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Deutsche Interessen auf dem Weltkindergipfel in New York

Köhler: Die Bildes sind bekannt. Somalische Kindersoldaten, nepalesische Kinderarbeiter, unterernährte Kinder in Nordkorea. Zuletzt hat es 1990 einen Weltkindergipfel gegeben, um die Situation von Kindern weltweit zu verbessern. Nun findet der zweite seiner Art in New York statt, und die Delegierte der Bundesregierung ist die Bundestagsvizepräsidentin, SPD-Politikerin Anke Fuchs. Guten Morgen, Frau Fuchs.

    Fuchs: Guten Morgen.

    Köhler: Etwa 170 Regierungen entsenden Vertreter, um über die Verbesserung der Situation von Kindern weltweit zu beraten und einen Aktionsplan zu entwerfen. Zunächst die Frage: Welches sind die drängendsten Probleme?

    Fuchs: Sie haben ja begonnen mit den Gewaltpotenzialen, die die Entwicklung von Kindern besonders beeinträchtigen. Insofern ist dieser Aspekt für uns mit der wichtigste, dass man nach zehn Jahren Konvention überprüft: Was hat sich eigentlich getan? Die Situation ist ja insbesondere für die Kinder in der Ditten Welt nicht besser geworden. Das heißt, kriegerische Auseinandersetzung zu verhindern und Kinder da raus zu nehmen, Landminen nicht mehr zuzulassen und dafür zu sorgen, dass Kinder nicht mehr mit Gewehren, um es etwas platt auszudrücken, aufwachsen. Das wird in der Sicherheits- und Außen- und Entwicklungspolitik das vorrangige Ziel sein. Aber wir sehen schon an der Erarbeitung der Dokumente, dass es gar nicht so einfach ist, dieses sozusagen weltweit zu ächten.

    Köhler: Sie sagen die Situation soll überprüft werden nach über zehn Jahren. Kindersterblichkeit wurde leicht gesenkt, Müttersterblichkeit nicht, und bei Ernährung, Hygiene und Bildung seien Fortschritte erkennbar, aber doch geringer als veranschlagt, beklagt UN-Generalsekretär Kofi Annan. Woran liegt das?

    Fuchs: Das liegt natürlich daran, dass das mit Geld zu tun hat und mit Macht zu tun hat, und dass man in den Entwicklungsländern nur schwer demokratische Strukturen einbauen kann. Dass natürlich auch unsere Art des Wirtschaftens nicht darauf ausgerichtet ist von Grund auf wirtschaftliche Entwicklung in den Ländern zu ermöglichen, sondern dass wir auch bei Investitionen nicht darauf achten: Welche Vor- und Nachteile hat dies für die Bevölkerung? Und die deutsche Entwicklungspolitik mit Heidemarie Wieczorek-Zeul hat ja neue Impulse gegeben, indem sie gesagt hat: Entwicklungspolitik und auch Wirtschaftspolitik muss dafür sorgen, dass Kinder ernährt werden, dass sie Bildungschancen haben, dass sie Wasser bekommen, dass sie überhaupt die Chance haben ein vernünftiges Leben zu bekommen. Und Sie kennen ja Entwicklungen bei den Vereinten Nationen, das dauert alles lange. Aber ich habe den Eindruck, dass das Bewusstsein noch verschärft werden wird, und das ist natürlich in so einem internationalen Geschäft schon ein Erfolg.

    Köhler: Nennen wir doch mal die Kinder beim Namen. Sie sprechen von der deutschen Entwicklungspolitik. Ausgerechnet Gastgeber USA verhält sich ja ziemlich restriktiv und auch ein Drittel der 190 Beitrittsländer schränkt durch sogenannte Vorbehaltsklauseln ein. Deutschland ist auch dabei. Warum diese Einschränkungen?

    Fuchs: Das sind innernationale Auswirkungen von internationalen Verträgen. Bei uns geht es darum, die Kinderrechtskonvention in dem einen Punkt der Flüchtlingskinder nicht ganz akzeptiert zu haben. Da haben wir sehr drum gerungen, und wir nehmen natürlich im Vorfeld wie auch nachher Herrn Schily noch mal ins Gebet, um zu erreichen, dass die Kinderrechtskonvention bei uns anerkannt wird. Wir haben auch im Deutschen Bundestag dazu einen Beschluss gefasst und wollen, dass der Vorbehalt zurück genommen wird. Man muss aber ehrlicherweise sagen, da geht es um die Frage: Was machen wir mit heranwachsenden Flüchtlingskindern, wenn wir sie noch wie Kinder behandeln? Gibt es Probleme, die man richtig einschätzen muss? Aber Sie haben völlig Recht an dem Punkt haben wir auch in der Bundesrepublik noch eine ganze Menge zu tun. Und die Kinder, auch Dominique, die sie ja auch schon befragt haben sind hart daran zu helfen, dass wir Verbesserungen erreichen können.

    Köhler: Frau Fuchs, ich würde gerne noch auf zwei Probleme zu sprechen kommen. Das erste: Wer wollte in modernen, aufgeklärten und entwickelten Gesellschaften wie unseren europäischen nicht gegen Kinderarbeit, gegen Kinderprostitution, gegen Arbeitssklaventum und Menschenhandel sein. Aber es gibt gewichtige kulturelle Einflüsse der einzelnen nationalen souveränen Staaten, sagen wir mal streng katholische Länder, ich nenne mal Polen und das Baltikum, die gegen Schwangerschaftsabbruch bei Minderjährigen sind, oder islamische Staaten. Kann man da sozusagen nur bis zur Hälfte des Weges kommen?

    Fuchs: Gerade die Geschichte Schwangerschaftsabbruch, die ist ja in Amerika jetzt wieder auch bei den Dokumenten, die wir haben, ein ganz schwieriges Thema. Man muss natürlich in internationalen Verträgen auch kulturelle und religiöse Gegebenheiten der Länder berücksichtigen. Aber das sagt natürlich überhaupt nichts dazu, dass Kinderarbeit die Entwicklung von Kindern stört. Und wenn wir, was jetzt hier ansatzweise Gott sei Dank endlich diskutiert wird, aus freiem Welthandel fairen Welthandel machen, dann müssen wir natürlich über die Arbeitsorganisation dafür sorgen, dass Kinderarbeit kein Wettbewerbsvorteil ist. Und dass man über diesen Weg auch den Entwicklungsländern hilft zu begreifen, dass es ein Minimum an Kultur auch Kindern gegenüber geben muss, wenn sie eine vernünftige Entwicklung nehmen sollen. Ich glaube deswegen, dass wir die Entschuldigungen nicht durchlassen gehen dürfen.

    Köhler: Abschließend eine Frage an die Rechtsexpertin Anke Fuchs. Es gibt das Logo "Kinderrechte sind Menschenrechte". Sie sprachen gerade von kulturellen und religiösen Gegebenheiten, die man beachten muss. Es ist ja richtig und sinnvoll, den Kindergipfel als logische Ergänzung der Menschenrechtsdeklaration von 48 voran zu treiben. Es gibt ja sogar die Erklärung der Rechte des Kindes vom November 52. Aber dem steht ja noch das Selbstbestimmungsrecht der Völker entgegen. Theoretisch gesprochen: Wenn ich anfange zu konkretisieren, Rechte einzufordern, dann schmälere ich ja die Universalisierung. Sehen Sie das Problem auch?

    Fuchs: Also wir müssen auch international Rechte durchsetzen. Und wenn Sie an die Diskussion zum internationalen Strafgerichtshof denken, und wer dabei war und wer nicht dabei war, dann sehen Sie, dass wir noch dicke Bretter bohren müssen. Wir dürfen nicht unter dem Deckmantel allgemeiner Formulierungen dem Einzelnen sein Recht auf Menschenrechte nehmen. Und die Balance muss gehalten werden, aber wir haben natürlich, bevor wir die Balance haben, eine ganze Menge zu tun, um auch Rechtsinstitute durchzusetzen, auf die Menschen sich berufen können. Und wenn ich noch mal die vier Delegierten erwähnen darf, die für uns hier auf dem Gipfel sind: Die sind in diesen Rechtsfragen topfit und wissen auch, was in der Bundesrepublik noch geschehen muss, damit zum Beispiel Kinder, die keine Familie haben, die herumvagabundieren, nicht irgendwohin geschleppt werden können, sondern auch dort Rechte haben, durch eigene Anträge ihr Leben in die Hand zu nehmen. Also, wir müssen auch an den Rechtsinstituten hartnäckig arbeiten und dürfen das nicht so hinter der globalen Staatsräson verstecken.

    Köhler: Sie klingen sehr zuversichtlich und sprachen gerade von den dicken Brettern. Fürchten Sie nicht auch ein bisschen, dass das Brett vielleicht brechen könnte?

    Fuchs: Es bricht natürlich. Wir werden beginnen und der Nahost-Konflikt wird natürlich auch in diesen Kindergipfel hinein spielen. Dennoch, wir als Bundesrepublik Deutschland sind mit unserer europäischen Integration, mit dem, was wir auch international versucht haben, eine Erfolgsgeschichte, und ich bin sehr zuversichtlich, dass Dicke-Bretter-Bohren das einzige ist, was hilft. Nehmen Sie bei uns in der Bundesrepublik das Thema Vereinbarkeit von Beruf und Familie durch Ganztagsschulen: Nach dreißig Jahren sagen endlich alle "Ja, das wollen wir". Also, man muss weiterhin dicke Bretter bohren und muss sich auch Erfolgsgeschichten heraussuchen. Und unsere Kinder, die hier sind, haben das eigentlich schon ganz gut begriffen. Und wenn wir zurück kommen, müssen wir mit ihnen sehr aufpassen, dass sie nicht enttäuscht sind. Sie müssen ja wieder zurück nach Deutschland und dort auch berichten. Das ganze ist eine sehr gute Veranstaltung geworden und das finde ich eigentlich sehr schön.

    Köhler: Anke Fuchs, Bundestagsvizepräsidentin, Sonderdelegierte der Bundesregierung beim UN-Kindergipfel in New York.