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"Das hat nichts mit dem tragischen Unfall von Samuel Koch zu tun"

Steffen Grimberg hat nicht den Eindruck, dass die Macher von "Wetten, dass ... ?" die Sendung einer besseren Quote wegen mit spektakulären Aktionen wie der gefährlichen Wette von Samuel Koch aufpeppen wollten. Generell ginge die traditionelle Samstagabendshow aber "einer relativ ungewissen Zukunft entgegen".

Steffen Grimberg im Gespräch mit Jasper Barenberg | 06.12.2010
    Jasper Barenberg: Millionen Menschen haben am Samstagabend im ZDF live erleben müssen, wie sich in der Sendung "Wetten, dass ... ?" Kandidat Samuel Koch bei einem Sturz schwer verletzte. Mit Sprungfedern unter den Füßen hatte der 23-jährige Student aus Hannover versucht, über ein fahrendes Auto zu springen. Nach einer Operation liegt er jetzt im künstlichen Koma, in kritischem Zustand, wie die Universitätsklinik in Düsseldorf mitteilt. Sein Leben ist wohl nicht in Gefahr. Wie aber geht das ZDF mit der Situation um, welche Schlussfolgerungen zieht der Sender daraus? Darüber wollen wir in den nächsten Minuten weiter sprechen mit dem Medienjournalisten Steffen Grimberg von der Tageszeitung "taz". Einen schönen guten Tag, Herr Grimberg.

    Steffen Grimberg: Ich grüße Sie, Herr Barenberg.

    Barenberg: Herr Grimberg, hat das ZDF eine viel zu riskante Wette angenommen, um Quote zu machen?

    Grimberg: Nach allem, was man da bis heute sagen kann, sicherlich nicht. Es gab bei "Wetten, dass ... ?" immer schon spektakuläre Wetten, ich erinnere an Lkw, die da auf Gläser gestellt wurden, wo also auch Menschen unmittelbar daneben standen und die Gläser im letzten Moment da hingestellt haben, da hätte auch was passieren können. Es ist Gott lob nie etwas passiert. Also ich denke nicht wirklich, dass das irgendwo etwas war, was außerhalb des sonst üblichen bei "Wetten, dass ... ?" war und jetzt in irgendeiner Weise mit einer besonderen Quotendiskussion zu tun hatte. Natürlich, da gab es so ein bisschen das Techtelmechtel, sage ich mal, "Wetten, dass ... ?", Gottschalk, ZDF gegen "Deutschland sucht den Superstar" und anderen Sendungen schon mal, aber diese Quotendiskussion wird für meinen Geschmack jetzt etwas sehr hochgespielt.

    Barenberg: Manche beginnen diese Diskussion ja jetzt mit der Frage, ob sich nicht das öffentlich-rechtliche Mediensystem einmal mehr überlegen muss, wie es qualitativ sich von anderen, durchaus auch von privaten Kanälen unterscheidet. Sie halten das für eine überzogene Debatte zum jetzigen Zeitpunkt?

    Grimberg: Die Debatte ist auf jeden Fall zu führen. Ich würde mir nur wünschen, dass die jetzt bitte nicht an "Wetten, dass ... ?" und diesem tragischen Unfall von Samuel Koch geführt wird. Da gibt es andere qualitative Maßstäbe, zum Beispiel, ob in der Unterhaltung man Niveau-Limbo – das ist so als Jugendwort des Jahres gekrönt worden -, ob man also sich da quasi an den privaten annähern sollte. Da debattiere ich gerne mit. Ich glaube, mit Blick auf solche Geschichten wie "Wetten, dass ... ?" oder die Wok-WM von Stefan Raab oder "Schlag den Raab", was dann immer so als privates Gegenbeispiel gedacht wird, da kommen wir nicht so schrecklich viel weiter. Das ist eigentlich nicht das, worum es geht.

    Barenberg: Aber wenn Sie "Schlag den Raab" erwähnen, war das nicht auch ein Versuch im ZDF, mit "Wetten, dass ... ?" etwas dagegenzuhalten, gegen den Verlust gerade jüngerer Zuschauer - sie machen einen Bogen um ARD und ZDF mittlerweile -, und war dieser Versuch dann, an die jüngeren heranzukommen, die zu binden, ein untauglicher?

    Grimberg: Na ja, ich weiß nicht, ob irgendjemand wirklich als jüngerer Mensch "Wetten, dass ... ?" guckt, weil ein Student den kühnen Versuch wagt, mit Sprungfedern an den Füßen über fahrende Autos zu hüpfen. Natürlich: "Wetten, dass ... ?" ist – das muss man auch einmal ganz klar sagen – ja viel, viel älter als die ganzen momentan erfolgreichen Shows der privaten. Seit 1981 läuft das mit, sagen wir mal, grosso modo demselben Konzept. Ich denke, womit bei "Wetten, dass ... ?" natürlich auch versucht wird, junge Menschen an den Sender zu binden, das sind eher so Stargäste wie Justin Bieber und andere. Von daher, glaube ich, klar, da ist was dran, das ist eines der letzten großen Lagerfeuer, wie das dort immer so schön heißt, des deutschen Fernsehens, wo von dem Sohn und der Tochter bis zur Oma und dem Opa, wenn es gut geht, die ganze Familie dran bleibt. Das lässt allerdings auch immer mehr nach. Ich habe aber wirklich nicht den Eindruck, dass das ZDF jetzt in irgendeiner Weise den Machern von "Wetten, dass ... ?" gesagt hat, nun legt da noch mal ein bisschen Holz im Kamin nach, dass das noch spektakulärer wird, damit die Quotenrückgänge, die bei "Wetten, dass ... ?" in den letzten Folgen zu verzeichnen waren, irgendwie ausgebügelt werden. Sicherlich ist ein 60-jähriger Thomas Gottschalk was anderes als ein Stefan Raab in seinem ganzen Auftreten. Von daher, denke ich, ist es logisch, dass Raab auch mehr jüngere Zuschauer hat als "Wetten, dass ... ?". Aber "Wetten, dass ... ?" hat auch jüngere Zuschauer. Nur jetzt eben zu sagen, das ZDF macht da also Quotenjagd und geht dabei "nicht über Leichen", aber nimmt schwere Verletzungen in Kauf, das ist meiner Meinung nach wirklich völlig überzogen.

    Barenberg: Die Sendung ist also nicht am Ende, würden Sie sagen, unabhängig davon, wie sich der Gesundheitszustand von Samuel Koch jetzt entwickelt?

    Grimberg: Das glaube ich nicht! Jedenfalls hat es damit dann auch nichts zu tun. Man muss vielleicht mal gucken, "Wetten, dass ... ?" feiert ja nun im kommenden Januar oder Februar, genauer gesagt, den 30. Geburtstag, inwieweit so ein Konzept wirklich mehr als 30 Jahre trägt. Das scheint ja auch sehr viel mit dem Moderator zu tun zu haben. Wir hatten Verschiedene, die sich da anstelle von Thomas Gottschalk versucht haben, mit denen es nicht so gut geklappt hat. Vielleicht kann man auch sagen, die Sendung ist mit Thomas Gottschalk endlich jedenfalls in dieser Form. Und natürlich ist die ganz große Samstagabendshow, die nicht ein besonderes Motto hat wie meinetwegen jetzt diese ganzen Geschichten von Stefan Raab, vielleicht auch tatsächlich ein Dinosaurier, der zwar noch heute mit großer Berechtigung und großer Masse durchs Fernsehprogramm, ich will nicht sagen taumelt, sondern schreitet, aber natürlich tatsächlich einer relativ ungewissen Zukunft entgegengeht. Nur wenn die Zukunft für "Wetten, dass ... ?" ungewiss ist, dann hat sich das ja schon abgezeichnet. Die Sendung mit ihrem Konzept scheint so nicht mehr alleine zu funktionieren, und das hat nichts mit jetzt dem tragischen Unfall von Samuel Koch zu tun.

    Barenberg: Der Medienjournalist der "tageszeitung", Steffen Grimberg. Vielen Dank für dieses Gespräch.

    Grimberg: Sehr gerne!