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"Die Europäische Kommission hat eine klare Antwort gegeben"

Es sei eine richtige Entscheidung, nicht zu den Spielen der Fußball-EM in die Ukraine zu reisen, sagt der CDU-Europaparlamentarier Daniel Caspary. Die Inkraftsetzung des Freihandels- und Assoziierungsabkommens sieht er derzeit als ein vollkommen falsches Signal.

Daniel Caspary im Gespräch mit Jasper Barenberg | 04.05.2012
    Jasper Barenberg: Weder EU-Kommissionspräsident Barroso, noch die anderen Mitglieder der Kommission werden in die Ukraine reisen, zu den Spielen der Fußball-EM dort. Auch Ratspräsident Herman van Rompuy hat gestern so entschieden und auch heute gibt es weitere Stimmen in dieser laufenden Diskussion.
    Die Bundeskanzlerin neben dem ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch bei einem Spiel der Fußball-Europameisterschaft, während die frühere Ministerpräsidentin Julia Timoschenko im Gefängnis die richtige Behandlung nicht bekommt, um ihre schwere Krankheit zu behandeln? Kaum vorstellbar. Und doch lässt sich Angela Merkel, die Bundeskanzlerin, ihre Entscheidung weiter offen, ob sie zur EM in die Ukraine reisen wird oder nicht – anders als die Spitzen der Europäischen Union. Über deren Entscheidung und die Folgen wollen wir jetzt in den nächsten Minuten mit dem CDU-Europaparlamentarier Daniel Caspary sprechen. Schönen guten Morgen.

    Daniel Caspary: Guten Morgen, Herr Barenberg.

    Barenberg: Herr Caspary, die Entscheidung der EU-Kommission und des Ratspräsidenten eine richtige Entscheidung?

    Caspary: Man kann sagen, sie ist richtig, denn es ist wirklich unvorstellbar, dass hohe Vertreter der Europäischen Kommission neben der Tribüne oder auf der Tribüne neben Herrn Janukowitsch sitzen und die Fußballspiele sich anschauen und diese Bilder dann innerhalb der Ukraine verwandt werden zu propagandistischen Zwecken. Aber auf der anderen Seite: jeder Besuch eines Politikers in der Ukraine kann dazu genutzt werden, dass man Kontakt aufnehmen möchte mit Vertretern der Opposition, mit Mitgliedern der ehemaligen Regierung, die im Gefängnis sind, und ich wünsche mir ganz klar, dass jeder Politiker, egal aus welcher Ebene, ob ein Abgeordneter, ob ein Regierungsmitglied, das in die Ukraine reist, nicht auf der Tribüne neben Herrn Janukowitsch sitzt, erstens, und zweitens, jeder muss einen Antrag stellen, ein Oppositionsmitglied im Gefängnis besuchen zu dürfen.

    Barenberg: Das verlangen Sie also von allen Politikern, die in die Ukraine reisen. Aber Sie haben schon Verständnis dafür, dass das jeder für sich zunächst einmal entscheiden sollte, vielleicht mit Blick auch auf die Mitglieder der Bundesregierung?

    Caspary: Ja das Erste ist, es ist ja noch ein paar Wochen hin bis zum Eröffnungsspiel und mir ist erst mal am Herzen, dass nicht die Sportler, die sich jahrelang auf dieses Event vorbereiten, unter den politischen Rahmenbedingungen in der Ukraine zu leiden haben. Und zweitens: Es ist noch Zeit bis dahin, die wir diplomatisch nutzen sollten. Es ist ja ein Riesendruck, der im Moment aufgebaut wird, und es geht ja primär nicht um einen Boykott, sondern es geht ja primär darum, Herrn Janukowitsch zu überzeugen, dass sein Weg der falsche ist – erstens. Es geht darum, auch dem Volk in der Ukraine zu zeigen, dass es angebracht ist, sich eben für Demokratie auszusprechen, dass im Moment auch das ganze Land an einer Weggabelung steht. Drittens geht es darum, Druck auszuüben wirtschaftlicher Natur. Das gefällt den Oligarchen in der Ukraine im Moment überhaupt nicht, dass beispielsweise unser Assoziierungs- und das Freihandelsabkommen de facto auf Eis liegen, das kostet jeden Tag Riesensummen, und vielleicht führt ja auch dieser Druck bis zur Eröffnung der Europameisterschaft noch zu dem einen oder anderen Ergebnis.

    Barenberg: Verstehen Sie in diesem Sinne auch die Ankündigung der Bundeskanzlerin, dass sie sich erst kurzfristig entscheiden will? Man kann darin ja den Versuch sehen, den Druck aufrecht zu erhalten, um noch etwas zu erreichen im Vorfeld.

    Caspary: Genau. Es laufen ja im Moment auch intensive diplomatische Gespräche, beispielsweise zwischen der Bundesregierung und der ukrainischen Regierung, denn ich sage noch mal: im Vordergrund steht ja nicht ein Boykott, sondern im Vordergrund steht, dass wir politische Ziele haben und das Erste ist mal das humanitäre Ziel. Es kann doch nicht sein, dass eine demokratisch gewählte ehemalige Regierungschefin, der Vorwürfe gemacht werden, die aus meiner Sicht nicht juristisch zu klären sind, sondern politisch zu klären sind, dass diese Frau im Moment unter absurden Verhältnissen wirklich krank im Gefängnis liegt, sie nur unzureichend behandelt werden kann. Hier ist es doch gut, dass die Bundesregierung im Gespräch ist, denn jetzt geht es vor allem mal um die Menschen.

    Barenberg: Auf der anderen Seite kann aber auch eine Entscheidung wie die der EU-Kommission Druck entfalten, Wirkung entfalten?

    Caspary: Ja klar! Deswegen es geht ja um beides. Im Vordergrund steht der Druck. Die Europäische Kommission hat eine klare Antwort gegeben und gesagt, sie kann sich überhaupt nicht vorstellen, diese Europameisterschaft zu besuchen, solange die Probleme nicht geklärt sind. Im Prinzip sagt doch die Bundesregierung nichts anderes, nämlich man wartet mit einer Entscheidung, bis man sehen kann, ob im Moment diese diplomatischen Bemühungen, die laufen, vielleicht doch noch fruchten, denn es geht doch wirklich darum: Wir müssen doch auf der einen Seite schauen, Sport ist Sport und Politik ist Politik. Ich halte es nicht für richtig, wenn gesagt wird, da besteht eine besondere Verbindung, sondern es ist doch auch so, dass die Sportler unter der Situation leiden. Glauben Sie denn, das macht den Mitgliedern der Fußball-Nationalmannschaft Spaß, unter solchen Verhältnissen ein solches Turnier zu bestreiten? Sicherlich nicht, und deswegen: Wir müssen den Druck aufbauen. Die Kommission macht das auf die eine Art und Weise, das ist ein hoher Druck. Aber ich wünsche mir, dass wir es noch schaffen bis zum Eröffnungsspiel, dass hier deutliche Signale aus der Ukraine kommen, dass man auf die Opposition in der Ukraine zugeht, dass man sich endlich wirklich mal mit der Frage auseinandersetzt, macht es denn wirklich Sinn und ist es ein Zeichen von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, dass hier Mitglieder ehemaliger demokratisch gewählter Regierungen wegen wirklich absurden Vorwürfen in Gefängnissen festgehalten werden und hier Demokratie mit Füßen getreten wird. Das ist es doch, worum es im Kern geht!

    Barenberg: Sie haben das Freihandelsabkommen mit ausgehandelt und Sie haben auch dafür gesorgt, dass die Abstimmung darüber im Europaparlament verschoben wird. Auch das Assoziierungsabkommen liegt ja auf Eis. Unter welchen Voraussetzungen können Sie sich vorstellen, diese Projekte wieder weiterzuführen oder zu Ende zu führen, muss man ja sagen?

    Caspary: Das erste ist, Herr Janukowitsch und seine Regierung müssen sich überlegen, in welche Richtung wollen sie gehen, und wenn sie sich entwickeln in die Richtung, in die sie sich im Moment entwickeln, nämlich scheinbar weg von westlichen Demokratie- und Rechtsstaatlichkeitsstandards, dann wäre es sicherlich ein falsches Signal, dieses Abkommen zu unterzeichnen. Aber ich wünsche mir, dass wir dieses Abkommen eben auch nutzen, um Druck zu machen. Es geht hier um Millionensummen jeden Tag, die den Wirtschaftsbeteiligten durch die Lappen gehen, entgangene Gewinne auch auf der ukrainischen Seite, und ich wünsche mir, dass mal ein deutliches Zeichen kommt, dass die Ukraine sich öffnen möchte für Demokratie, für Rechtsstaatlichkeit, dass wir nachhaltig sehen, dass ein Menschenrechtsdialog wieder stattfindet, dass vielleicht auch wirklich zu sehen ist, dass ein Interesse daran besteht, auch mit unseren Institutionen ins Gespräch zu kommen, wie kann man denn in einem Land, das ja ein wirklich langes kommunistisches Erbe hat, wo wir auch ganze Generationen von Menschen haben, die Demokratie nach westlichen Standards ja gar nicht kennen, wie schaffen wir es denn, dort unsere demokratischen Systeme, unsere menschenrechtlichen Werte, unsere rechtsstaatlichen Werte zu exportieren. Und da glaube ich schon, wenn da deutliche Zeichen kommen, dann ist das der Tag, an dem wir dieses Abkommen freigeben müssen, und ich kann mir da durchaus auch vorstellen, dass das Freihandelsabkommen ein erster Schritt ist und das Assoziierungsabkommen vielleicht dann ein zweiter Schritt. Aber im Moment sind wir leider in der Situation, dass es ja keine Annäherung gibt, sondern eher einen Weg voneinander weg, und deswegen wäre im Moment eine Inkraftsetzung dieser beiden Abkommen auf jeden Fall ein vollkommen falsches Signal.

    Barenberg: ... , sagt Daniel Caspary, Mitglied im Außenhandelsausschuss des Europaparlaments und Mitglied der CDU. Vielen Dank für das Gespräch.

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