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"Das Feiern hätten wir wahrscheinlich unterlassen sollen"

Die US-Truppen seien ein stabilisierender Faktor gewesen, der jetzt im Irak fehle, sagt Guido Steinberg von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Er kritisiert die "offenen Rechtsbrüche" von Ministerpräsident al-Maliki und seine Versuche, Gegner aus dem Weg zu schaffen.

Guido Steinberg im Gespräch mit Jürgen Zurheide | 22.12.2011
    Peter Kapern: Dass die Krise kommen würde, das hatten viele Beobachter für wahrscheinlich gehalten. Dass sie aber so schnell über das Land hereinbrechen würde, das hatte wohl niemand erwartet. Die Rede ist vom Irak. Gerade erst haben die letzten US-Soldaten das Land verlassen, da nahm eine schwere Regierungskrise ihren Anfang.

    Die Mitglieder der Staatsführung sind total zerstritten, es droht ein Auseinanderbrechen der Regierung, und das hätte möglicherweise verheerende Folgen, denn die zerstrittenen Lager gehören den unterschiedlichen Religionsgemeinschaften des Landes an. Ministerpräsident al-Maliki, ein Schiit, droht den sunnitischen Ministern mit dem Rauswurf aus dem Kabinett, während der von den Sunniten gestellte Vizepräsident al-Haschimi mit Haftbefehl gesucht wird.

    Mein Kollege Jürgen Zurheide hat gestern mit dem Irak-Experten Guido Steinberg von der Stiftung Wissenschaft und Politik gesprochen, und zunächst hat er ihn gefragt, ob es denn ungerecht sei, Regierungschef al-Maliki vorzuwerfen, dass er nun versuche, sich geradezu brutal innerhalb der Regierung durchzusetzen.

    Guido Steinberg: Nein, das ist keine zu harte Beschreibung. Es ist doch ganz, ganz deutlich schon seit einigen Monaten geworden, dass Maliki versucht, die eigentlichen Wahlsieger des Jahres 2010, die Irakische Liste, angeführt von dem ehemaligen Interims-Ministerpräsidenten Ajad Allawi, als politischen Konkurrenten auszuschalten. Er hat versucht, führende Politiker aus dem Weg zu schaffen, zuletzt jetzt Tarik al-Haschimi, und das ist eine Politik, die sich länger angedeutet hat. Es hat beispielsweise Verhaftungen von angeblichen Baasisten gegeben, die angeblich auch wieder einen Putsch geplant haben. Das waren alles nur mühsam verdeckte Versuche, diese Irakische Liste zu schwächen. Die hatte bei den Parlamentswahlen im März 2010 91 Mandate gewonnen, die Rechtsstaatsliste von Maliki hingegen nur 89, und sie ist deshalb von ihm als wichtigster innenpolitischer Konkurrent identifiziert worden.

    Jürgen Zurheide: Sie haben gerade den Vizepräsidenten Haschimi schon angesprochen, der wird ja im Moment per Haftbefehl gesucht. Er soll angeblich Todesschwadronen unterstützt haben. Wie klar kann man denn von außen sagen, dass das wirklich konstruierte Vorwürfe sind? Er ist ja nach Kurdistan geflohen, wenn ich es richtig sehe.

    Steinberg: Ja, der ist nach Kurdistan geflohen und die Kurden haben bereits gesagt, dass sie ihn nicht ausliefern werden an Bagdad. Ob das dann der Fall ist, wird sich erst erweisen. Man kann in der Regel im Irak nicht ganz deutlich zwischen Dichtung und Wahrheit unterscheiden. Es hat durchaus sunnitische Politiker gegeben, die große Nähe zu den Aufständischen hatten, die tatsächlich auch bewaffnete Kräfte in ihrer Umgebung hatten, die Verbrechen verübt haben. Bei Haschimi ist das etwas weniger wahrscheinlich, weil er doch sich schon in der irakischen Politik seit 2003 als eher gemäßigter Politiker erwiesen hat, der durchaus die Nähe auch zu schiitischen und kurdischen Konkurrenten gesucht hat, viel mehr als viele seiner bekannten Kollegen, die im Moment auch unter Druck stehen. Insofern ist es doch eher wahrscheinlich, dass in seinem Fall diese Vorwürfe konstruiert sind, aber man muss da sehr vorsichtig sein. Brutale Gewalt ist im Irak seit längerer Zeit bereits ein Mittel der Politik. Ganz ausschließen kann man es nicht, dass an solchen Vorwürfen etwas dran ist.

    Zurheide: Wie ist denn einzuschätzen, dass Saudi-Arabien im Moment davon ausgeht, dass Maliki eher mit Teheran zusammenarbeitet und damit möglicherweise eine Achse des Bösen da noch mal unterstützt? Oder ist das wieder eine Auseinandersetzung zwischen Saudi-Arabien und dem Irak?

    Steinberg: Die saudi-arabische Position ist da immer etwas überspitzt. Maliki orientiert sich stark am Iran, das ist ganz deutlich auch in der Außenpolitik der letzten Monate. Er stützt beispielsweise weiterhin das Regime von Baschar al-Assad in Damaskus, gemeinsam mit dem Iran. Allerdings darf man nicht übersehen, dass Maliki auch die amerikanische Unterstützung benötigt. Er möchte gerne zwischen diesen beiden Polen Teheran und Washington lavieren und insofern ist seine Darstellung als Klient Teherans dann doch nicht ganz korrekt. Was allerdings stimmt ist, dass die Saudis der Meinung sind, dass Maliki der Vertreter Teherans in Bagdad ist, und die große Gefahr besteht nun, da die Amerikaner abgezogen sind, dass die Saudis noch einmal verstärkt sunnitische Gruppen unterstützen, vielleicht sogar gewalttätige Gruppen unterstützen, und dann könnten wir es durchaus wieder mit einem Aufflammen von politischer Gewalt im Land zu tun haben.

    Zurheide: Jetzt haben wir die Amerikaner gerade auch am Rande angesprochen. Welchen Einfluss haben sie oder welche Einflussmöglichkeiten, denn sie sind militärisch weg? Wir haben alle mehr oder weniger den Abzug gefeiert.

    Steinberg: Ja. Das Feiern hätten wir wahrscheinlich unterlassen sollen, weil die Amerikaner halt doch noch ein stabilisierender Faktor waren, wie man jetzt im Grunde gerade nach Ende des Abzuges sehr, sehr deutlich bemerkt. Sie haben weiterhin Einfluss auf Maliki. Maliki möchte nicht vollkommen von Teheran abhängig sein und er braucht die Amerikaner, um seine Sicherheitskräfte weiter aufzubauen, um seine neue Armee auszurüsten, damit der Irak dann auch irgendwann einmal in doch etwas fernerer Zukunft in der Lage ist, sich gegen seine Nachbarn zu verteidigen. Ich erwarte da eher einen Kurs des vorsichtigen Lavierens. Allerdings will Maliki im Moment eben auch seine innenpolitische Machtposition festigen, und deswegen diese doch sehr offenen Rechtsbrüche, diese Versuche, innenpolitische Gegner mit fast allen Mitteln aus dem Weg zu schaffen.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.