Samstag, 27. April 2024

Archiv

Ebola-Hilfe
"Das ist blanker Zynismus"

Der Präsident der deutschen Sektion von "Ärzte ohne Grenzen", Tankred Stöbe, fordert von der Bundesregierung schnellere und effektivere Hilfe im Kampf gegen die Ebola-Epidemie in Westafrika. "Es ist viel zu lange geschlafen worden", sagte er im DLF.

Tankred Stöbe im Gespräch mit Jasper Barenberg | 18.09.2014
    Tankred Stöbe (Vorstandsvorsitzender von Ärzte ohne Grenzen) am 17.06.2014.
    Appelliert an Deutschland, mehr gegen Ebola zu tun: Der Präsident der deutschen Sektion von "Ärzte ohne Grenzen" (picture-alliance / dpa / Jörg Carstensen)
    Gerade ein so reicher und "fantastisch ausgestatteter" Staat wie Deutschland müsse helfen, die Epidemie einzudämmen. "Sie ist eingrenzbar", so Stöbe. "Das ist kein Mysterium, dem nicht beizukommen ist." Nur müsse die internationale Hilfe jetzt schneller beschlossen werden. "Die Patienten sterben uns vor den Kliniktoren."
    Die Organisation freue sich über die von Angela Merkel angekündigte Hilfe, leider komme die sehr spät. Bereits im Juni hätte "Ärzte ohne Grenzen" klargemacht, dass die Lage in Westafrika außer Kontrolle gerate. "Das ist blanker Zynismus, wenn da jetzt von Feinabstimmung die Rede ist", sagte Stöbe, "obwohl seit Monaten klar ist, wie dramatisch die Lage ist."

    Das Interview in voller Länge:
    Jasper Barenberg: Viel Geld und eine militärisch organisierte Kampagne werfen die USA jetzt in die Waagschale, um noch Schlimmeres zu verhindern. Ein Militärstab wird entsandt nach Westafrika: 3000 Mann, Ärzte, Sanitäter, Ingenieure, Logistiker. 17 Behandlungszentren wollen die Vereinigten Staaten einrichten mit jeweils 100 Betten, außerdem vor Ort Tausende von Helfern ausbilden, um zu verhindern, was die Weltgesundheitsorganisation befürchtet, dass Zehntausende neue Infizierte in den nächsten Wochen zu verzeichnen sein werden. Heute wird der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen die dramatische Lage beraten.
    Dringend um Hilfe hat auch Liberias Präsidentin Ellen Johnson-Sirleaf die Bundeskanzlerin gebeten in einem Brief. In ihrer Antwort verspricht Angela Merkel, schnell zu handeln, und zwar mit allem, was die Bundesrepublik zur Verfügung hat. Wir wollen uns noch mal anhören, was sie dazu gesagt hat:
    "Die Hilfe im Detail wird Ihnen mitgeteilt, aber sie geht um Lufttransporte, sie geht um die Frage, können Helfer aus dem Bereich der Zivilorganisationen, Ärzte zum Beispiel, auch sicher wieder zurücktransportiert werden. Darum kümmert sich die Bundesregierung. Und es geht auch um eine Krankenstation."
    Barenberg: Soweit also die ersten Ankündigungen und Ausführungen von Angela Merkel - am Telefon ist Tankred Stöbe, Präsident der deutschen Sektion von Ärzte ohne Grenzen. Die Organisation ist seit März im Westen Afrikas im Einsatz, im Augenblick mit über 200 internationalen Mitarbeitern und über 1.500 Ortskräften. Schönen guten Morgen, Herr Stöbe.
    Tankred Stöbe: Einen schönen guten Morgen.
    "Es braucht keine halben Lösungen"
    Barenberg: Wir haben die Kanzlerin gerade noch mal gehört. Es ist noch nicht so ganz klar, wie genau die Hilfe aussehen wird. Da wird noch abgestimmt innerhalb der Bundesregierung bei dem, was verschiedene Ministerien möglicherweise beisteuern können. Überzeugt Sie, was wir gerade von der Bundeskanzlerin gehört haben?
    Stöbe: Nun, wir freuen uns natürlich, dass endlich eine Reaktion kommt. Wir hatten ja auch gestern Morgen noch einen offenen Brief an die Kanzlerin geschrieben als Organisation, wo wir sie noch mal dringlich ermahnt haben, endlich etwas zu tun, und freuen uns, dass sie jetzt endlich mal reagiert hat. Ganz wichtig auch - und das ist eine gute Nachricht -, dass diese Rücktransporte gewährleistet werden sollen. Das ist ja wichtig für unsere Mitarbeiter auch, die dann mit einer etwas größeren Sicherheit in diese Einsätze fahren. Aber das Letzte, was sie gesagt hat, dass da auch eine Krankenstation erstellt werden soll, ist gut, aber sie sagt auch, die Bestückung oder die Mitarbeiter dieses Krankenhauses, das soll jetzt eine Nichtregierungsorganisation stemmen, und da müssen wir sagen, nein, genau das brauchen wir nicht. Wir brauchen gerade erfahrene Mitarbeiter dort und insofern ist das nicht mal eine halbe Lösung, sondern wir brauchen volle richtige Lösungen, und da muss ein Krankenhaus mit Personal dort hinkommen, mit Isolierstationen, und insofern muss man sagen, da müssen sie sehr schnell nachrüsten und das komplett machen, dieses Paket. Es braucht keine halben Lösungen, es braucht vor allem Lösungen, die sofort jetzt auch starten. Das reicht nicht mehr, das in Tagen oder Wochen loszuschicken, sondern das muss jetzt passieren.
    Barenberg: Das geschieht Ihnen alles ein bisschen zu langsam? Ist das ein Punkt, den Sie kritisieren würden?
    Stöbe: Wir sind ja in der Regel freundliche Menschen und wir haben über Wochen und Monate informiert. Aber im Juni - und Juni ist jetzt eine lange Zeit her - haben wir bereits sehr klar gemacht, diese Epidemie gerät außer Kontrolle, und seit Juni warnen wir, dass es immer schlimmer wird, und seit Juni ist eben nichts passiert. Vielleicht mal als ein kleines Bild: Ich war im letzten November in den Philippinen, wo ja ein grausamer Wirbelsturm weite Teile der Philippinen verwüstet hat, und da hat es wenige Stunden gebraucht und Dutzende Organisationen und Heere sind dort hingegangen, um zu helfen. Wir sehen bei einem ähnlichen Ausmaß jetzt in Westafrika, dass praktisch nichts passiert und Ärzte ohne Grenzen, wir nach vielen Monaten immer noch fast das Monopol haben in der Behandlung dieser Menschen, und das kann doch eigentlich überhaupt nicht sein.
    "Da ist einfach geschlafen worden"
    Barenberg: Was sagen Sie denn dazu, wenn es jetzt aus der Bundesregierung heißt, na ja, wir müssen jetzt noch mal genau gucken, es muss am Ende ja passgenau sein, es muss abgestimmt sein mit anderen Ländern, die sich an der Hilfe beteiligen, und da müssen wir jetzt erst mal innerhalb der Bundesregierung ganz genau gucken, was wir zur Verfügung stellen können, und dass es dann auch das Richtige ist, das dauert alles ein bisschen, das müssen wir erst noch in Ruhe prüfen?
    Stöbe: Wenn das, was jetzt die Bundesregierung von sich gibt, im Juni oder auch im Juli passiert wäre, dann würde ich sagen, Mensch, wunderbar. Wir haben jetzt die zweite Septemberhälfte und ich muss sagen, da ist einfach viel zu lange geschlafen worden. Wir sind so deutlich, nicht weil wir besonders gerne kritisch sind, aber weil uns die Patienten vor den Kliniktoren sterben. Wir können sie nicht mehr aufnehmen. Wir haben es gerade in Monrovia oft mit mehr Toten zu tun als mit Lebendigen. Diese Kontrolle, der Überblick oder die Möglichkeiten, zu antworten auf die Epidemie, sind vollkommen außer Kontrolle geraten, und es ist einfach blanker Zynismus, dass dann noch von Feinabstimmung hier geredet wird, wo seit Monaten klar ist, wie dramatisch die Lage in diesen Ländern ist.
    Barenberg: US-Präsident Barack Obama hat ja jetzt gesagt, wir wissen, dass wir Leben retten können, wenn wir die richtigen Schritte gehen, aber wir müssen schnell sein. Hat er Recht damit? Ist das auch Ihre Einschätzung?
    Stöbe: Da hat er absolut recht und dann sollte er mit Frau Merkel vielleicht auch noch mal telefonieren und sie motivieren, da jetzt auch möglichst schnell die Dinge in die Wege zu bringen, weil es dürfen keine weiteren Tage mehr vergehen, es dürfen nicht weitere hunderte und tausende Menschen in Westafrika an dieser Epidemie sterben, weil sie ist ja eingrenzbar. Es ist ja nicht ein Mysterium, dem nicht beizukommen ist, aber es bedarf einfach wichtiger, guter Schritte, um jetzt die Isolierzentren aufzubauen, sie gut mit erfahrenen Mitarbeitern auszustatten, die Infizierten nachzuverfolgen, um zu wissen, wo sie herkommen, und das ist alles machbar. Wir haben ja über viele Jahrzehnte in Afrika Ebola-Epidemien bekämpft, erfolgreich bekämpft, und das ist möglich. Aber es bedarf einfach jetzt einer viel größeren Anstrengung, und da hoffen wir, dass jetzt aus Deutschland die richtigen Signale kommen.
    "Es muss in einer massiven Präsenz geholfen werden"
    Barenberg: Ich will mal ein paar Details vorlesen aus einer Liste, was alles an Hilfe unterwegs ist. China stockt sein medizinisches Personal vor Ort auf 174 Helfer auf. Die Afrikanische Union schickt 100 Helfer. Kuba will 165 Helfer Ärzte und Krankenschwestern entsenden. Frankreich plant die Einrichtung eines Behandlungszentrums in Guinea. Wir wissen von den großen Anstrengungen aus den USA. Großbritannien kündigt den Bau eines 62 Betten umfassenden Zentrums in Sierra Leone an. Das könnte ich jetzt weiter vorlesen. Ich erwähne das nur vor dem Hintergrund, dass in Ihrem Brief ja steht, dass die bisherige Antwort der Staatengemeinschaft kläglich ist und dass von einer effektiven und angemessenen Reaktion noch keine Rede sein kann. Was sagen Sie denn zu den Sachen, die schon auf den Weg geschickt wurden, und Mittel und viel Geld ist ja auch bereitgestellt worden von der WHO?
    Stöbe: Zunächst ganz klar freuen wir uns, dass jetzt tatsächlich etwas passiert. Ganz klar! Aber, und das sind zwei Dinge, die in dem, was Sie jetzt gerade vorgelesen haben, fehlen. Das eine ist, es sind weiterhin viele Ankündigungen, und Ankündigungen, wissen wir, die haben einen Spielraum von Wochen bis Monaten. Das ist der erste schwierige Punkt. Der zweite ist: Die Dimensionen, außer dem, was die USA jetzt angeboten hat, sind doch sehr beschränkte, sehr kleine Schritte und auch sehr wenige Menschen, die dort als Helfer jetzt entsandt werden sollen. Ich will da jetzt nicht zu klein-knittelig sein. Das ist sinnvoll und das sind richtige Schritte, aber - und wir sind hier verantwortlich in Deutschland, was ein deutscher Beitrag ist - es gilt eben auch, dass ein so reiches und ein so fantastisch ausgestattetes Land wie die Bundesrepublik, dass auch von hier jetzt klare, schnelle Hilfsangebote kommen. Weil es muss - und deshalb ist es ja gut, dass diese ganzen Staaten jetzt endlich aufwachen und etwas tun wollen - in einer massiven Präsenz jetzt dort geholfen werden, und im Moment ist nicht absehbar: Es gibt kein zu viel an Helfer, es gibt immer noch zu wenig. Sollte sich das ändern, dann sind wir die Ersten, die das auch freudig mitteilen wollen, aber davon sind wir noch weit entfernt.
    Barenberg: Tankred Stöbe von Ärzte ohne Grenzen. Vielen Dank für das Gespräch heute Morgen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.