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"Die Landesregierung spart sogar Geld, wenn sie noch umsteigt"

Großes Lob gibt es von den Grünen für Heiner Geißler, auch werde dessen Schlichterspruch akzeptiert: Doch ob "Stuttgart 21" wirklich mit Veränderungen kommt, ist für Boris Palmer nicht sicher: Ein Umstieg auf den Kopfbahnhof bleibe billiger.

    Friedbert Meurer: Mitgehört hat einer der Gegner von "Stuttgart 21", Boris Palmer von den Grünen. Er ist Oberbürgermeister von Tübingen. Guten Morgen, Herr Palmer.

    Boris Palmer: Guten Morgen!

    Meurer: Haben Sie auch noch Respekt, höchsten Respekt vor Heiner Geißler?

    Palmer: Selbstverständlich. Allein die physische Leistung – er hat bis nachts um Elf oft getagt – ist fantastisch. Seine geistige Präsenz ist unerreicht und sein Knitzer Humor hat diese Verhandlungen überhaupt zu einem Erfolg geführt.

    Meurer: Und sein Schlichterspruch, ist der auch fantastisch?

    Palmer: Das ist er nicht, fantastisch nicht, denn wir wollten den Kopfbahnhof erhalten und hatten auch eine kleine Hoffnung, dass er sich dafür ausspricht. Aber der Schlichterspruch kann von uns akzeptiert werden, denn er sagt erstens, das Kopfbahnhof-Konzept ist wahrscheinlich besser, jedenfalls genauso gut wie "Stuttgart 21", nur hat man 15 Jahre am anderen Projekt gebaut und jetzt kann man nicht einfach umschwenken. Das ist ja zumindest logisch und spricht nicht gegen unsere Argumente. Und zweitens sagt er, "Stuttgart 21" in der geplanten Form ist tot, so wird es nicht gebaut, sondern wenn überhaupt, dann nur funktionsfähig, denn das war ja das eigentliche Ergebnis der Schlichtung, dass die Bahn eingestehen muss, dass das ein Bahnhof ist, der im Chaos versinken würde, wenn er tatsächlich in Betrieb geht, und der Stresstest wird dieses Szenario vermeiden. Das ist ein Erfolg, den die Bewegung sich wirklich zugutehalten kann.

    Meurer: Da ist sich Frau Gönner ja sicher, der Stresstest geht gut aus für die Bahn, und aus Sicht der Befürworter: "Stuttgart 21" kommt mit 100-prozentiger Wahrscheinlichkeit. Was glauben Sie?

    Palmer: Frau Gönner redet vermutlich davon, dass "Stuttgart 21" kommt, wenn die Regierung bestätigt wird im Frühjahr. Das glaube ich auch. Sollte es einen Regierungswechsel geben, dann gibt es jetzt gute Argumente für den Umstieg, denn es ist weiterhin besser und billiger, auf den Kopfbahnhof zu setzen. Und ich gehe eben davon aus, dass dieser Stresstest ein ganz anderes Ergebnis erbringt, aber sicher kann das niemand wissen, warten wir es doch einfach ab. Nach dem, was wir aber in den Schlichtungsgesprächen diskutiert haben, liegt derzeit die nachgewiesene Leistung bei etwa 38 Zügen in der Spitzenstunde, 49 sind jetzt gefordert, und wir erwarten, dass das sehr teuere und umfangreiche Nachbesserungen notwendig macht.

    Meurer: Die Bahn bekommt ja Gelegenheit zum Nachbessern. – Angenommen Sie gewinnen die Landtagswahl im März in Baden-Württemberg und angenommen der Stresstest kommt zu dem Ergebnis, die Bahn hat den Stresstest bestanden, was machen Sie dann?

    Palmer: Dann wird es schwieriger auszusteigen, weil dann wichtige Argumente weggefallen sind. Dann würde auch ich noch mal ins Grübeln kommen. Ich kann mir das aber nicht vorstellen nach den Ergebnissen der Schlichtung, die ja alle im Video online nachzusehen sind. Ich erwarte, dass es anders herum ausgeht, so teuere Nachbesserungen erforderlich werden, dass auch die Finanzierungsverträge nicht ausreichen und damit das Land eine neue Ausstiegsoption erhält, über die man – so schlägt es die SPD vor – dann das Volk entscheiden lassen kann.

    Meurer: Wie soll diese Ausstiegsoption beschaffen sein, Herr Palmer?

    Palmer: Es gibt eine Finanzierungsgrenze, die wird nach meiner Auffassung überschritten werden und dann muss nachverhandelt werden, wer bezahlt. Die Bahn wird kaum bezahlen, der Bund definitiv nicht, und wenn das Land dann sagt, wir zahlen auch nicht, dann gibt es einen Grund für eine Aufkündigung der Verträge.

    Meurer: Wird es dann ziemlich teuer für Baden-Württemberg, weil sozusagen die Rückbaukosten in die Milliarden gehen können, wie Heiner Geißler ja selbst sagt?

    Palmer: Auch das hat die Schlichtung gezeigt: Die echten Kosten im Sinne bereits ausgegebener Mittel liegen nur bei 600 Millionen Euro für den Ausstieg. Wir wissen, dass der Kopfbahnhof 21 genauso viel leisten kann wie "Stuttgart 21", aber selbst unter Anrechnung dieser 600 Millionen Euro mindestens einer Milliarde Euro, wahrscheinlich 1,5 Milliarden Euro billiger ist als ein funktionsfähiges verbessertes "Stuttgart 21". Das heißt, die Landesregierung spart sogar Geld, wenn sie noch umsteigt.

    Meurer: Am Samstag gibt es wieder eine Großdemonstration in Stuttgart. Machen Sie mit?

    Palmer: Diesen Samstag rufen nur die Parkschützer auf. Das Aktionsbündnis hat sich dagegen entschieden, sofort wieder zu demonstrieren. Das halten wir nicht für ein gutes Signal. Aber eine Woche später wollen wir demonstrieren für einen Baustopp, denn wenn jetzt erst nach 15 Jahren Planung untersucht wird, wie viele Gleise, Tunnel und Bahnsteige man eigentlich braucht, dann ist es die logische Konsequenz, dass man nicht einfach weiterbauen kann, als wäre nichts geschehen, sondern erst mal die Planungen zu Ende bringt. Man kann ja auch nicht ein Haus errichten ohne eine Prüfstatik, die Gefahr, dass es einstürzt, ist zu groß.

    Meurer: Mit welcher Stimmung rechnen Sie, die Ihnen seitens der Demonstranten entgegenschlagen wird, Ihnen persönlich?

    Palmer: Da werden manche enttäuscht sein, das verstehe ich auch. Viele Emotionen verbinden sich jetzt mit dem Kopfbahnhof und dessen Erhaltung. Es wird auch welche geben, die uns möglicherweise Verrat vorwerfen, denn wir haben ja im Grundsatz zugestimmt, mit der Ausnahme der Aussage, dass "Stuttgart 21" weitergebaut werden soll, weil wir notwendige Verbesserungen nur so erreichen konnten. Wir konnten damit jedenfalls das schlimmste vermeiden, es wird kein Chaosbahnhof errichtet. Aber das zu erklären ist schwierig und deswegen stelle ich mich darauf ein, dass wir auch sehr kritische Fragen erhalten, ob die Schlichtung sich gelohnt hat, oder nicht erst recht den Weg frei gemacht hat für "Stuttgart 21".

    Meurer: Boris Palmer, der Oberbürgermeister von Tübingen von den Grünen, zum Schlichterspruch Heiner Geißlers gestern zu "Stuttgart 21". Herr Palmer, besten Dank und auf Wiederhören!

    Palmer: Danke auch!


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