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Debatte um Homosexualität in Tunesien
"Ehemann gehört zur Ehefrau"

In Tunesien wird kontrovers über Reformpläne debattiert, Homosexualität weniger streng zu bestrafen. Die einen sagen: "Homosexualität steht der Scharia entgegen, sie ist verboten.“ Die anderen sagen: Zumindest entwürdigende Analuntersuchungen müssen abgeschafft werden.

Von Anne Françoise Weber | 23.07.2018
    Die Hände eines Gefangenen an einem Gitterfenster.
    Homosexualität wird in Tunesien mit Haftstrafen geahndet (imago/CHROMORANGE)
    Als die Kommission für individuelle Freiheiten und Gleichberechtigung Ende Juni in Karthago ihren Bericht vorstellte, handelte Kommissionsmitglied Salwa Hamrouni das Thema Homosexualität recht schnell ab - ebenso einen zentralen Paragrafen des tunesischen Strafrechts. Artikel 230 besagt: Männliche und weibliche Homosexualität, in diesem Kontext verstanden als Akt zwischen zwei einwilligenden Erwachsenen an einem privaten Ort, werden mit drei Jahren Haft belegt. Dazu Salwa Hamrouni:
    "Der Vorschlag der Kommission in Bezug auf Artikel 230 ist, ihn zu streichen, aus dem einfachen Grund, dass dieser Artikel heute gegen die Verfassung verstößt, weil er das Privatleben nicht schützt und die körperliche Unversehrtheit nicht gewährleistet. Der Alternativvorschlag wäre, die Gefängnisstrafe in eine Geldstrafe umzuwandeln und auf Analuntersuchungen zur Beweisführung zu verzichten. Soviel zu Artikel 230."
    "Wer zur Homosexualität aufruft, stärkt Extremismus"
    Ziel der Kommission ist, das tunesische Strafrecht mit dem Diskriminierungsverbot der Verfassung und mit internationalen Abkommen zu harmonisieren - aber das trifft auf heftigen Widerstand, ebenso wie der Vorschlag der Kommission, das islamische Erbrecht zu verändern. Das neu gegründete "Nationale Netzwerk zur Verteidigung des Korans, der Verfassung und der fairen Entwicklung" sieht in den Vorschlägen klare Verstöße gegen den Islam. Eines ihrer Mitglieder, Abdellatif Chaieb, muslimischer Rechtsgelehrter und Imam in der Stadt Gabès, erklärt:
    "Homosexualität steht der Scharia entgegen, sie ist verboten. Denn sie entspricht weder der Religion noch der menschlichen Natur. Der Islam ist die Religion der natürlichen Ordnung; und die beruht darauf, dass Männer und Frauen jeweils besondere Eigenschaften haben. Homosexualität ist ein Angriff auf die Grundlagen der Familie. Manche sagen, da geht es um Freiheit. Aber wie kommt man auf so eine Idee? Unsere arabisch-muslimische Gesellschaft kannte nie solche Dinge. Das wirkt wie ein Import, der die Gesellschaft von unseren wirklichen Problemen ablenken soll. Das wirkliche Problem ist, dass sich die jungen Leute radikalisieren, weil sie nichts über die Religion wissen. Wenn man zur Homosexualität aufruft, stärkt man den Extremismus."
    Imam Abdellatif Chaieb
    Imam Abdellatif Chaieb hält Homosexualität für ein importiertes Problem (Deutschlandradio / Anne-Francoise Weber)
    Denn selbst Menschen, die nicht viel über die Religion wüssten, würden durch diese Diskussion über Homosexualität zu Angriffen verleitet. So erklärt der Imam auch die scharfen Attacken gegen Mitglieder der Kommission und vor allem deren Vorsitzende Bochra Belhaj Hamida, eine bekannte Feministin - ein Imam hat bereits dazu aufgerufen, sie zu steinigen. Dabei ist die Kommission sehr bemüht, Homosexualität nicht als "normal" darzustellen. Die Religionsanthropologin Iqbal Gharbi, ebenfalls Mitglied der Kommission:
    "Wir wollen diese jungen Leute nicht verfolgen, die nicht für ihre sexuellen Neigungen verantwortlich sind. Die Abschaffung der Verfolgung, der Gefängnisstrafe und der Analuntersuchung, die wirklich gegen die menschliche Würde verstößt, werden möglicherweise von der Gesellschaft akzeptiert. Wir haben aber wirklich nicht die Absicht, diese Praktiken zu fördern - niemals."
    Analuntersuchungen verletzen die Menschenwürde
    Doch allein den Umgang mit Homosexualität zu diskutieren, scheint für viele Tunesier schon eine Zumutung, obwohl sich in den vergangenen Jahren zunehmend Schwule, Lesben und Transsexuelle geoutet und gegen Diskriminierung protestiert haben. Doch konservative Religionsgelehrte führen die hohen Scheidungsraten in westlichen Gesellschaften als Argument dafür an, dass schwule und lesbische Partnerschaften die traditionelle Familie als Keimzelle der Gesellschaft in Gefahr bringen würden. Davon lässt sich der Imam Abdellatif Chaieb auch nicht abbringen, wenn man ihm von glücklichen Regenbogenfamilien erzählt:
    "Der Ehemann ist für die Ehefrau bestimmt. Gott hat Mann und Frau geschaffen und ihnen bestimmte, unterschiedliche Eigenschaften gegeben. Wenn man sich nun die Ehe einer Frau mit einer Frau vorstellt, ist es denkbar, dass eine solche Ehe, wenn sie die Regel wäre, die Gesellschaft stabilisieren könnte? Das ist eine Ausnahme, eine Abweichung von der Regel. Die Familie basiert darauf, dass Mann und Frau sich ergänzen. Sie basiert auf der gegenseitigen Anziehung und dem beidseitigen Bedürfnis nach dem anderen. Warum sollten wir die Regel außer Acht lassen und uns um die Ausnahme kümmern?"
    Doch nicht alle, die sich einem muslimischen Wertekanon verpflichtet fühlen, lehnen den Bericht rundweg ab. Mehrezia Labidi, Abgeordnete der sich muslimdemokratisch nennenden Ennahda-Partei, sagt deutlich, ihre persönliche Position entspreche nicht unbedingt der Parteilinie:
    "Ehrlich gesagt ist das auch eine Frage der Kultur. Offen gestanden lebe ich noch nicht so lange in Tunesien, ich habe über 30 Jahre in Frankreich gelebt und bin selbst von dieser Kultur geprägt. Ich habe noch kein Gespür dafür entwickelt, wie sich dieses Thema hier in der Gesellschaft zeigt. Aber in einem Punkt sollten wir uns alle einig sein: Man muss alle Maßnahmen abschaffen, die die menschliche Würde verletzen. Eine Analuntersuchung kann für mich durch nichts gerechtfertigt werden. Da wird gegen den freien Willen der Person und ihre Würde verstoßen. Das muss aufhören. Damit müssen wir anfangen."
    "Wir müssen eine Heilungsmöglichkeit finden"
    Der frühere Religionsminister Tunesiens hat dagegen rundweg erklärt, die Kommission würde in ihrem Bericht jegliches Moral- und Schamgefühl aufgeben, wenn sie über Homosexualität schreibe. Imam Abdellatif Chaieb ist da nicht ganz so kritisch - er versteht schon, dass sich die Kommission mit diesem gesellschaftlichen Phänomen auseinandersetzen müsse. Aber:
    "Für mich ist Homosexualität eine Ausnahmeerscheinung. Und man kann sie als kranken und nicht als gesunden Zustand betrachten. Anstatt Regeln dafür zu machen, müssen wir eine Heilungsmöglichkeit finden, eine Lösung. Das ist besser, als Gesetze zu erlassen und darüber zu diskutieren, ob es keine Strafe mehr geben soll. Wir müssen mit den Leuten reden und verstehen, was sie brauchen. Ich bin insgesamt nicht für Strafen, sondern dafür, dieses Phänomen zu heilen, weil es kein gesunder Zustand für die Gesellschaft ist."
    Noch sind die Vorschläge der Kommission nicht als Gesetzesinitiativen eingebracht worden. Sobald diese vorliegen, wird auch das tunesische Parlament noch heftig über den Umgang mit Homosexualität diskutieren. Ausgang ungewiss.