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Die außergewöhnliche Freundschaft eines Widerstandskämpfers

Marek Edelman versuchte 1943 das Undenkbare: den Aufstand gegen die deutschen Besatzer im Warschauer Ghetto. Er überlebte - und blieb lebenslang politisch aktiv. Doch fast wäre der Kämpfer einsam gealtert. Mit einem befreundetem Paar pflegte Edelmann bis zum Schluss die Erinnerungen an den Aufstand.

Von Sabine Adler | 19.04.2013
    Der Film im Warschauer Historischen Jüdischen Museum erzählt die Geschichte des überaus mutigen wie aussichtslosen Kampfes. Marek Edelmann, damals 24 Jahre alt, gehörte zu den Anführern. Vier Wochen leisteten sie Widerstand, fast alle bis zu ihrem Tod. Marek Edelmann gelang die Flucht durch die Kanalisation.

    Ein Jahr später warf er sich wieder in eine Schlacht David gegen Goliath, erneut gegen die Deutschen. Panzern gegen Gewehre. Als auch der Warschauer Aufstand niedergeschlagen war, brannten die Besatzer wie schon beim Ghetto auch noch den Rest der Stadt nieder.
    Aber mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges war für die Polen die Odyssee noch immer noch vorbei.

    "Für die Nachkriegszeit wurde Kielce zum Symbol. Er sah, dass der Holocaust, keine Warnung war, dass Stereotype stärker als alles sind."

    Edelmann, inzwischen angehender Arzt, fuhr nach Kielce, versorgte die Opfer des Pogroms. Weder damals noch nach den Studentenunruhen 1968, als Juden aus dem sozialistischen Polen gedrängt wurden, wollte er Polen verlassen. Er ließ seine Frau mit den Kindern allein nach Paris ziehen. Und schloss sich erneut dem Untergrund an, der erste, der erfolgreich war. Die Solidarnosc hatte die ersten zumindest teilweise freien Wahlen erkämpft.

    Es war 2006, als Marek Edelmann bei den Sawickys klingelte. Mit ihnen war er seit Jahren befreundet, stand, wie so oft vor ihrer Tür. Dieses Mal wollte er bleiben. Für den Rest seines Lebens.

    "Das war so selbstverständlich. Er hatte ohnehin ein Zimmer bei uns, er fragte nie, ob er kommen konnte, aber dieses Mal rief er vorher an, sagte, dass er kommt. Anstatt mit einer Reisetasche stand er mit einem Koffer vor der Tür. Er sagte nicht, dass er für immer bleiben wollte, er tat es. Damals war er schon krank."

    Der mutige Kommandeur des Ghetto-Aufstands fürchtete, einsam zu sterben. 3 Jahre, bis zum Schluss, haben Paula Sawicka und ihr Mann Marek Edelmann bei sich gepflegt.

    Aus Edelmans Sicht gibt es keine Helden

    Solange es ging, legten sie mit ihm an jedem 19. April Narzissen am Ghettodenkmal nieder, 66 Jahre lang, egal ob rundes Jubiläum oder nicht.

    Kein einziges Mal ließ er sich herumreichen auf den offiziellen Gedenkfeiern, erinnert sich Paula Sawicka.

    "Wenn er nach Heldentaten gefragt wurde, sagte er, dass es die nicht gibt. Nur Situationen, in denen man sich entscheiden muss. Wenn ein Kamerad nur durchkommt, wenn du ihm Feuerschutz gibst, greifst du zu Waffe.

    Er sprach nie über sich. Fragte nur: Was tust du:
    Lässt du die Luke zum Bunker offen für einen Verletzten oder schließt du sie, um alle anderen zu retten. Er hatte keine Angst vor schweren Entscheidungen, auch als Arzt nicht."

    Mit dem ehemaligen Anführer des Ghetto-Aufstandes lernte sie ihr Warschau von einer ganz anderen Seite kennen.

    "In der Altstadt, die originalgetreu wiederaufgebaut wurde, zeigte er mir verschiedene Plätze und sagte – Schau mal, hier habe ich gekämpft. Er erzählte dann keineswegs Kriegsgeschichten, sondern wie er bestimmte Situationen überlebte."

    Sie verteilen gelbe Blüten aus Papier - wie seine Narzissen am Denkmal

    Edelmann, der in Polen ein bekannter Kardiologe geworden war, wollte Paula Sawicka weniger von den Schlachten, als vielmehr von der Liebe erzählen, der Liebe im Ghetto.

    "Unter Liebe verstand er, was half, ein Mensch zu bleiben, seine Würde zu bewahren, anderen nah zu sein, Verantwortung für sie zu tragen. Freundschaft, Liebe nicht nur zwischen Mann und Frau, auch zwischen Kindern und Eltern, Geschwistern, zunächst Fremden, die jemand anders brauchten."
    "Wenn etwas Schlimmes geschieht, darf man sich nicht abwenden. Denn wenn man Zeuge von etwas Bösem wird, macht man sich mitschuldig, weil man das Böse nicht verhindert hat."

    Paula Sawicka trug Marek Edelmanns Erzählungen in einem Buch zusammen, es ist auch eine Familiengeschichte.

    "Irgendwann gehörte er zur Familie. Wir haben zwei Mädchen adoptiert und außer den beiden dann eben noch ihn."
    Heute verteilen junge Helfer in ganz Warschau gelbe Blüten aus Papier. Zur Erinnerung an Marek Edelmann, der meist Narzissen am Ghetto-Denkmal niederlegte. Die Schar, die ihn dabei begleitete, wurde von Jahr zu Jahr größer. Zum vierten Mal gehen sie heute ohne ihn.

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