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Doping im Radsport
Früherer Teamarzt von Sky soll Testosteron verabreicht haben

Der einstige britische Vorzeigerennstall Sky, der jetzt Ineos heißt, gerät weiter in Bedrängnis. Der frühere Teamarzt Richard Freeman muss wegen Testosterongaben und folgenden Vertuschungsversuchen um seine Zulassung als Mediziner fürchten. Der Rennstall selbst schiebt alle Schuld auf den früheren Teamarzt.

Von Tom Mustroph | 20.03.2021
Der frühere Arzt des britischen Radsport-Verbandes und des Team Sky, Richard Freeman
Der frühere Arzt des britischen Radsport-Verbandes und des Team Sky, Richard Freeman (dpa/ picture alliance / SOLO Syndication / Ian Hodgson)
Richard Freeman ist ein amtlich bestätigter Lügner. Der frühere Mannschaftsarzt des Radsportrennstalls Sky wurde von einem Disziplinarausschuss der britischen Ärztekammer für schuldig erklärt, das Dopingmittel Testosteron unter Sportlern vertrieben zu haben. Als "unglaubwürdig, unplausibel und unwahr" bewertet das Tribunal die Ausflüchte des Mediziners. Und will Freeman jetzt die Arzt-Lizenz entziehen. Zugleich läuft eine Ermittlung der britischen Antidopingagentur UKAD. UKAD-Chefin Nicole Sapstead bestätigte dem Deutschlandfunk, dass gegen Freeman wegen zweier möglicher Verletzungen des Antidopingcodes ermittelt werde: Wegen des Besitzes von verbotenen Substanzen sowie Manipulation einer Dopingkontrolle.
Rückblick: "Wir haben einen Null-Toleranzansatz. Wir sind ein sauberes Team und wir wollen es auf die richtige Art und Weise tun. Wir wollten sauber gewinnen und zeigen, dass man die größten Radrennen sauber gewinnen kann."
Bradley Wiggins trägt ein gelbes Trikot und reckt in Siegerpose beide Arme in die Höhe. In der rechten Hand hat er einen Plüsch-Löwen, in der linken einen Strauß mit gelben Blumen.
Doping im Radsport - Früherer Sky-Teamarzt wegen Dopingverstoßes verurteilt
Britische Radrennfahrerinnen und Radfahrer haben bei Olympischen Spielen zuletzt zweimal in Folge die meisten Medaillen geholt, das "Team Sky" feierte fünf Tour-de-France-Siege zwischen 2012 und 2018. Der in dieser Zeit für Verband und Team zuständige Teamarzt könnte nun seine Zulassung verlieren.

"Das Ärzteteam ist fantastisch"

Mit diesen Worten verteidigt sich David Brailsford, Teamchef von Sky, 2016 vor einer Kommission des britischen Parlaments gegen Dopingvorwürfe. Die Kommission interessiert sich damals für den Inhalt eines Pakets, das 2011 an den damaligen Top-Fahrer Bradley Wiggins geschickt worden war.
Freeman will sich vor der Kommission partout nicht daran erinnern, was für ein Medikament in dem Paket gewesen sein soll – obwohl es mit einem extra Kurier verschickt wurde. Wiggins selbst witzelt später, dass es sich vielleicht um einen Dildo für Teamchef Brailsford gehandelt haben könnte. Der lässt sich vor den Abgeordneten 2016 sogar zu Lobeshymnen auf seine medizinische Abteilung hinreißen.
"Das Ärzteteam ist fantastisch. Diese Leute brauchen gar keine Anweisung von außen. Sie sind absolut vertrauenswürdig."

30 Tuben Testosteron-Gel

Bei weiteren Nachforschungen kommt allerdings heraus, dass Freeman sich auch 30 Tuben Testosteron-Gel an den gemeinsamen Sitz von Team Sky und dem Radsportverband British Cycling liefern ließ. Dieser Fund führt schließlich zu dem Tribunal der Ärztekammer. Freeman behauptet dort zwar, das Medikament sei für den Trainer Shane Sutton bestimmt gewesen – um dessen Erektionsstörung zu behandeln. Sutton bezeichnet das als Verleumdung. Und Beweise für seine Behauptung kann Freeman nicht vorlegen – stattdessen gibt er zu, einen Laptop mit wichtigen Daten zerstört zu haben. Ein anderer Laptop soll ihm gestohlen worden sein.

Identität des Empfängers weiter unbekannt

Die Disziplinarkammer der britischen Mediziner geht inzwischen davon aus, dass das Testosteron für einen Aktiven bestimmt gewesen sei, entweder von Team Sky oder der britischen Nationalmannschaft. Die Identität des Empfängers ist aber weiter unbekannt.
Bradley Wiggins, inzwischen Experte bei Eurosport, meint im sendereigenen Podcast hingegen, das Gel hätte auch für jede andere Person sein können.
"Es muss da eine weitere Erklärung zu geben. Für wen waren die Tuben gedacht? Wofür zum Teufel waren sie gedacht? Ich glaube nicht eine Minute, dass sie für einen Fahrer waren. So ein System hat es nicht gegeben. Jetzt bleiben natürlich Zweifel – weil es auch eine sehr gute Story ist."
Unter den aktuellen Fahrern wird die Affäre mit gemischten Gefühlen aufgenommen. Radprofi Paul Martens: "Ja, gut, im Endeffekt ist ja die Anklage immer noch vage. Auf der einen Seite wundert es mich, dass das so lange dauert, bis da eine Anklage kommt. Und im Endeffekt wissen wir immer noch nicht mehr. Er wurde jetzt angeklagt für Testosteron, aber ob ein Fahrer oder welcher Fahrer da was empfangen hat, wissen wir nicht."

Das Team mauert

Aufklären könnte dies alles das Team selbst. Aber dort wird gemauert. Geraint Thomas, Toursieger 2018 und seit Gründung des Rennstalls im Jahre 2010 an Bord, will sich am Rande der Fernfahrt Tirreno Adriatico gar nicht zu der Sache äußern: "Nein, nicht wirklich, ich will mich hier auf das Rennen konzentrieren."
Nikias Arndt, Radprofi beim deutschen Team DSM, zeigt sich zufrieden, dass zumindest jetzt etwas geschieht. "Auf der anderen Seite sehe ich das erst mal so, dass das System funktioniert. Wenn gegen Richtlinien verstoßen wird, egal ob es von Fahrern oder Teamärzten ist, dann muss dagegen vorgegangen werden. Und wenn es schwarze Schafe gibt, dass wir die dann auch aus dem Radsport rausbekommen."
Die Frage ist nun, wer alles als schwarzes Schaf gelten soll. Nur der Arzt, gegen den gerade ermittelt wird? Oder auch der für alles Verantwortliche, Teamchef David Brailsford? Der Abgeordnete der Labour Party Clive Efford fordert zumindest vom Team Ineos, so heißt der Rennstall mittlerweile, die Suspendierung von Brailsford.
Der mächtige Teamboss hält sich bedeckt. Der Rennstall selbst hat in einem Statement alle Schuld auf den früheren Teamarzt geschoben. Mal wieder ein Einzeltäter, einer allerdings, den Brailsford einst noch in dieses Gesamtlob einschloss.

Die Bilanz ist befleckt

Auch wenn außer Freeman bisher noch kein anderer Verantwortlicher oder Fahrer Konsequenzen gespürt hat – Bahnfahrer Maximilian Levy hat schon mal vorsichtshalber die Ergebnislisten angeschaut.
"Ich habe schon mal kalkuliert, wieviel Goldmedaillen mehr ich gewonnen hätte". Denn alleine bei Olympia waren britische Bahnradfahrer drei Mal vor ihm – und auch das britische Team wurde damals von Freeman betreut. Der Berliner erkennt aber auch an, dass das britische System besser finanziert und vor allem besser auf die Höhepunkte fokussiert sei.
"Die haben halt ein System, was für die funktioniert. Die setzen auch rigoros auf diesen Vierjahreszyklus, was bei uns in Deutschland in dem System auch nicht so verankert ist. Bei uns muss man jedes Jahr seine Leistungen erfüllen und seine WM-Medaille machen oder beim Höhepunkt halt punkten, um in der höchsten Förderung zu bleiben. Und das ist bei denen anders aufgebaut."
Allein auf Doping zurückzuführen ist die britische Erfolgsserie auf der Bahn wie auf der Straße wohl nicht. Aber die Bilanz ist befleckt.