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"Ein belebendes Element für unsere Demokratie"

Die gestrige Bundespräsidentenwahl war nach Einschätzung des Parlamentarischen Geschäftsführers der SPD, Thomas Oppermann, mehr als ein Achtungserfolg für den Kandidaten Gauck. Die Abstimmung sei ein Erfolg für die Demokratie gewesen, sagte Oppermann. Gauck habe die Menschen für die Demokratie begeistert. Dieser Impuls müsse genutzt werden.

Thomas Oppermann im Gespräch mit Silvia Engels | 01.07.2010
    Silvia Engels: Mehr als einen Achtungserfolg erzielte gestern Joachim Gauck, der Bundespräsidentenkandidat, den SPD und Grüne aufgestellt hatten. Weil er in den ersten beiden Wahlgängen mehr Stimmen auf sich zog, als das rot-grüne Lager eigentlich aufbringen konnte, zwang er Christian Wulff in den dritten Wahlgang. Dort gewann dann der Kandidat von FDP und Union mit 625 Stimmen. - Am Telefon ist nun Thomas Oppermann, der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD im Bundestag. Guten Morgen!

    Thomas Oppermann: Guten Morgen, Frau Engels.

    Engels: Joachim Gauck hat sich gut geschlagen, aber gewählt wurde am Ende Christian Wulff. Etwas Greifbares haben Sie nicht in der Hand. Feiern Sie da im Moment nicht sehr einen Scheinsieg?

    Oppermann: Ich glaube, das war mehr als ein Achtungserfolg von Joachim Gauck gestern. Das war ein Erfolg für unsere Demokratie. Joachim Gauck hat ja mit seiner Kandidatur vielen Menschen Vertrauen in die Demokratie zurückgegeben, er hat für die Demokratie begeistert. Er war ein Kandidat, den die Mehrheit eigentlich gerne gehabt hätte, und er hat tief in das konservative Lager und in das liberale Lager hinein Stimmen gewonnen, fast 40 Stimmen mehr als Rot-Grün. Für die Regierung ist das vielleicht ein Debakel, aber, ich glaube, für unsere Demokratie war die gestrige Bundesversammlung eine tolle Veranstaltung.

    Engels: Herr Oppermann, Sie loben die Demokratie. Plädieren Sie dann in fünf Jahren bei der nächsten Bundespräsidentenwahl auch dafür, auf jeden Fall alle Fraktionszwänge aufzuheben?

    Oppermann: Vielleicht sollten Sie mich in fünf Jahren daran erinnern.

    Engels: Zum Beispiel, wenn die SPD dann eine Mehrheit hätte?

    Oppermann: Ja, die Chancen dafür, dass Rot-Grün in fünf Jahren eine Mehrheit in der Bundesversammlung hat, sind ja gar nicht so schlecht, und dann wollen wir in der Tat erinnert werden an diese Kandidatur von Joachim Gauck. Es war ein starker Impuls für die Demokratie und wir wären schlecht beraten, wenn wir den jetzt nicht nutzen würden für die Demokratie, aber auch für unsere eigene positive Entwicklung. Wir haben als Sozialdemokraten gesehen, dass wir mit einem Kandidaten wie Gauck tief in die Anhänger und Wähler des gegnerischen Lagers eindringen können. Das ist eine Lehrstunde auch für uns gewesen, auch für die Erneuerung der SPD.

    Engels: Aber Sie haben umgekehrt eben die möglichen Stimmen der Linkspartei von vorneherein verprellt. Das heißt, Sie haben möglicherweise - das zeigt vielleicht auch diese Wahl - die Möglichkeit, stärker jetzt CDU und FDP Steine in den Weg zu legen, aber nicht zu gestalten. Bleibt das nun so im Umgang mit der Linkspartei?

    Oppermann: Die Linkspartei hat ja gestern gezeigt, dass sie die Gefangenen ihrer eigenen Vergangenheit sind. Sie sind Gefangene ihrer Ideologie. Sie haben es nicht geschafft, über den eigenen Schatten hinauszuspringen. Gauck war ja auch kein Sozialdemokrat, auch kein Grüner, sondern wir haben ja auch Kompromisse gemacht, um eine Kandidatur von Joachim Gauck zu ermöglichen. Aber die Linke war praktisch kompromissunfähig in dieser Frage, und das ist sie nicht nur in dieser Frage. Das hat uns gezeigt, dass die von Gestaltungskraft auf Bundesebene noch sehr weit entfernt sind. Bei denen stellt sich sofort die Frage, das zerreißt unsere Partei, das können wir nicht machen. Sie hat gestern eine riesige Chance versäumt, aber die Linke ist auch gestern demaskiert worden. Sie ist doch zu sehr ... oder noch zu wenig hat sie ihre Vergangenheit aufgearbeitet. Wir haben gesehen: Diese Partei ist eine Partei, die in der Vergangenheit lebt.

    Engels: Die Linken kritisieren umgekehrt, dass SPD und Grüne sich eben nie bei den Linken gemeldet hätten, um überhaupt einen gemeinsamen Kandidaten zu suchen, sondern direkt auf Gauck gesetzt hätten. Haben Sie umgekehrt die Chance verpasst?

    Oppermann: Es wäre doch gar nicht möglich gewesen, ohne eine Persönlichkeit wie Gauck auch die Stimmen auf der anderen Seite zu gewinnen. Wir müssen doch sehen, dass hier die sogenannte bürgerliche Mehrheit 20 Stimmen über der absoluten Mehrheit hatte. Es musste doch ein Kandidat gefunden werden, der auch für FDP- und CDU-Wähler attraktiv war. Das hat die Linke von vorneherein nicht verstanden. Hier wäre große Kompromissfähigkeit angesagt gewesen, es wäre für die Linke nicht wirklich schwer gewesen. Aber sie pflegen ihre Probleme aus der Vergangenheit stärker als alles andere. Das stellen sie in den Vordergrund, das ist für sie wichtig, wie sie möglichst wenig in Verantwortung genommen werden. Ich bin sehr enttäuscht von der Linken. Ich dachte, die waren schon weiter. Die sind noch ziemlich weit zurück.

    Engels: Warum haben Sie Joachim Gauck dann nie aufgestellt, als es eine rot-grüne rechnerische Mehrheit in der Bundesversammlung gab?

    Oppermann: Nun, das war ja zu der Zeit, als die CDU Frau Schipanski aufgestellt hat, die jetzt noch nicht mal mehr würdig war, Mitglied der Bundesversammlung zu werden, weil sie nicht als zuverlässig eingestuft wurde im Verhältnis zu Joachim Gauck. Ich habe ja schon gesagt: Wir lernen dazu. Ich glaube, dass wir nicht wieder hinter eine Persönlichkeit wie Joachim Gauck zurückfallen können bei künftigen Bundestagswahlen, bei künftigen Bundespräsidentenwahlen. Wir lernen auch dazu. Es ist ein belebendes Element für unsere Demokratie, wenn ein Kandidat aufgestellt wird, der breite Zustimmung auch über die Parteianhängergrenzen hinaus gewinnen kann. Das ist ein Impuls für die Demokratie, und den wollen und müssen wir in Zukunft nutzen, sonst würden wir unsere Arbeit nicht gut machen.

    Engels: Thomas Oppermann, Parlamentarischer Geschäftsführer der SPD im Bundestag. Vielen Dank für das Gespräch.

    Oppermann: Ich bedanke mich auch.