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"Die Haltung muss sich ändern"

Der Zustand der Bahn zeige eine jahrelang verfehlte Politik, sagt Grünen-Verkehrsexperte Michael Cramer. Entscheidend sei die Abkehr von Großprojekten, hin zur Gestaltung und Unterhaltung des Netzes.

Michael Cramer im Gespräch mit Anne Raith | 11.01.2011
    Dirk Müller: Die Verkehrsminister der Länder machen weiter Druck gegen Peter Ramsauer, der verantwortlich ist auf Bundesebene. Es geht um die Bahn, um mehr als eine halbe Milliarde Euro. Die Länder bestehen darauf, dass diese Summe genutzt wird, um in die Infrastruktur zu investieren. Die Bundesregierung will hingegen das Geld für die Sanierung des Haushalts. – Meine Kollegin Anne Raith hatte Gelegenheit, darüber mit dem Grünen-Verkehrspolitiker Michael Cramer zu sprechen. Macht es ihm noch Spaß, Bahn zu fahren?

    Michael Cramer: Nein, im Moment nicht. Ich erzähle immer, wenn die Bahn pünktlich war, weil das offensichtlich die Ausnahme ist, und früher war das so, wenn die nicht pünktlich war, habe ich es erzählt.

    Anne Raith: Sie sind ja seit 1979 ohne Auto mobil, schreiben Sie auf Ihrer Internet-Seite. Nach den letzten Erfahrungen dieser Winterwochen könnte man sich fragen, wie gelingt Ihnen das.

    Cramer: Das ist natürlich ein Problem. Ich bin heilfroh, dass ich über Weihnachten keine Reisepläne hatte. Ich war zu Hause in Berlin, da war ja das Chaos mit der S-Bahn, wir hatten auch sonst Probleme, aber ich muss Ihnen auch sagen, im Flugverkehr hatten wir auch Probleme. Ich bin von Bukarest nach Wien geflogen und hatte sechs Stunden Verspätung.

    Raith: Schieben wir die Verantwortung jetzt zu Unrecht allein der Deutschen Bahn zu - Bahnchef Grube spricht ja von höherer Gewalt -, oder ist das, was wir erlebt haben, da ein Ergebnis einer jahrelangen verfehlten Politik?

    Cramer: Also es ist das Ergebnis einer jahrelangen verfehlten Politik. Wir haben ja jeden Winter Schnee. Es ist ja nicht so, als hätten wir in Deutschland und Mitteleuropa seit 100 Jahren zum ersten Mal Schnee gehabt. Das ist bekannt. Diese Probleme waren auch vorher nicht da. Es ist eindeutig eine Schlamperei einer Wartung in den letzten Jahren gewesen. Das Ergebnis haben wir jetzt. Wir kennen das aus Großbritannien, aus Estland und aus Neuseeland.

    Wenn die Infrastruktur privatisiert wurde, haben die Leute zunächst mal Rendite erwirtschaftet, und dann haben sie später festgestellt, es ist so marode, und haben dem Staat das Netz wieder zurückgegeben. Hier in Deutschland waren wir so dumm, dass wir im Grunde diesen Prozess vorher gemacht haben, vor der Privatisierung. Wir haben das Ergebnis. Das muss sich ändern. Die Bahn ist da für die Daseinsvorsorge und nicht, um Rendite zu machen, denn man könnte die Rendite steigern, wenn man auf 25 Prozent der Fahrgäste verzichtet, aber das wollen wir nicht.

    Raith: Jetzt räumt die Bahn ein, der Sparkurs sei bereits gestoppt und allein in den kommenden fünf Jahren sollen 41 Milliarden Euro in die Infrastruktur und neue Züge investiert werden. Wird das ausreichen, um die Versäumnisse der Vergangenheit wieder gut zu machen?

    Cramer: Man kann jetzt alles viel versprechen. Die Haltung muss sich ändern. Ich fordere drei Sachen: einmal, dass natürlich nicht immer die Hochgeschwindigkeit und die Großprojekte entscheidend sind, sondern die Fläche. Der größte Teil der Fahrgäste kommt aus dem Nahverkehr, 93 Prozent. Der Nahverkehr zahlt 84 Prozent der Stationspreise und 64 Prozent der Trassenpreise. Das wird von den Ländern aufgebracht, die haben aber keine Entscheidungsmöglichkeiten, irgendwelche Entscheidungen zu treffen auf die Investitionen. Wir müssen weg von den Großprojekten, hin zur Gestaltung, zur Unterhaltung des Netzes. Das müssen wir pflegen, das muss die oberste Priorität sein.

    Raith: Jetzt ist davon die Rede, auf die Gewinnausschüttung zu verzichten. Ist das für Sie eine Lösung, um eben dann zu reinvestieren?

    Cramer: Das ist ja nur die Spitze des Eisbergs. Es ist natürlich verrückt. In dieser Situation fordert Herr Ramsauer, die Bahn muss jetzt noch 500 Millionen an Rendite an den Staat zurückgeben. Wir haben sowieso ungleiche Verhältnisse. Wir haben eine Schienenmaut für jede Lokomotive auf jedem Streckenkilometer, egal ob Personen oder Güter befördert werden, die in der Höhe unbegrenzt ist. Die muss erhoben werden in Europa. Auf der Straße haben wir eine Straßenmaut. Da ist den Mitgliedsstaaten freigestellt, ob sie sie übernehmen. In Deutschland gilt sie nur auf Autobahnen nur für LKW ab 12 Tonnen. Wenn Herr Ramsauer Probleme hat, Geld zu haben, dann muss er die Straßenmaut verlagern: einmal auf alle LKW ab 3,5 Tonnen und auf alle Straßen, damit wir wenigstens einen fairen Wettbewerb haben. Dann hätten wir genug Geld, um das alles zu finanzieren, was notwendig ist, damit wir einen Betrieb auf der Schiene haben, der dem Anspruch gerecht wird.

    Raith: Aber kann und muss die Bahn bei Milliardengewinnen, die sie ja macht, selbst auch dafür Sorge tragen, ihre Strecken und Züge zu warten?

    Cramer: Natürlich. Die Bahn muss sich ändern mit der Einstellung. Wir müssen so schnell fahren wie nötig, nicht so schnell wie möglich. In der Schweiz wird eine Hochgeschwindigkeitsstrecke gebaut mit dem Effekt – und so wird es auch propagiert -, dass 70 Relationen dadurch kürzere Fahrzeiten haben. Da muss die Deutsche Bahn umdenken. Wir müssen in der Fläche denken, in den Verbindungen. Es nützt nichts, Milliarden auszugeben, um 10 Minuten schneller zu sein, und wenn mir der Anschluss nicht gelingt, dann habe ich eine Stunde oder zwei Stunden verloren. Das ist verrückt.

    Raith: Jetzt ist von Holger Krawinkel, dem Verkehrsexperten des Dachverbandes der Verbraucherzentralen, ein Vorwurf erhoben worden, dass die Europäische Union die Bahn in gewisser Weise mit ihrer geförderten Marktöffnung ja gerade in diese Situation getrieben hat.

    Cramer: Nein, das ist falsch. Die Marktöffnung, die ist sinnvoll. Nur die Infrastruktur muss in öffentlicher Hand bleiben. Und dass genau gerade die Deutsche Bahn den Börsengang fixiert hat, ohne Rücksicht auf Verluste, ohne Rücksicht auf die Fahrgäste, das ist Sache, Entscheidung der Deutschen Bahn, das war verkehrt. Denn wir wissen ja: Die Marktöffnung hat ja viel gebracht. Wir haben beispielsweise in Deutschland den Güterverkehr in den letzten Jahren um 25 Prozent gesteigert, in Holland um 42 Prozent, in Polen um 30 Prozent, während in Frankreich die den Markt abgeschottet haben, der Güterverkehr um 25 Prozent zurückgegangen ist. Das ist nicht die richtige Lösung. Wir brauchen den Wettbewerb, auch damit die Bahn sich anders verhält. Dem Monopolisten, an dem prallt alles ab. Nur der Wettbewerb hilft hier, Monopole in die Schranken zu weisen, und zwar egal ob sie staatlich oder privat sind.

    Raith: Aber der Konkurrenzdruck ist größer geworden, eben in der Heimat sozusagen möglichst viele Gewinne herauszuziehen, um dann im Ausland zu investieren.

    Cramer: Ja, genau, aber das ist eine Entscheidung der Deutschen Bahn, dass sie im Ausland investiert und glaubt, sie könnte beispielsweise die S-Bahn nur als Melkkuh benutzen, um das Geld zu haben für die Auslandsgeschäfte. Das Geld, was hier durch die Trassen- und Stationspreise erwirtschaftet wird, das muss natürlich in die Strecken fließen, wo das Geld auch aufgebracht wurde, und nicht in irgendwelchen ausländischen Investitionen oder in den USA.

    Raith: Herr Cramer, lassen Sie uns zum Schluss noch einen Blick in die Zukunft werfen. Eine Garantie für den nächsten Winter, so Bahnchef Grube, gebe es nicht. Müssen wir uns als Bahnfahrer also auch in Zukunft darauf einstellen, zu warten, wenn es Winter wird?

    Cramer: Offensichtlich, denn es ist keine Kritik da an der Unternehmenspolitik der Deutschen Bahn. Die habe ich von Herrn Grube nicht gehört. Es ist keine Umkehr da. Es wurde nicht gesagt, wir werden Überholgleise nicht mehr abbauen, Weichen nicht mehr ausbauen, sondern wir werden die Unterhaltung sichern. Das muss die Priorität sein. Wenn sich die Unternehmenspolitik nicht ändert, die Leute werden wieder abgehen von der Bahn und werden das Auto lieber nehmen, als sich praktisch auf den Bahnhöfen aufzuhalten, ohne zu wissen, wann ein Zug fährt.

    Müller: Bei uns im Deutschlandfunk-Interview der Grünen-Verkehrspolitiker Michael Cramer.