Mittwoch, 08. Mai 2024

Archiv


"Das ist eben für die Integration nicht gut"

ZdK-Präsident Alois Glück bedauert den seiner Meinung nach misslungenen Start der designierten niedersächsischen Integrationsministerin Aygül Özkan. Das von der CDU-Politikerin geforderte Kruzifixverbot rufe bei der einheimischen Bevölkerung Ablehnung hervor.

Alois Glück im Gespräch mit Jasper Barenberg | 26.04.2010
    Jasper Barenberg: Geht es nach Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff, so soll morgen im Landtag von Hannover Aygül Özkan als Sozial- und Integrationsministerin vereidigt werden. Sie wäre die erste Ministerin in Deutschland mit Wurzeln in der Türkei. Als Meilenstein feierte das sogleich Nordrhein-Westfalens Ressortchef Armin Laschet. Seit sich die künftige Ministerin aber für ein Kruzifixverbot in staatlichen Schulen ausgesprochen hat, wird sie in ihrer eigenen Partei, der Union, von Kritik überschüttet. Am Telefon zugehört hat Alois Glück, der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken. Einen schönen guten Tag, Herr Glück.

    Alois Glück: Guten Tag, Herr Barenberg.

    Barenberg: Verträgt die Union keine Landesministerin, die sich gegen das Kruzifix im Klassenzimmer ausspricht?

    Glück: Ich habe hier in der Funktion nicht für die Union zu sprechen, sondern es geht hier natürlich schon um eine Frage, die weit über die Union hinausgeht. Wir sind in unserer Kultur und auch in den Werten unserer Verfassung geprägt vom christlichen Glauben. Das zeigt sich im Anfangssatz unserer Verfassung beispielsweise, die Würde des Menschen ist unantastbar. Und es ist im Übrigen nicht so, wie es im Bericht dargestellt wurde, dass das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zwingend das kruzifixfreie Klassenzimmer verlangen würde. Es ist eine Abwägung zwischen positiver und negativer Religionsfreiheit. Wir haben es in Bayern in der Weise geregelt, wie es geschildert wurde, das ist völlig verfassungskonform. Und jetzt geht es natürlich um eine Grundsatzfrage, ob man einen religionsfreien öffentlichen Raum will. Das ist übrigens nicht die Position der Muslime. Ich habe das selbst in anderen Diskussionen erlebt, wo gerade Muslime sich dagegen verwehrt haben. Aber es ist schade, dass der Start einer Integrationsministerin, mit der sich viele identifizieren können, die ja aus demselben kulturellen Hintergrund kommt, mit einer Initiative belastet ist, die der Integration genau nicht dient, weil sie bei der einheimischen Bevölkerung in ihrer großen Mehrheit natürliche Abwehr hervorruft, und zurecht.

    Barenberg: War also der Griff von Ministerpräsident Christian Wulff in Niedersachsen ein Missgriff, sie zu wählen?

    Glück: Nein, das will ich damit überhaupt nicht ableiten. Nur wäre es vielleicht zweckmäßig, von vornherein mit der jungen Ministerin solche Positionen abzuklären. Natürlich spricht sie einesteils als Privatperson, aber sie spricht dann auch als Amtsperson und dies schafft Verwirrung, dies schafft Unsicherheit, es mobilisiert Gegenkräfte, und das ist eben für die Integration nicht gut. Ich habe es persönlich ja auch begrüßt, eine Frau dafür zu gewinnen, die in dieser, unserer Gesellschaft verankert ist, die in der modernen Gesellschaft angekommen ist und die damit auch eine Leitfigur für viele andere werden könnte. Aber der Start war so, dass es die Integration nicht fördert, eher beschwert.

    Barenberg: Dann möchte ich noch mal zurückkommen auf meine Frage vom Beginn, vielleicht nicht mit Blick auf die Union, sondern auf die politische Kultur in diesem Land insgesamt. Vertragen wir als Bürger dieses Landes, als politisch interessierte, vertragen wir keine Landesministerin, die einen anderen Standpunkt in dieser Frage einnimmt, als es gewöhnlicherweise die Union oder konservative Parteien in diesem Land tun?

    Glück: Es gehört zur Demokratie, dass jeder sich entsprechend positionieren kann und seine Meinung vertreten kann. Das ist ja gerade der Wert unserer Verfassung mit der Trennung von Religion und Staat, aber auch einer Verfassung, die Religionsfreiheit garantiert. Aber gleichzeitig ist man natürlich im öffentlichen Amt, auch in einer anderen Position wie ein Privatmensch. Auch jede Politikerin, jeder Politiker kann natürlich seine eigene Position entsprechend sagen, aber muss sich dann damit auseinandersetzen, weil es keine Privatmeinung ist, dass es darüber eine entsprechende öffentliche Debatte gibt.

    Barenberg: Aber danach frage ich ja gerade, Herr Glück. Was spricht dagegen, dass eine Landesministerin auch in dieser Funktion, jenseits ihrer Privatmeinung, diese Haltung hat?

    Glück: Da muss die Regierung wissen, wie sie dazu steht. Der Ministerpräsident hat sich von dieser Position distanziert und sagt, das ist nicht unsere Position. Er muss dann selbst wissen, inwieweit auf Dauer Regierungshandeln miteinander möglich ist. Es ist ja nicht möglich, wenn es dauernd kontrovers dargestellt würde. Das ist zunächst natürlich die Sache der Regierung und des Ministerpräsidenten. Aber wir als Bürger erwarten ja auch, dass in einer Regierung nicht jede Ministerin und jeder Minister noch eine Sonderposition verkündet, sondern dass es einen insgesamt vertretenen Regierungskurs gibt. Wenn egal in welcher Sachfrage eine Regierung letztlich dieses nicht erreicht, die wird die Bürger nur verunsichern.

    Barenberg: Herr Glück, zum Schluss: Wird es jetzt erneut eine grundsätzliche Debatte darüber geben, wie der Staat zu religiöser Neutralität bei diesem Thema steht, wie er mit dem Thema umgeht, ob Kreuze, ob Kruzifixe weiterhin vereinbar sind in den Klassenzimmern staatlicher Schulen? Wird es darüber jetzt wieder eine grundsätzliche Debatte geben?

    Glück: Die Debatte ist ja schon wieder in Gang gekommen, auch durch die Frage in den Räumen der Justiz, die Debatte in Nordrhein-Westfalen. Es gibt ein Urteil des europäischen Menschenrechtsgerichtshofs im Zusammenhang mit einer Situation in Italien, das geht in die Berufung, führt zu einer neuen Debatte. Die Debatte muss dann geführt werden, wenn die Themen da sind. Und hier geht es natürlich schon um grundsätzliche, auch Fragen der Identität, aber es geht nicht um Einengung von Religionsausübung, weder in die eine, noch in die andere Richtung, aber es geht sehr wohl auch um eine Identität unserer Kultur, und insofern ist es natürlich eine Frage schon mit von grundsätzlicher Bedeutung. Die Demokratie ist dazu da, dass die Debatte geführt wird.

    Barenberg: Der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken heute Mittag in den "Informationen am Mittag". Danke schön, Alois Glück.

    Glück: Bitte! Auf Wiederhören.