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Demokratie in der Krise
Legitimationsverlust bei den Zurückgelassenen und Enttäuschten

Der amerikanische Politologe Francis Fukuyama nannte die parlamentarische Demokratie einst konkurrenzlos. Jetzt widmet er sich der Krise dieses Systems, die sich im Aufkommen rechtspopulistischer Kräfte äußert. Der deutsche Historiker Paul Nolte sieht die Entstehung einer bedenklichen Gesellschaftsform.

Von Andreas Beckmann |
    Vor 25 Jahren profilierte er sich als Prophet des Siegeszugs der Demokratie. In seinem Bestseller "Das Ende der Geschichte" verkündete Francis Fukuyama, dass die Menschheit mit der Kombination aus liberaler Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Marktwirtschaft eine endgültige, weil optimale Staatsform gefunden habe. Doch seit ein paar Jahren schreibt der Professor für Politikwissenschaft aus Stanford in Kalifornien vor allem über die Krise der Demokratie.
    "1970 gab es weltweit ungefähr 35 demokratische Staaten. Aber beginnend mit dem Wandel in Spanien und Portugal und dann in Lateinamerika und schließlich mit dem Ende des Sozialismus ist diese Zahl immer weiter gewachsen, auf heute ungefähr 115 Demokratien. Doch in den letzten Jahren haben undemokratische Regime in der Weltöffentlichkeit an Prestige gewonnen, besonders Russland und China."
    Auch wenn diese beiden Länder Großmächte sind, sieht Fukuyama die Demokratie aber nicht von außen bedroht. Das war die Gefahr des 20. Jahrhunderts. Mit Sozialismus und Faschismus traten damals zwei Ideologien auf den Plan, die Massen für ein gesellschaftliches Gegenmodell begeistern konnten. Heute erhebt allenfalls der Islamismus einen solchen Anspruch. Aber Fukuyama hält ihn für chancenlos, da er außerhalb der muslimischen Welt kaum Anhänger finde. Wenn die Demokratie gefährdet sei, dann von innen her. Die Staaten verlören bei ihrer eigenen Bevölkerung immer mehr an Ansehen, weil sie sich zu oft als inkompetent erwiesen.
    Politik stellt keine Gerechtigkeit mehr her
    "Ein Beispiel ist das amerikanische Steuerrecht. Durch Abschreibungen senken Millionäre ihre Abgabenquote auf 15 Prozent, während Normalverdiener im Schnitt ungefähr 35 Prozent zahlen. Niemand hält das für gerecht, aber weder der Präsident, noch der Kongress schaffen es, das zu ändern, weil eine mächtige Lobby dem entgegen steht."
    Die Politik stelle in den Augen vieler Bürger keine Gerechtigkeit mehr her.
    "Die weiße Arbeiterklasse hat einen jahrzehntelangen Abstieg hinter sich. Ihr Realeinkommen ist heute niedriger als 1980. Arbeiter genießen kaum noch gewerkschaftlichen Schutz, ihre Stadtviertel verfallen. Kurz: Sie erleben kein soziales Zusammengehörigkeitsgefühl mehr."
    Deshalb, meint Francis Fukuyama, stimmten in diesen Tagen so viele zornige weiße Amerikaner für Donald Trump.
    "Das Problem im Moment ist eine Herausforderung ... des rechten Populismus, die eine Herausforderung der westlichen Demokratien insgesamt ist. Da sind ja doch erstaunliche Ähnlichkeiten zwischen dem Phänomen Trump und der Attraktivität der AfD. Da sehe ich das Hauptproblem in einem Legitimationsverlust der Demokratie in Schichten der Bevölkerung, die wir oft als Zurückgelassene, Enttäuschte, Frustrierte beschreiben."
    Zivilcourage zeigen für das demokratische System
    Der Berliner Historiker Paul Nolte sieht in AfD-Politikern wie Alexander Gauland oder Frauke Petry ähnliche Demagogen wie in Donald Trump. In ihren Versammlungen machten sie Systemverachtung populär und schürten damit antidemokratische Haltungen.
    "Die müssen wir ernst nehmen und sehr massiv auch konfrontieren und adressieren, aber auch das demokratische System deutlicher verteidigen und einschreiten und widersprechen, wenn Vorurteile geäußert werden, wenn es heißt, die Medien stecken doch alle unter einer Decke, die Politiker machen sowieso alle, was sie wollen. Dann heißt es, Zivilcourage zu zeigen. Das ist für mich alltagspraktisch der wichtigste Mechanismus, um damit umzugehen."
    Ähnlich wie Paul Nolte beklagt auch Francis Fukuyama die Polarisierung im Parteiensystem, weil sie es zunehmend schwerer mache, dass Gesellschaften einen gemeinsamen politischen Nenner finden könnten. Dennoch sieht er im Auftreten von radikalen Außenseitern nicht nur ein Problem.
    "Der Aufstieg von Trump zeigt doch, dass Lobbygruppen nicht alles bestimmen können. Das ist ja eine häufige und auch nicht völlig unberechtigte Behauptung. Aber alle großen Geldspenden bei den Republikanern gingen an Jeb Bush und trotzdem sammelt Trump die Stimmen ein. Das schafft er zwar nur, weil er selbst reich ist. Aber das zeigt doch: Das demokratische System ist grundsätzlich immer noch offen, auch wenn es nicht so repräsentativ ist, wie es sein sollte."
    Im Osten ist die Demokratie schon wieder in der Krise
    In bester amerikanischer Demokratietradition hofft Francis Fukuyama darauf, dass aus der Zivilgesellschaft heraus Basisbewegungen kommen werden, die anders als Trump ein vernünftiges Programm haben und die die Interessen der Mehrheit wieder stärker zur Geltung bringen.
    "Die Graswurzeldemokratie, die Menschen auf der Straße, die wir im Moment haben, die sind ja eher eine Gefährdung oder Herausforderung für die Demokratie."
    Paul Nolte sieht in Europa eher Parallelen zu der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen, besonders wenn er über Sachsen und Pegida weiter hinausschaut in Richtung Osten. Länder wie Polen oder Ungarn waren in den Zwanzigerjahren schon einmal zur Demokratie aufgebrochen, dann aber gescheitert. Nach der Wende von 1989 stecken ihre Demokratien auch jetzt wieder in der Krise. Ihre Regierungen versuchen gerade, eine neue Staatsform zu erfinden, die sie "illiberale Demokratie" nennen. Das heißt, es finden zwar noch Wahlen statt, aber wer die gewinnt, biegt sich die Verfassung so zurecht, wie er sie braucht. Damit wird die Grundlage jeder Rechtsstaatlichkeit beschädigt, wonach nicht nur die Bürger, sondern auch die Regierenden dem Recht unterworfen sind. Doch in beiden Ländern regt sich Widerspruch. Polens Gesellschaft ist angesichts der Proteste tief gespalten.
    Autoritäre Regierungen verlieren an Attraktivität
    "Der Grund, warum viele autoritäre Regierungen, egal wo, ob in Russland, in China oder auch in Venezuela, als sinnvolle Alternative zur Demokratie erschienen, war, dass die meisten in den letzten zehn Jahren die materielle Versorgung der Bevölkerung deutlich verbessert haben. Aber in all diesen Ländern geht der Boom zu Ende. Und damit, denke ich, verlieren all diese Gegenmodelle an Attraktivität."
    So unangefochten wie vor 25 Jahren steht die Demokratie nicht mehr da, aber Francis Fukuyama hält das politische Modell des Westens nach wie vor für überlegen. In diesem grundsätzlichen Punkt stimmt ihm auch Paul Nolte zu.