Dienstag, 19. März 2024

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Edition Orient
...damit arabische Literatur hier bekannter wird

In vielen arrivierten Verlagshäusern stand und steht man der modernen arabischen Literatur eher skeptisch gegenüber. Man traute ihr keine literarische Qualität zu. Sogar der Kritiker Marcel Reich-Ranicki sagte einst, solche Bücher nehme er überhaupt nicht in die Hand. Edition Orient ist angetreten, diese Sichtweise zu ändern.

Von Maria Riederer | 30.07.2016
    Ägyptische Besucher auf der 45. Buchmesse in Kairo an einem Stand für gebrauchte Bücher, aufgenommen am 31.01.2014. Die Buchmesse Kairo ist die größte und älteste Messe der arabischen Welt.
    Die Ursprungssprachen sind meist Arabisch aber auch Türkisch oder Persisch. (picture alliance / ZB / Matthias Tödt)
    In den Räumen des Verlages mit dem schönen Namen Edition Orient begegnet dem Besucher als erstes – kein Kamel, sondern ein 2,50 Meter großer Elch aus Pappmaschee.
    "Der stand irgendwann mal auf der Straße und dann haben wir den aufgenommen, im Schaufenster gibt es eine ganze Karawane aus 20 oder 30 verschiedenen kleinen Kamelen, und alle Wände sind gepflastert mit Bildern von Autoren, von der Pilgerfahrt nach Mekka, und so weiter und so fort."
    Stephan Trudewind, Politik- und Islamwissenschaftler und 57 Jahre alt, leitet die Edition Orient im Ein-Mann-Betrieb. In seinem früheren Leben war er Buchhändler in einer arabisch-deutschen Verlagsbuchhandlung und später in einem Verlag mit Schwerpunkt China.
    Im Jahr 1998 übernahm er die Edition Orient, die schon 1980 von dem ägyptischen Übersetzer Nagui Naguib gegründet worden war.
    "Der hatte die Idee: Wir müssen was machen, die arabische Literatur muss hier mal bekannter werden. Der Naguib war sehr belesen und kannte sich in der arabischen Literatur sehr gut aus, und bis in die 80er-Jahre war dieses Feld ja auch - lag ja brach."
    Alleinstellungsmerkmal: mehrsprachige Kinderbücher
    In den arrivierten Verlagshäusern stand man der arabischen Literatur eher skeptisch gegenüber. Man traute ihr keine literarische Qualität zu.
    "Das ging ja bis Reich-Ranicki, der gesagt hat, solche Bücher nimmt er überhaupt nicht in die Hand! Und es brauchte solche Pioniere – wobei ich natürlich fairerweise sagen muss, das war nicht nur Edition Orient, da gehören noch andere Verlage dazu."
    Ein Alleinstellungsmerkmal der Edition Orient wurde das mehrsprachige Kinderbuch. 1994 erschien der Band "Die Stadt, wo man sagt, das ist wunderschön". Die damalige Verlegerin Dietlind Schack brachte unter diesem Titel zwei traditionelle, arabische Märchen auf Arabisch und Deutsch heraus.
    "Es war einmal ein armer Schneider, der sich so sonderbar benahm, dass sich alle Leute über ihn wunderten. Nach jedem Nadelstich verließ er seinen Laden, stieg das Minarett der Moschee hinauf und hielt am Himmel Ausschau."
    Herzenssache Zweisprachigkeit
    Seit 1998 sucht Stephan Trudewind in der sogenannten "orientalischen Welt" besonders nach Perlen aus der Kinderliteratur. Das Thema Zweisprachigkeit im Kinderbuch liegt ihm besonders am Herzen, obwohl er weiß, dass die Verkaufschancen durch die Mehrsprachigkeit nicht größer werden.
    "Zweisprachige Kinderbücher werden von Familien, die nicht an zweisprachiger Erziehung interessiert sind, nicht richtig wahrgenommen. Wenn Sie, sagen wir mal, ein arabisches Kinderbuch hier bekannt machen wollen, wäre es natürlich am sinnvollsten, wenn es nur auf Deutsch ist. Dann ist das mögliche Publikum das Breiteste."
    Die Nadel im Heuhaufen
    Trotzdem hat der Verlag den riskanteren Weg eingeschlagen. Die Ursprungssprachen sind meist Arabisch, Türkisch oder Persisch. Das Forschen nach guten Kinderbüchern aus den Ursprungsländern gleicht allerdings der berühmten Suche nach der Nadel im Heuhaufen.
    "Es ist sehr okkupiert von Wald-Disney-Geschichten, und so weiter, und der Kinderbuchmarkt ist natürlich auch bis heute längst nicht so entwickelt wie in Europa – also man muss schon ziemlich suchen, um schöne Sachen zu finden."
    Wenn Stephan Trudewind von "schönen Sachen" spricht, dann meint er nicht nur die Schätze unter den Texten, sondern auch herausragend gelungene Bilder. Er weiß, dass gerade die Illustratoren in ihren Ländern wenig Wertschätzung erfahren.
    "Ich erleb das immer – wer Kinderbücher illustriert, das ist wie eine Niederlage, man hat's nicht zum Künstler gebracht, also ist man Illustrator für Kinderbücher. Und das Gleiche gilt für Kinderbuchautoren, es gibt kaum Autoren, die das als eigenes Genre für sich entdecken und wirklich pflegen."
    Nähe zum Publikum suchen
    Um diese Bücher bei der Zielgruppe bekannt zu machen, geht Stephan Trudewind auch mal selbst nach draußen. Zum Beispiel mit den Geschichten von "Gukki dem Raben", einer türkischen Erzählung, illustriert von dem Iraner Reza Hammatirad.
    "Dieses Buch ist illustriert mit der Fingerabdrucktechnik. Und zu diesen kleinen Büchern hat der Illustrator auch ein Bastelbuch gemacht. Wenn sich eine Gelegenheit bietet, dann mach ich das immer mal wieder ganz gerne an Schulen oder Kindergärten oder Stadtteilfesten in Berlin."
    Eines der größten Probleme für den Verlag ist nämlich die Tatsache, dass die meisten Urheber nicht in Deutschland leben.
    "Ich erlebe ganz häufig, dass die Leute sagen: Ja, wir würden gerne mal 'ne Lesung machen, aber wenn Ihr Autor in Ägypten lebet, dann nicht. Und dann werden doch wieder Bücher genommen, deutsche Kinderbücher, die ins Arabische übersetzt wurden und deutsche Autoren. Ich merke das ja jetzt gerade - aufgrund der vielen Flüchtlinge, gibt es natürlich 'ne verstärkte Nachfrage, auch nach arabisch-deutschen Kinderbüchern. Die Verlage holen alle ihre Bestseller und lassen die jetzt übersetzen, aber keiner macht was aus der arabischen Welt."
    Dabei können Eltern oder Lehrerinnen im zwei- und mehrsprachigen Fundus der Edition Orient kostbare Schätze entdecken. Da gibt es die ägyptische Erzählung über Krieg und Frieden zwischen gegensätzlichen Kräften mit dem Titel "Sonne und Mond". Oder eine indische Nonsense-Geschichte über ein Gerücht, das im Dorf Baddbaddpur – und bei den Lesern - für Gelächter sorgt, herausgebracht in vier Sprachen.
    Sogar in 20 Sprachen bietet die Edition Orient die Geschichte über ein Mädchen, das sich fragt, mit welcher Technik sie ihr riesenhaftes Eis bewältigen könnte, ohne sich zu bekleckern. "Wer hat mein Eis gegessen?" heißt dieses humorvolle Büchlein der Libanesin Rania Zaghir. Dazu entstand, in Zusammenarbeit mit der Stiftung Zuhören und dem Hessischen Rundfunk, ein zauberhaftes Hörbuch.
    Im Lauf der Jahre hat sich die Edition Orient zu einem Verlag mit zweisprachigen Büchern aus der ganzen Welt entwickelt. Weit über den Orient hinaus.
    Kunstwerk und Wagnis
    Ein Titel, der die Ausweitung des Verlagsprofils besonders deutlich macht, heißt "Migrar", die Geschichte einer Flucht aus Mexiko in die Vereinigten Staaten, erzählt aus der Perspektive eines kleinen Jungen. "Migrar" ist mehr ein Gemälde als ein Buch – ein Leporello, der auseinandergefaltet an die 1,50 Meter hoch ist. Ein Kunstwerk – und ein Wagnis für den Verleger.
    "Das ist ein schmales Leporello, das verschwindet im Regal, es hat keinen Buchrücken, und es ist eben nicht einfach zu verkaufen. Das ahnte ich dann, und hab mir dann trotzdem gesagt, das Buch muss gemacht werden, und so hab ich es dann gemacht.
    Programm abseits der Trend-Literatur
    Die Themen Flucht, Integration und Multireligiosität interessieren Stephan Trudewind nur, wenn sie in den Ursprungsländern in hochwertiger literarischer und gestalterischer Form zu finden sind.
    Trends hinterher zu laufen ist nicht seine Sache.
    "Ich veröffentliche auch keine Bücher, in denen der Islam Kindern erklärt wird, die sind einfach von den Geschichten her so grottenschlecht, dass ich finde, dass es nicht zumutbar ist."
    Den Blick für das Außergewöhnliche schärfen
    Die Edition Orient wird ihren Namen weiter tragen – auch wenn dieser nicht mehr eins zu eins abbildet, was dem Verleger, Stephan Trudewind, am meisten am Herzen liegt: Ungewöhnlich schöne Bücher aus fremden Ländern zu entdecken, übersetzen zu lassen und deutschen wie zugereisten Kindern verfügbar zu machen.