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Die "eiserne Kanzlerin der Herzen" und der gefühlsfreie Franzose

Merkozy ist passé. Nicht nur in Sachen Namenskombination dürfte es zwischen der Konservativen Angela Merkel und dem Sozialisten Francois Hollande nun schwieriger werden als zuvor. Auch deshalb sind die beiden momentan Hauptfiguren in den Artikeln vieler politischer Zeitschriften und Internet-Blogs.

Von Norbert Seitz | 16.07.2012
    Zwei Drittel der Deutschen sind mit ihr zufrieden. Damit erreiche sie Zustimmungswerte, die sonst nur jenseits der Politik zu haben seien. Angela Merkel - so beliebt wie Franz Beckenbauer, der Sommerwind oder der Osterhase. Schreibt der frühere Chefredakteur von "Cicero" und "Focus", Wolfram Weimer, über die "eiserne Kanzlerin der Herzen" im liberal-konservativen Blog "Achse des Guten":

    Bundeskanzlerin
    - ist sie lange gar nicht gewesen. Die Eurokrise erst hat Angela Merkel dazu gemacht. Davor war sie Darstellerin des Amtes, sie spielte politische Führung und also wechselte sie die Rollen und Meinungen. Sie wollte oder konnte nicht voran gehen, sondern entschied sich für eine politische Strategie des Moderierens
    - Doch die Chamäleonphase der Merkelschen Regentschaft ist vorbei
    - Schafft sie es tatsächlich, Europa zusammenzuhalten und auf einen Pfad der langfristigen Sanierung zu führen, zugleich aber Deutschland vor der Ausplünderung zu schützen, dann wird sie eine große Kanzlerin.


    Langsam scheinen sich die Rätsel aufzulösen, die die Kanzlerin ihren Kritikern über lange Zeit aufgegeben hat. Sie verkörpere den "sedierenden Zug in der politischen Kultur Deutschlands in einzigartiger Weise", befindet zum Beispiel der Berliner Kulturredakteur Thomas E. Schmidt in seinem Essay für die liberale Kulturzeitschrift "Merkur":

    Sie ist eine langweilige Politikerin mit großer Beliebtheit. - Und doch prägt die Physikerin den Stil: nüchtern, vernunftgeleitet, machtbewusst und durchsetzungsfähig. Sie strahlt dabei ideologielose Milde aus. Die Rechts-links-Kulturkämpfe sind mit ihr Vergangenheit geworden. Die Physikerin setzt auf Demoskopie, Stimmungsbilder in den Medien, auf emotionale Großwetterlagen und populäre Affektströme. Intuition spielt eine Rolle, eine machtsichere Witterung, die sich nicht länger mit traditionsbewehrten Prinzipien aufhält.

    Doch mit ihrer Dominanz auf europäischem Parkett provoziert Angela Merkel noch immer die Kritiker von links. Sie habe die Globalisierung nicht wirklich verstanden, konstatiert zum Beispiel der Blogger Jens Berger auf den linkssozialdemokratischen "Nachdenkseiten" Albrecht Müllers. Immer wieder müsse man sich die Frage stellen, auf welcher ideologischen Basis sie eigentlich zunächst Deutschland und mittlerweile ganz Europa vor sich hertreibe. Berger gelangt zu dem Schluss:

    ... Merkels Welt ist die Welt des Wettbewerbs, in der derjenige die Nase vorn hat, der am günstigsten produziert. In Merkels Welt gibt es keine Nachfrage – wer die günstig produzierten Waren kaufen soll, interessiert dort nicht. In Merkels Welt ist auch der Wohlstand der Arbeitnehmer nicht von Interesse – im Gegenteil, da die Einkommen der Arbeitnehmerseite ja immer auch die Kosten der Arbeitgeberseite sind, steht der allgemeine Wohlstand sogar zur Disposition. In Merkels Welt muss es dem Einzelnen als Menschen schlechter gehen, damit es uns als Volk besser geht. Du bist nichts, Dein Volk ist alles.

    Ihr eigentlicher Gegner heiße Francois Hollande, denn er wolle den "offenen Schuldensozialismus und die Enteignung deutscher Kapitalreserven", polemisiert Wolfram Weimer auf der "Achse des Guten".

    Aber auch Frankreich-Korrespondent Gero von Randow stellt sich auf "Zeit-Online" die Frage, ob es sich bei Hollande um einen "Ausbrecher" handele. Wird Deutschland jetzt eingekreist? Zerbricht gar die deutsch-französische Achse?

    Er betreibt Politik wie ein Käufer auf dem Spotmarkt, wo Rohstoffe in kurzfristigen Geschäften gehandelt werden, sagt ein ehemaliger Vertrauter. Hollande sei ein »geradezu klinischer Fall eines gefühlsfreien Politikers, der ganz Berechnung ist. Bindeglied zwischen Nord und Süd sei das Land vielmehr, so geht jetzt die Rede im Élysée-Palast und im Außenministerium Doch wer sich als Bindeglied« bezeichnet, sieht sich als Vermittler, nicht mehr als engster Partner. In der Diplomatie zählen die Nuancen, denn sie können sich schnell auswachsen, zu Unterschieden, Widersprüchen, Konflikten.

    Derweil wird Francois Hollande auf linkem Terrain noch immer die Rolle eines europäischen Hoffnungsträgers zugewiesen. Keinen "Langweiler" hätten die Franzosen gewählt, sondern "illusionslos einen ziemlich nüchternen Mann", meint der freie Publizist Rudolf Walther in den "Blättern für deutsche und internationale Politik", ohne jedoch verschweigen zu können, dass von dem Sarkozy-Nachfolger mehr als nur traditionelle Lösungsansätze erwartet werden:

    Hollande hat nun nicht nur eine Quadratur des Kreises zu lösen, sondern gleich mehrere Probleme, deren Lösung je eigene Quadraturen des Kreises beinhalten: Außenhandelsdefizit, Arbeitslosigkeit, EU-Fiskalpakt bzw. Schuldenbremse. Mit antizyklischen und keynesianischen Hausrezepten allein wird (er) die französische Krise so wenig meistern können wie Obama die amerikanische mit dem Drucken von Dollarnoten.