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"Der Rückgang ist sehr deutlich"

Über die Auswirkungen von Pestiziden auf die Natur sei noch immer zu wenig bekannt, sagt Dr. Matthias Liess vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung Leipzig. Der Wissenschaftler hat die Biodiversität an Bächen und Flüssen untersucht und festgestellt, dass Chemikalien zahlreiche Tierarten vertreiben oder töten.

18.06.2013
    Arndt Reuning: Pestizide gehören zu den Chemikalien, die ökotoxikologisch am besten untersucht sind. Bevor sie für den Gebrauch auf dem Acker oder auf der Obstplantage zugelassen werden, wird im Labor ausgiebig getestet, wie diese Pflanzenschutzmittel auf jene Tiere wirken, die nicht damit bekämpft werden sollen. Trotzdem wissen wir immer noch nicht genug darüber, welche Auswirkungen Pestizide in der Natur haben können, sagt zumindest Dr. Matthias Liess vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung Leipzig. Er stützt sich dabei auf Daten, die er heute zusammen mit einigen Kollegen im Fachblatt "PNAS" veröffentlicht - Daten zur Biodiversität an Flüssen und Bächen. Ich habe vor der Sendung mit ihm telefoniert und wollte wissen, welche Wissenslücken er identifiziert hat.

    Matthias Liess: Das Entscheidende, und was wir auch in dieser Veröffentlichung deutlich gemacht haben, ist, dass es offensichtlich sehr starke Wirkungen von Pestiziden auf die Biodiversität im Freiland gibt, dass diese Wirkungen vorhanden sind und dass sie bestimmte Arten reduzieren, empfindliche Arten reduzieren und insgesamt die Biodiversität vermindern. Das hätte man so bisher jetzt noch nicht gedacht.

    Reuning: Von welchen Tierarten sprechen wir denn hier?

    Liess: Wir sprechen von Invertebraten. Das heißt also Käfer, Schnecken, Libellen und alle kleinen Wassertiere, die so in Fließgewässern vorkommen.

    Reuning: Und von welcher Größenordnung ist denn dieser Rückgang der Arten?

    Liess: Der Rückgang ist sehr deutlich. Das heißt also, dass nur etwa die Hälfte von Arten insgesamt vorhanden ist in den belasteten Gewässern und dass ein sehr hoher Anteil der Gewässer als so derartig belastet eingestuft werden kann.

    Reuning: Wie kommen Sie denn zu diesen Zahlen? Ungefähr die Hälfte haben Sie gesagt.

    Liess: Naja, wir machen einfach Monitoring-Untersuchungen. Das heißt also, wir haben in den letzten Jahren Untersuchungen durchgeführt im Freiland, wo wir einerseits die Pestizide gemessen haben und auf der anderen Seite die Gemeinschaften in den Gewässern aufgenommen haben. Und das ist etwas, was bisher sehr wenig gemacht wird. Dort haben wir eben festgestellt, dass diese Pestizidmengen diesen starken Rückgang an Arten verursachen.

    Reuning: Das heißt, Sie haben die Artenvielfalt an unterschiedlich belasteten Gewässern gemessen und dann mit der Pestizidbelastung in Zusammenhang gesetzt. Ist das denn jetzt die erste Studie dieser Art oder gab es schon vorher Untersuchungen, wie Pestizide die Artenvielfalt beeinflussen?

    Liess: Wir haben in den letzten wenigen Jahren herausgefunden, welche Arten besonders empfindlich gegenüber Pestiziden sind und haben dort schon in anderen Untersuchungen festgestellt, dass bestimmte Arten - die, die empfindlich sind - reduziert werden durch Pestizide. Diese Untersuchung zeigt jetzt erstmalig, dass die gesamte Biodiversität durch die Pestizide reduziert wird.

    Reuning: Was heißt das nun für die gängige Praxis, wie das Umweltrisiko dieser Substanzen abgeschätzt wird?

    Liess: Naja, das ist eben ein Punkt, den man in Zukunft verändern muss. Ich denke, es ist bisher so, wie Sie das am Anfang auch schon gesagt haben: Die Wirkung von Pestiziden wird im Wesentlichen in Laboruntersuchungen und in labornahen Testsystemen untersucht. Man muss tatsächlich rausgehen. Man muss schauen: Wie wirken die Pestizide im Freiland? Um dann wirklich eine richtige Vorhersage machen zu können. Und das Problem, warum man diese Vorhersage aufgrund von Laboruntersuchungen nicht machen kann, ist ganz einfach das, dass viele Stressoren, also viele Anforderungen an die Organismen, die im Freiland vorhanden sind, im Labor eben nicht vorhanden sind. Und das ist so ähnlich wie wenn Sie jetzt zwei Flaschen Bier trinken vorm Fernsehsessel - dann ist das überhaupt kein Problem. Wenn Sie dann aber mit diesen zwei Flaschen Bier intus über eine viel befahrene Straße gehen wollen, dann wird es zum Problem - weil eben dann Anforderungen an Sie gerichtet sind. Und das ist genau das gleiche mit den Organismen.

    Reuning: Diese Erkenntnisse - was bedeuten Sie für die Zulassung von solchen Produkten?

    Liess: Die Zulassung sollte in Zukunft solche Erkenntnisse mitberücksichtigen. Das heißt also, man sollte, nachdem ein Insektizid oder ein Pestizid zugelassen worden ist, im Freiland Monitoring-Untersuchungen durchführen, schauen, was die tatsächlich im Freiland bewirken, um dann eventuell die Zulassung aufgrund so einer Überprüfung anzupassen.


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