir zusammenarbeiten, aber wir müssen auch uns davor schützen, dass wir in unserer persönlichen Freiheit so sehr eingeschränkt werden, dass wir nachher vielleicht in etwas mehr Unfreiheit leben. Das wollen wir nicht, denn dann hätten letztendlich die Terroristen vielleicht einen Teil ihres Zieles auch erreicht.

    Klein: Es gab lange Zeit diese Verhandlungen zwischen der Europäischen Union und den USA bezüglich der Datenspeicherung, gerade was die Fluggast-, Passagierdaten angeht. Können Sie uns ein Beispiel nennen, wo Sie davon ausgehen, dass sozusagen die europäische Linie sich durchsetzen wird und man möglicherweise darauf drängen wird, eben bestimmte Daten nicht zu speichern?

    Leibrecht: Das ist an diesem Punkt jetzt ganz schwierig zu sagen. Es geht ja um ein ganzes Datenpaket, um viele Fragen, wo wir noch miteinander auch verhandeln und sprechen. Es ist jetzt zu früh, der Zeitpunkt, hier auch auf Beispiele hinzuweisen, wo wir sagen, also das können wir überhaupt nicht übermitteln. Aber es gibt schon auch Fragen, wenn es drum geht, welches Essen man bevorzugt – wo man sich also dann wirklich fragt, hat denn das was mit Terrorismusbekämpfung zu tun. Und das sind Dinge, die müssen wir bei unseren amerikanischen Partnern hinterfragen.

    Klein: Ja, und es ist vielleicht auch eine Frage für Sie als Koordinator für die transatlantischen Beziehungen. Viele Menschen sind davon betroffen, viele ärgern sich auch immer wieder. Also ich stand neulich bei der Einwanderungsschlange an einem Flughafen in den Vereinigten Staaten und hörte hinter mir zwei Deutsche, die sich bitterlich beklagten und schimpften, das sei ja wie die Einreise nach Nordkorea. Ich hab dann bei mir gedacht, es wird ja noch niemand gezwungen, in die Vereinigten Staaten einzufliegen. Aber es ist ein Punkt, es ist eine Frage für viele Leute, die eben keine große Lust haben mehr dahin zu fliegen. Sehen Sie sich auch in der Rolle, da für Verständnis zu werben?

    Leibrecht: Um Verständnis werben, muss man auf jeden Fall. Das Beispiel, das Sie jetzt gerade genannt haben, würde ich nicht ganz so akzeptieren. Ich hatte das zweifelhafte Vergnügen, vor etwa anderthalb Jahren in Nordkorea zu sein, und da habe ich wirklich erlebt, was es bedeutet, wenn Menschen in Unfreiheit leben. Ich musste damals bei der Einreise mein Handy abgeben, und man wird ständig beobachtet. Das ist sicherlich kein Vergleich mit den Vereinigten Staaten, aber für mich, wie gesagt, waren die Vereinigten Staaten immer ein Symbol für die Freiheit, für eine freiheitliche Gesellschaft, für Menschenrechte, Rechtsstaat, alles das, und das darf den Amerikanern nicht verloren gehen. Natürlich wollen sie sich schützen, und sie haben strenge Kontrolle bei der Einreise – das muss man, denke ich, akzeptieren. Die Amerikaner haben berechtigte Angst, dass ihnen vielleicht weitere Terroranschläge widerfahren, und ich kann die amerikanische Seite schon verstehen. Aber andersrum müssen sie auch sehen, dass sie traditionell immer ein Reiseland waren, dass sie sehr viel Einwanderung all die Jahrzehnte hatten und dass Menschen sehr gerne in die Vereinigten Staaten kommen, weil sie auch dort sehr freundlich und offen und offenherzig aufgenommen wurden. Das sollten die Amerikaner sich auch in Zukunft bewahren.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.