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Der politische Tod des Bo Yilai

Bo Xilai galt als aufsteigender Stern in der KP. Das Todesurteil gegen seine Frau Gu Kailai dürfte seine politische Karriere beendet haben, meint Eberhard Sandschneider, Chinaexperte der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Als Politiker habe er basisdemokratische Instrumenten eingesetzt, die der KP-Führung nicht gepasst hätten.

Fragen von Peter Kapern an Eberhard Sandschneider |
    Peter Kapern: Vor rund zwei Wochen, da war Gu Kailai von einem chinesischen Gericht für schuldig des Mordes befunden worden. Heute folgte nun das Strafmaß: Todesstrafe auf Bewährung, was im chinesischen Rechtssystem in der Regel bedeutet, dass das Todesurteil nach zwei Jahren in lebenslange Haft umgewandelt wird. Zwei Aspekte sind es, die diesen Prozess so spektakulär machen: zum einen das Opfer, ein britischer Geschäftsmann namens Neil Heywood, den Gu Kailai aus Habsucht vergiftet haben soll, und zum anderen die Täterin und ihre Stellung. Gu Kailai ist nämlich die Frau von Bo Xilai, und der wiederum war der mächtige Chef der Kommunistischen Partei in der Millionenmetropole Chongqing. Bo Xilai galt als aufsteigender Stern in der KP, bis er vor einigen Monaten aus dem Politbüro verbannt wurde und dann von der Bildfläche verschwand.

    Bei uns am Telefon ist nun Eberhard Sandschneider, er ist der China-Experte der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Guten Tag!

    Eberhard Sandschneider: Schönen guten Tag.

    Kapern: Herr Sandschneider, womit hatten wir es hier zu tun, mit einem ganz normalen Mordprozess, oder mit einer politischen Abrechnung, oder mit einer Kombination von beidem?

    Sandschneider: Letzteres, eindeutig mit einer Kombination von beidem. Da mag Frau Gu tatsächlich des Mordes schuldig sein, das kann von außen letztendlich niemand wirklich entscheiden. Die beiden Stimmen, die Ihr Korrespondent in Peking von ganz normalen Menschen auf der Straße eingefangen hat, geben das schon ganz gut wieder. Das ist im Vorfeld des 18. Parteitages eine machtpolitische Frage, das ist eine strafrechtliche Frage, es zeigt aber auch, wenn man den Prozess insgesamt betrachtet, das Strafrecht mag sich in China deutlich verbessert haben im Vergleich zu früheren Jahren, aber es bleibt nach wie vor ein sehr, sehr politisches Instrument und dafür steht der Fall Gu Kailai.

    Kapern: Sie sagten, rund um den Prozess habe es eine machtpolitische Frage gegeben. Das lenkt den Blick auf Bo Xilai, den Ehemann von Gu Kailai. Für welche Position stand er, warum ist er so plötzlich verschwunden?

    Sandschneider: Bo Xilai ist zunächst einmal der Sohn eines ganz berühmten Vaters. Sein Vater hieß Bo Ybo und war einer der Teilnehmer des Langen Marsches und im Übrigen auch einer derjenigen, der 1989 gemeinsam mit Deng Xiaoping für die Niederschlagung der Studentenbewegung gesorgt hat und damit nicht zuletzt den Ziehvater des jetzigen Ministerpräsidenten Wen Jiabao politisch herausgefordert hat. Insofern die Vermutung, dass da ein Stückchen weit auch Rachegelüste im Hintergrund stehen, lässt sich nicht von der Hand weisen. Sie lässt sich allerdings auch nicht beweisen. De facto hat Bo Xilai in den letzten Jahren fast nach westlichem Stil, wenn auch mit maoistischen Inhalten, Wahlkampf betrieben und er war einer der großen Bewerber für den künftigen inneren Führungskern der Kommunistischen Partei. Der ist jetzt bereinigt. Das heißt, im Vorfeld des 18. Parteitages ist bei der Gelegenheit gleichzeitig auch eine ganz wichtige machtpolitische Frage entschieden worden.

    Kapern: Was waren diese maoistischen Inhalte? Was muss man sich darunter vorstellen?

    Sandschneider: Na ja, man muss sich darunter vorstellen, dass er in Chongqing Versammlungen hat stattfinden lassen im alten Kampagnenstil, er hat maoistische Lieder singen lassen, er hat versucht, man würde bei uns sagen, durch den Druck von der Straße Stimmung zu machen für die Unterstützung seiner Kandidatur für den ständigen Ausschuss des Politbüros, und das ist vielen Spitzenpolitikern in China nach wie vor suspekt. Das Vertrauen sowohl beispielsweise in Internetdebatten als auch generell in basisdemokratische, würden wir sagen, Instrumente ist in der chinesischen Kommunistischen Partei praktisch nicht ausgeprägt. Wenn einer solche Instrumente einsetzt, der verstößt nicht nur gegen die Führungsprinzipien der Partei, sondern der nutzt auch ein Instrument, das allen anderen zutiefst suspekt ist, und das macht eine solche politische Aktion immer hochgradig gefährlich in China.

    Kapern: Kann man denn mit so einem Retro-Maoismus, den Bo Xilai da gepflegt hat, bei den normalen Chinesen auf einen grünen oder besser gesagt roten Zweig kommen?

    Sandschneider: Nicht wirklich. Die Menschen, die überwiegende Mehrheit der Menschen in China möchte, dass dieser Reformprozess, der dazu geführt hat, dass es ihnen allen materiell besser geht, auch fortgesetzt wird. Trotzdem wundert man sich manchmal, wenn man in Peking in ein Taxi steigt: In vielen Taxen hängen Bilder von Mao. Aber für diese Menschen ist Mao nicht der Massenmörder, ist Mao nicht der Verantwortliche für Kampagnen oder für die Kulturrevolution, sondern ist Mao der Staatsgründer, derjenige, der 1949 verkündet hat, China habe sich erhoben. Da leidet die Person Mao darunter, dass es sowohl stalinistische Elemente in ihm gibt als auch leninistische Elemente in ihm gibt. Auf den Lenin, auf den Staatsgründer beziehen sich diese Leute. Damit kann man tatsächlich noch Zuspruch gewinnen. Aber die Politik Maos, die findet keinen Zuspruch mehr unter der breiten Masse der chinesischen Bevölkerung.

    Kapern: War Bo Xilai in diesem Sinne ein Einzelkämpfer, oder steht er für eine größere Gruppe, die eine solche Politik innerhalb der KP Chinas verfolgt?

    Sandschneider: Das ist von außen unglaublich schwer einzuschätzen. Zunächst einmal wirkt er wie ein Einzelkämpfer. Er war auch der einzige Politiker, der solche Instrumente aktiv gewählt hat. Er hatte ein fast bestechendes öffentliches Auftreten, übrigens auch im Ausland. Er spricht fließend Englisch, er spricht frei, er stützt sich nicht auf ein Redemanuskript, völlig ungewöhnlich für Politiker seiner Klasse in China. Aber auf der anderen Seite muss man davon ausgehen, die Familie Bo ist bestens vernetzt in China und solche Familiennetzwerke bestimmen nach wie vor chinesische Politik, häufig in der Kombination, die man bei diesem Ehepaar auch beobachtet: Der Mann macht die politische Karriere und sichert die wirtschaftlichen Aktivitäten seiner Frau, seiner Kinder, seiner Enkel, seiner Neffen politisch ab. Das war der Mechanismus des Ehepaars Bo/Gu und insofern ist die enge Verbindung auch gegeben. Da ist die eine für die Wirtschaft zuständig und der andere für die Politik. Wenn einer von beiden stürzt, stürzt das Netzwerk mit.

    Kapern: Was ist denn dran an den Korruptionsvorwürfen gegen Bo Xilai?

    Sandschneider: Wissen wir nicht genau. Solche Korruptionsvorwürfe hat es immer wieder gegeben, durchaus auch berechtigt. Die Wahrscheinlichkeit, dass es zu Korruptionsfällen gekommen ist, ist relativ hoch, aber ein offizieller Nachweis, der lässt sich natürlich von außen praktisch nicht führen. Die Geschäftsleute, die mit ihm zu tun hatten und gelegentlich aus ihren Erfahrungen berichten, haben in Ansätzen Berichte zu liefern, die den Verdacht der Korruption schon nahelegen. Nachweisen kann man das von außen praktisch nicht.

    Kapern: Ist sein politisches Schicksal jetzt besiegelt mit dem Todesurteil gegen seine Frau?

    Sandschneider: Das politische Schicksal von Bo Xilai dürfte besiegelt sein. Die spannende Frage ist, wie die Partei nun mit ihm umgeht. Ich würde vermuten, dass vor dem 18. Parteitag an dieser Stelle keine zumindest nach außen dringende Entscheidung gefällt wird. Das würde letztlich vermutlich zu viel Unruhe in die ohnehin schon sehr unruhige parteiinterne Situation bringen. Ob man tatsächlich auch einen Prozess gegen ihn anstrengt, wird sehr davon abhängen, wie die machtpolitischen Verhältnisse nach dem 18. Parteitag aussehen. Es kann aber schlicht und ergreifend auch sein, dass Bo Xilai in der Versenkung verschwindet und nicht wieder auftaucht.

    Kapern: So wie Sie das schildern, Herr Sandschneider, kann ja dieses Urteil gegen Gu Kailai sehr nützlich sein, oder es ist sehr nützlich für diejenigen in der KP, die Bo Xilai nun dauerhaft ausschalten wollen. Ist eigentlich nun völlig auszuschließen, dass dieser ganze Mordvorwurf nur konstruiert ist?

    Sandschneider: Nein! Wir spekulieren, die Medien spekulieren, auch in China wird spekuliert. Effektiv wissen und nachweisen, überprüfen im westlichen Sinne eines strafrechtlichen Verfahrens, wo Indizienbeweise gestellt werden, das ist im chinesischen Kontext nicht gegeben. So weit ist das chinesische Strafrecht auch noch nicht, eben weil es zu sehr politisiert ist. Die Vermutung, dass dahinter nicht nur ein strafrechtliches Delikt steht, das hätte man unter normalen Bedingungen sicherlich vertuschen können, und vielleicht war das auch die Absicht von Gu Kailai. Die Vermutung, dass machtpolitische Überlegungen dahinter stehen, dass das ein wunderbarer Anlass ist, einen der wichtigsten Bewerber um den inneren Führungskreis in Zukunft schlicht und ergreifend politisch auszuschalten, diese Vermutung liegt nahe und ist nach meiner Einschätzung auch sehr, sehr wahrscheinlich.

    Kapern: Eberhard Sandschneider war das, der China-Experte der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Herr Sandschneider, vielen Dank, dass Sie sich heute Mittag ein paar Minuten Zeit für uns genommen haben, und schönen Gruß an den ganz jungen Hörer da im Hintergrund.

    Sandschneider: Wunderbar! – Danke sehr!

    Kapern: Auf Wiederhören – tschüß!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.