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Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin
Einfluss der technischen Revolution auf die Medizin

Big Data, Telemedizin oder Pflegeroboter - die technische Revolution in Klinik und Labor birgt Chancen, aber auch Risiken für die Medizin. Die Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin hat beim Opinion Leader Meeting mit Wissenschaftlern und Politikern über neue Entwicklungen diskutiert.

Lennart Pyritz im Gespräch mit Christian Floto |
    Eine Augenoperation am Primorje-Zentrum für Augenmikrochirurgie in Wladiwostok.
    Technische Entwicklungen im medizinischen Bereich schreiten rasant voran. (picture alliance / dpa / Vitaliy Ankov)
    Christian Floto: Was waren die wichtigsten Trends in Klinik und Labor, die auf dem Meeting diskutiert wurden?
    Lennart Pyritz: Dazu hat mir am Telefon der Kardiologe Gerd Hasenfuß eine Einschätzung gegeben. Er ist Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin und hat das Meeting organisiert. Die wichtigste Erkenntnis sei die dramatische Beschleunigung in der Informations-Technologie:
    "Es gab vor zehn Jahren noch kein Smartphone. Heute gibt es über 100.000 Gesundheits-Apps. Die Menschen nehmen die an, informieren sich darüber, melden darüber ihre Daten und vernetzen sich gerne und tauschen sich aus. Das ist eine neue Grundphilosophie, auch in unserer Gesellschaft. Darin gibt's viele Vorteile, es gibt auch Risiken. Tatsache ist, dass die Menschen sich so entscheiden, und dem muss man folgen."
    Das führt dann zu riesigen Datenmengen - Big Data - über Bewegung, Puls, Blutzucker usw., über die Forscher und Mediziner künftig verfügen, und die dann neue Therapieansätze ermöglichen. Andere Aspekte waren lernfähige Roboter, die etwa in Japan bereits zur Pflege eingesetzt werden. Oder das Labor auf dem Chip, wo anhand eines Blutstropfens zahlreiche Tests gemacht werden können. Da geht es thematisch in die Telemedizin, bei der solche Chips oder Sensoren implantiert werden und über ein Computersystem kontinuierlich Daten übermitteln.
    Neuer Ansatz zur Therapie von Herinsuffizienz
    Floto: Auf dem Meeting wurde zum Thema Telemedizin beispielsweise ein neuer Ansatz zur Therapie von Herzinsuffizienz vorgestellt.
    Pyritz: Ja, bei Herzinsuffizienz ist oft der Druck in der Lungenschlagader erhöht. Und Mediziner haben nun einen Sensor entwickelt, der diesen Druck regelmäßig misst. Stefan Anker, Professor für Innovative Klinische Studien an der Universitätsmedizin Göttingen, hat mir das Verfahren am Telefon beschrieben. Der Büroklammer-große Sensor wird per Katheter in die Ader eingeführt. Energie bekommt er von außen per Ultraschall - ein in der Raumfahrttechnik entwickeltes System: Die Ultraschall-Quelle wird aktiviert, wenn sich der Patient zu Hause ins Bett legt. Dann misst und übermittelt der Sensor die Daten. Der behandelnde Arzt kann dann mit dem Patienten telefonieren und falls nötig die Medikamenten-Dosis frühzeitig anpassen. Eine Studie in den USA hat gezeigt, dass die Methode tatsächlich Klinikeinweisungen reduzieren kann. In Deutschland zählt sie allerdings nicht zur Regelversorgung.
    Echtzeit-MRT
    Floto: Ein anderes Thema war die Magnetresonanz-Tomografie - also ein bildgebendes Verfahren, um Struktur im Körper zu untersuchen - die künftig in Echtzeit erfolgen soll. Was hat es damit auf sich?
    Pyritz: Jedes Jahr gibt es weltweit etwa 100 Millionen MRT-Untersuchungen. Die eignen sich bislang allerdings nicht dazu, bewegte Vorgänge im Körper abzubilden. Dafür ist die konventionelle MRT zu langsam, weil sie sich aus vielen einzelnen Messungen mit Wartezeiten dazwischen zusammensetzt. Deswegen sollen die bestehenden Geräte auf Echtzeit-MRT nachgerüstet werden. Das Prinzip dahinter: weniger Einzelmessungen ohne Wartezeiten. Geschickte Mathematik macht es dann möglich, auch aus wenigen Messungen ein gut aufgelöstes Bild zu bekommen.
    Floto: Wo bringt diese Echtzeit-MRT Vorteile im klinischen Alltag?
    Pyritz:An der Erforschung und derzeitigen klinischen Erprobung der Echtzeit-MRT ist maßgeblich die Arbeitsgruppe von Jens Frahm am Max-Planck-Institut für Biophysikalische Chemie in Göttingen beteiligt. Er hat am Telefon ein paar Anwendungsbereiche genannt. Neben Gelenk- und Schluckbeschwerden besonders Untersuchungen des schlagenden Herzens unter Stress:
    "Es ist also durchaus möglich, dass wir in den nächsten Jahren völlig neue, einfache Testverfahren in die Herz-MRT-Untersuchung hineinbekommen. Dass Sie vielleicht für zehn Sekunden die Luft anhalten, den Druck auf den Thorax erhöhen. Oder dass Sie für zehn, 20 Sekunden auf einem Fahrrad-Ergometer im Magneten liegend strampeln, und dabei unmittelbar die Reaktionsfähigkeit des Herzmuskels untersuchen."
    Veränderungen für Arzt und Patient
    Floto: Wir haben es eingangs schon kurz angesprochen: Welche Chancen und Risiken birgt insbesondere die neue Datenflut durch die Informationstechnologie?
    Pyritz: Der Gesundheitsmarkt wird sich durch die Daten verändern. Der Weltkonzern Google zum Beispiel ist in diesen Markt eingestiegen und hat in den USA schon zahlreiche Biotechnologie-Firmen aufgekauft. Laut Professor Hasenfuß könnte auch die traditionelle "Boxenstopp-Medizin" zum Auslaufmodell werden:
    "Der Patient muss nicht zu jeder Laborbestimmung, zu jeder Blutzuckerbestimmung zum Arzt kommen, sondern er wird die Information kontinuierlich zur Verfügung stellen."
    Auch das Verhältnis, die Hierarchie zwischen Arzt und Patient, die Rolle von Experten in der Gesellschaft wird durch die Informationstechnologie beeinflusst.
    "Wir haben einen informierten Patienten. Es hat die Risiken, dass die Information für den Patienten nicht gefiltert ist, und dass dadurch natürlich auch Ängste entstehen. Und deswegen ist die Kommunikation Arzt-Patient auf diesem anderen Niveau in Zukunft natürlich immer noch ganz entscheidend."
    Wichtig ist bei alldem natürlich auch die Frage des Datenschutzes: Wer sollte wie Zugriff auf gesundheitsrelevante Daten haben? Da gibt es noch viel zu diskutieren.