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Brexit-Verhandlungen
"Die britische Seite muss liefern"

Die Brexit-Verhandlungen kommen nicht voran. EU-Parlamentarier David McAllister (CDU) mahnt zur Eile und fordert von der britischen Regierung eine Positionierung. "Vorher werden wir nicht mit der zweiten Phase der Verhandlungen anfangen," sagte er im Dlf.

David McAllister im Gespräch mit Silvia Engels |
    David McAllister in München mit Anzug und Krawatte
    David McAllister sieht die EU nach dem Brexit vor enormen Herausforderungen. (dpa/ Tobias Hase)
    "Wer die EU verlässt, muss das nach unseren gemeinsam festgelegten Regeln tun", so EU-Parlamentarier David McAllister (CDU). Ein abrupter Brexit ohne Übergansregelungen komme für die EU nicht infrage. Und die Uhr ticke: "Im Oktober 2018 muss der Brexit auf technischer Ebene abgeschlossen sein". Denn dann müssten noch die Nationalparlamente darüber abstimmen.
    McAllister kritisierte die Forderung der Briten, zwar aus der Zollunion und dem Binnenmarkt aussteigen zu wollen, "diese Grenze dann aber unsichtbar machen zu wollen". "Ein Land, das die Eu verlässt, kann nicht besser oder gleich gestellt sein wie ein Mitgliedsland". Es gebe zudem Bedenken, ob eine Umsetzung dieses Wunsches überhaupt möglich sei.
    McAllister sagte, man respektiere den Ausstieg der Briten - auch wenn er ihn für einen "schwerwiegenden historischen Fehler" halte.

    Silvia Engels: Gestern ging in Brüssel die dritte Runde der Brexit-Verhandlungen zu Ende – mit ernüchterndem Ergebnis. Es gab keine wesentlichen Fortschritte bei den Kernthemen. Dazu gehören die Rechte von EU-Bürgern oder auch die Grenzregelung in Nordirland. Auch beim dritten Kernthema, der Frage, welche Abschlussrechnung Großbritannien durch den Austritt begleichen muss, geht es eher rückwärts. Noch im Juli hatte Großbritannien eigentlich im Grundsatz eingeräumt, es trage eingegangene finanzielle EU-Verpflichtungen über das Brexit-Datum hinaus mit. Nun will London offenbar seine Zahlung für das EU-Budget mit dem Austritt auch beenden. Am Telefon ist David McAllister. Er ist Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im EU-Parlament, gehört der CDU an und er hat zudem schottische Wurzeln. Guten Morgen, Herr McAllister.
    David McAllister: Einen schönen guten Morgen.
    "Verhandlungsrunde eine große Enttäuschung"
    Engels: Verstehen Sie noch, was die Briten da gerade machen?
    McAllister: Man darf nicht vergessen, dass solche Verhandlungen das erste Mal in der Geschichte der EU stattfinden, und niemand hätte gedacht, dass die Verhandlungen und die Gespräche einfach werden. Aber ganz offensichtlich war diese Verhandlungsrunde eine große Enttäuschung und Michel Barnier hat zu Recht darauf hingewiesen, dass man weit davon entfernt sei, genügend Fortschritte zu sehen, um dem Europäischen Rat im Oktober empfehlen zu können, die Diskussion über die künftigen Beziehungen zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU dann auch mit der nächsten Runde zu beginnen. Die britische Seite muss liefern. Die Uhr tickt und vielleicht erfahren wir ja Neues beim Parteitag der britischen Konservativen am 1. Bis 4. Oktober. Dann hat ja Premierministerin May eine Grundsatzrede angekündigt.
    Engels: Sie sprechen die Zeitknappheit an. Eine umfassende Brexit-Vereinbarung vor dem Austritt der Briten im März 2019, ist das überhaupt noch zu schaffen?
    McAllister: Die Uhr tickt und der Zeitrahmen ist klar. Am 29. März 2019 wird das Vereinigte Königreich die EU aller Voraussicht nach verlassen müssen. Ich betone ausdrücklich leider: Ich halte Brexit für einen historischen schweren Fehler. Aber wir müssen die britische Position respektieren.
    Wenn wir aber den 29. März 2019 erreichen wollen, müssen auf technischer Ebene bis Oktober 2018 die Verhandlungen abgeschlossen sein, weil wir ja noch Zeit brauchen, um in den Mitgliedsstaaten, im Europäischen Parlament und auch im britischen Unter- und Oberhaus das Abkommen zu beschließen. Das heißt, wir haben jetzt noch knapp ein Jahr Zeit, nicht nur die Eckpunkte des britischen Austritts unter Dach und Fach zu bringen, sondern auch den Rahmen für die künftigen Beziehungen zu verhandeln. Jeder Tag, den wir verlieren, ist zum Nachteil, insbesondere zum Nachteil des Vereinigten Königreichs.
    Bedingungen für Phase zwei noch nicht erfüllt
    Engels: Sie haben eben auf den anstehenden Parteitag der britischen Konservativen verwiesen, von dem Sie sich vielleicht eine Weichenstellung versprechen. Kann Großbritannien so lange nicht konstruktiv verhandeln, solange die dortige Premierministerin May politisch so schwach ist?
    McAllister: Das habe ich nicht zu beurteilen. Frau May ist die britische Premierministerin und sie hat angekündigt, dass sie weitermachen will. Die vierte Verhandlungsrunde mit den Briten beginnt ja am 18. September. Ich glaube, wir müssen London noch deutlicher versuchen, klar zu machen, dass es erhebliche Differenzen gibt in dieser Phase eins, insbesondere was die finanziellen Verpflichtungen angeht. Das Enttäuschende in dieser Runde war ja, wie Sie das zu Recht beschrieben haben, dass es ja im Sommer schon so war, dass die Briten weiter waren.
    Sie haben ja im Grundsatz ihre finanziellen Verpflichtungen anerkannt. Nun sind sie der Auffassung, dass es sowohl bei den Rechtsgrundlagen wie auch beim Umfang der finanziellen Verpflichtungen offensichtlich keinen Fortschritt gegeben hat. Ich kann das nicht nachvollziehen und die Position der Europäischen Union ist auch klar. Wir werden erst mit der Phase zwei der Verhandlungen beginnen, wenn es eine politisch verbindliche Vereinbarung zu den Finanzen gibt, die auch nicht ohne weiteres gelöst werden kann.
    Briten müssen "gemeinsam festgelegten Regeln" folgen
    Engels: Aber was tun Sie, wenn die Briten sich hier weiterhin konsequent verweigern? Der Haushaltsplan der EU reicht noch bis 2020. Da stecken Verpflichtungen drin, beispielsweise Hilfen für die Ukraine. Aber die EU würde doch, wenn die Briten Nein sagen, einfach auf diesen Verpflichtungen sitzen bleiben, oder?
    McAllister: Aus unserer EU-Sicht soll eine einheitliche umfassende Schlussrechnung gebildet werden, und die umfasst dann nicht nur den EU-Haushalt, sondern auch die Beendigung der britischen Mitgliedschaft in anderen EU-Organen und Einrichtungen. Es geht um die Beteiligung an Fonds und Instrumenten der EU, zum Beispiel die Türkei-Fazilität oder der Europäische Entwicklungsfonds, und es geht auch um sämtliche, mit dem Austrittsprozess verbundenen Kosten.
    Eines ist klar: Wer die Europäische Union verlässt, muss das nach unseren, gemeinsam festgelegten Regeln tun. Dazu gehört es auch, die finanziellen Verpflichtungen zu begleichen. Da können wir nur hoffen, dass auch in der britischen Regierung die Ereignisse dieser Woche sorgfältig analysiert werden und dass wir weiter vorankommen. Solange das nicht passiert, können wir über die zweite Phase nicht sprechen. Zumindest ist das ganz offensichtlich die Empfehlung unseres Verhandlungsführers Michel Barnier für die Staats- und Regierungschefs für den nächsten Europäischen Rat am 19. Und 20. Oktober.
    Ohne Übergangsregeln wird es nicht gehen
    Engels: Sie sprechen die Grundsatzlinie der EU noch mal an: Erst die Abschlussrechnung, dann spricht man über die künftige Zusammenarbeit. Wie passt in diesen Zusammenhang die Idee, die jetzt von der britischen Labour-Partei zu hören war, Großbritannien zumindest für eine Übergangszeit vielleicht über den Austrittstermin in der Zollunion zu belassen, bis alles geregelt ist? Ist das ein möglicher Kompromissweg?
    McAllister: Das widerspricht sich nicht. Die Verhandlungsrichtlinien zum Mandat der Kommission sehen ja vor, dass die Phase zwei der Austrittsverhandlungen erst eröffnet werden kann, nachdem der Europäische Rat das Erreichen "ausreichender Fortschritte in der ersten Phase" festgestellt hat. Aber diese ausreichenden Fortschritte liegen doch nicht vor.
    In der zweiten Phase geht es dann um den Rahmen der künftigen Beziehungen mit dem Vereinigten Königreich, aber auch um Übergangsregeln. Und ich bin der gleichen Auffassung wie Vertreter der Labour Party, dass eines in jedem Fall klar ist: Ohne Übergangsregeln nach dem 29. März 2019, wenn London die EU verlassen hat, wird es nicht gehen. Denn eines eint uns doch hoffentlich, dass man unter keinen Umständen einen sogenannten Cliff Edge Brexit will, also einen Sturz von der Klippe, einen Sturz ins Bodenlose. Das hätte für das Vereinigte Königreich verheerende wirtschaftliche Konsequenzen. Ich höre allerdings nur noch sehr wenige Stimmen in London, die meinen, dass ein No Deal besser wäre als ein Bad Deal. Ein No Deal, das ist die schlimmste Option für das Vereinigte Königreich, und das vertreten eigentlich alle vernünftigen britischen Politiker auch nicht mehr.
    Die Europäische Union steht geschlossen
    Engels: Erst die Schlussrechnung, dann der nächste Schritt, wie man künftig wirtschaftlich zusammenarbeiten will. Das ist ja eine harte Position der EU. Natürlich gehört zu dieser Verhandlungsphase auch Pokern. Aber wann beginnt die Gefahr größer zu werden, dass Sie diese Linie in der EU nicht mehr halten können, weil vielleicht einige Mitglieder ausscheren?
    McAllister: Die Gefahr sehe ich nicht. Die Position der Europäischen Union ist von Anfang an klar. Wir haben bereits kurz nach der Erklärung des britischen EU-Austritts am 29. März Michel Barnier und seinem Team ein klares Verhandlungsmandat erteilt. Die EU hat in der Folge zu allen relevanten Themen Positionspapiere veröffentlicht, und das ist ja das Beeindruckende. Die Europäische Union steht geschlossen, und zwar alle 27 Mitgliedsstaaten, aber auch die drei europäischen Institutionen, der Rat, die Kommission und das Parlament arbeiten in allen wesentlichen Fragen vorzüglich zusammen. Wir stehen und wir müssen auch zusammenstehen, denn nur gemeinsam können wir diese Verhandlungen zum Wohle unserer Bürger und unserer Wirtschaft auch führen.
    Es geht dabei auch nicht darum, die Briten zu bestrafen. Im Gegenteil! Wir respektieren die Entscheidung des Vereinigten Königreichs, auch wenn wir sie sehr bedauern. Und das Vereinigte Königreich bleibt unser Nachbar, unser Partner, unser NATO-Verbündeter, und wir wollen auch zukünftig ordentlich mit den Briten zusammenarbeiten. Aber eines ist klar: Wir stehen für unsere Interessen ein und ein Land, das die Europäische Union verlässt, kann am Ende nicht genauso gut oder sogar bessergestellt werden als ein Mitgliedsland der Europäischen Union. Das würde unsere Fundamente vollkommen untergraben.
    "Den harten Brexit müssen wir respektieren"
    Engels: Aber hält es die EU durch, wenn diese Anspannung mit Großbritannien anhält, dass am Ende tatsächlich ein harter Brexit droht? Denn das hat ja auch Folgen für die deutsche und die europäische Wirtschaft.
    McAllister: Alle Beteiligten sind sich einig, dass wir diesen abrupten Brexit ohne jegliche Übergangsregelung verhindern wollen. Den harten Brexit, das Verlassen des Binnenmarktes und der Zollunion, das hat die britische Regierung nun selbst beschlossen. Auch das müssen wir respektieren. Aber wir sind klug beraten als Europäische Union, unsere Gemeinsamkeit weiterhin zu pflegen, und mein Eindruck war bislang, dass die Mitgliedsstaaten auch nicht bereit sind, sich in dieser Frage auseinanderdividieren zu lassen, obwohl es mit Sicherheit manche britische Versuche geben wird, genau das zu erreichen.
    "Risiko illegaler Warenimporte"
    Engels: Bei den drei großen Konfliktthemen, Abschlussrechnung, Rechte der EU-Bürger und die Frage der Grenze zwischen Nordirland und der Republik Irland, die ja dann eine EU-Außengrenze wird, gibt es kaum Bewegung, bis auf die Nordirland-Frage. Das wurde zumindest angedeutet. Gibt es da wenigstens ein bisschen Hoffnung, dass man hier eine Zuspitzung des Nordirland-Konfliktes im Zuge möglicher neuer Grenzkontrollen verhindern kann?
    McAllister: Das Thema nordirische Grenze ist ein hoch sensibles Thema und die Europäische Union hat das auch zu ihrem gemeinsamen Anliegen gemacht. Das ist nicht nur eine Frage zwischen der Republik Irland und dem Vereinigten Königreich. Mit Blick auf den Personenverkehr sehe ich eine Lösung durchaus kommen. Es soll ja das gemeinsame Reisegebiet, die sogenannte Common Travel Area, weiterhin Bestand haben, so dass auf Passkontrollen auf beiden Seiten verzichtet werden kann.
    Komplizierter ist es mit dem Warenverkehr. Die britische Regierung will ja den Binnenmarkt und die Zollunion verlassen. Das setzt zwangsläufig voraus, dass es dann eine Zollaußengrenze gibt. Und wenn ich die britische Position richtig verstanden habe, will man auf der einen Seite die Zollunion verlassen und damit eine Zollaußengrenze errichten, auf der anderen Seite aber genau diese Außengrenze dann wiederum unsichtbar erscheinen lassen. Man spricht ja selbst davon, eine sogenannte Electronic Border zu schaffen. Das heißt, es gibt zwar eine Grenze, aber für viele Produkte soll es keine Zollkontrollen geben und es soll auch alles möglichst unkompliziert erfolgen. Ob das praktisch umzusetzen ist, da haben nicht wenige in Brüssel Bedenken, denn es bleibt natürlich das Risiko illegaler Warenimporte, insbesondere das Unterlaufen von EU-Einfuhrzöllen, und das muss verhindert werden.
    Auf der einen Seite die Zollunion und den Binnenmarkt zu verlassen und damit zwangsläufig eine Grenze errichten zu wollen, und dann auf der anderen Seite zu sagen, aber genau diese Grenze wollen wir wiederum nicht haben, das ist ein gewisser Widerspruch, den die britische Seite zu beantworten hat.
    Engels: Bei den Brexit-Verhandlungen bleiben nach der dritten Runde mehr Fragen als Antworten. Wir ordneten das ein mit David McAllister von der CDU. Er ist der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Europäischen Parlament. Vielen Dank für Ihre Zeit heute Morgen.
    McAllister: Ich danke Ihnen auch! Auf Wiederhören.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.