Archiv

Dritte Staffel der israelischen TV-Serie „Shtisel“
Drama mit Thora

Als die israelische TV-Serie „Shtisel“ vor vier Jahren bei Netflix auftauchte, wurde sie schnell weltweit beliebt. Das Rezept für den Überraschungserfolg: Strenge Religiosität trifft Alltagssorgen. Jetzt ist die dritte Staffel erschienen - mit noch mehr Drama als zuvor.

Von Christian Röther |
Familie Shtisel
Die Shtisels sind zurück: Die israelische Serie über die streng orthodoxe Familie Shitsel geht in die dritte Staffel (yes studios / Ohad Romano)
Die Shtisels sind zurück, die Fernsehfamilie aus Jerusalem um Rabbi Shulem Shtisel, seine Kinder und seine Enkel. Sie sind ultraorthodoxe Juden, die sich selbst lieber Haredim nennen: Gottesfürchtige. Und wie es sich für Gottesfürchtige gehört, gibt es auch in der dritten Staffel von "Shtisel" eigentlich nur ein Thema, meint Shulems Enkel Yosa‘le: die Thora.
Tatsächlich geht es im Leben dieser traditionellen und streng religiösen Familie aber noch um viel mehr als um Religion: um Liebe und Eifersucht, Depressionen und Alkoholismus, Gesundheit und Sterben, Tod und Trauer, Zusammenhalt und Konflikte, Verlustängste, Geldsorgen und um unverhoffte Glücksmomente.

Mehr Tempo, mehr Drama

Wenn das Leben dir Limonade schenkt, dann musst du zugreifen, meint Shulem. Allerdings hat die dritte Staffel ein wenig an Nachdenklichkeit eingebüßt. Vielleicht liegt es daran, dass diese Staffel die erste ist, die Netflix selbst in Auftrag gegeben hat. Alles geht jetzt schneller, ein dramatischer Höhepunkt jagt den nächsten: hier drei Witwer mit einem Baby und Ärger mit dem Jugendamt, dort eine folgenschwere Verwechselung bei einer arrangierten Ehe, dann schon ein Suizidversuch, der nur Nebensache bleibt und von der Serie gar nicht ernst genommen wird. Da stellt sich das Drama selbst ein Bein. Fast verkommt "Shtisel" zur Soap, zur Seifenoper in einem ungewöhnlichen Setting mit langen Bärten und Schläfenlocken. Aber da ist ja zum Glück immer noch Akiva Shtisel, der melancholische Künstler.
Hier singt er auf Hebräisch durchs Telefon. Aber viele Dialoge in "Shtisel" sind auch in jiddischer Sprache. Und das ist vielleicht ein Teil der Erklärung dafür, warum die Serie in Deutschland so beliebt ist. Denn Jiddisch ist vor rund 1000 Jahren aus dem Mittelhochdeutschen hervorgegangen und mit dem Hochdeutschen verwandt. Für viele Haredim ist es bis heute die Muttersprache, und für deutsche Ohren klingt es fremd und vertraut zugleich.
Akiva Shtisel (Michael Aloni)
Akiva Shtisel (Michael Aloni) ist Künstler, dessen Bilder außerhalb der haredischen Welt gefragt sind - doch er kann sich schwer von ihnen trennen, obwohl er das Geld gut gebrauchen könnte (Courtesy of yes Studios)

Blick in streng orthodoxe Gemeinschaft

"Shtisel" wird aber nicht nur vom deutschen Netflix-Publikum geschätzt. In den USA ist die Serie so erfolgreich, dass jetzt sogar ein Hollywood-Remake geplant sein soll. Und in Israel soll sich die halbe Nation für die Shtisels vor dem Fernseher versammeln – da läuft die Serie nämlich im Fernsehen - vom Hipster aus Tel Aviv bis zum Haredim aus Mea Shearim. Das heißt: falls die Haredim einen Fernseher haben. Denn wie wir in "Shtisel" erfahren, wenn wir es noch nicht wussten, sind manche technischen Neuerungen im traditionellen jüdischen Milieu hoch umstritten.
Shulem Shtisel (Dovale Glickman)
Shulem Shtisel (Dovale Glickman) leitet eine Thora-Schule, muss sich aber auch um die Sorgen seiner Familie kümmern (yes studios / Vered Adir)
Religiöse Lieder mit Keyboard-Begleitung in der Thora-Schule sind aber kein Problem. Und überhaupt arbeitet "Shtisel" immer wieder heraus, dass die vielen religiösen Regeln der jüdischen Orthodoxie oft eher als Empfehlungen verstanden werden. Man soll generell nicht Auto fahren? Nein, natürlich nicht. Aber wenn man das Auto in einem anderen Stadtviertel parkt, damit die Nachbarn nichts merken, dann geht es vielleicht doch. Wichtig ist es, den Ruf zu wahren.

Alltagssorgen und religiöse Fragen

Die Politik hingegen spielt in "Shtisel" nach wie vor keine Rolle. Wenn es wie hier zur Demo kommt, dann nicht wegen israelischer Innenpolitik, sondern weil ein Rabbiner versucht, die Schüler einer anderen Thora-Schule abzuwerben. "Shtisel" ist und bleibt der religiösen Logik der haredischen Welt verpflichtet. Neben all dem Drama und den Alltagssorgen bleibt so auch noch Platz für religiöse Fragen. Etwa für das Prinzip "Pikuach Nefesh".
Familie Weiss
Yosa'le Weiss (Gal Fishel, links) bekommt von einer Heiratsvermittlerin und seinen Eltern erklärt, wie er sich beim Treffen mit seiner Zukünftigen zu verhalten hat (yes studios / Vered Adir)
Es besagt, dass es die höchste jüdische Pflicht ist, Leben zu retten. In der Serie wird die Frage aufgeworfen, was "Pikuach Nefesh" für die Leihmutterschaft bedeutet. Leihmutterschaft ist medizinisch noch nicht lange möglich. In Deutschland ist sie verboten, in Israel erlaubt – aber ist sie streng orthodoxen Jüdinnen auch religiös erlaubt? In "Shtisel" werden die medizinischen Empfehlungen des Arztes zuerst noch mit dem Rabbiner besprochen.

Schmunzeln und Missstände aufzeigen

Der Serie gelingt auch in der dritten Staffel ein empathischer Blick in die streng orthodoxe Gemeinschaft der Haredim. Sie leben in Israel oft zurückgezogen in eigenen Stadtvierteln, und sie sind gesellschaftlich umstritten, etwa weil die Männer lieber den ganzen Tag Thora und Talmud studieren, statt weltlichen Jobs nachzugehen. Das Drehbuch wird von zwei Aussteigern aus dieser Gemeinschaft geschrieben, doch nachtreten wollen sie nicht. Sie zeigen schmunzelnd Missstände auf, ohne die Haredim zu verurteilen. Und sie zeigen: Die vielen strengen religiösen Regeln sorgen zwar einerseits für Probleme, andererseits geben sie den Menschen auch Halt. Die Figuren wissen, wo ihr Platz ist. Und es ist gerade der kreative Umgang mit den strengen jüdisch-orthodoxen Regeln, der die Figuren von "Shtisel" so sympathisch macht.