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"Ein Tsunami der Unzufriedenheit"

Die Bevölkerung interessiere nicht, wie viele Gesetze Barack Obama durchgebracht habe, sondern wie viele Jobs er schaffe, meint der ehemalige Botschafter der USA in Deutschland, John C. Kornblum. Die Arbeitslosigkeit werde auch in den kommenden zwei Jahren das Hauptthema bleiben.

John C. Kornblum im Gespräch mit Friedbert Meurer | 03.11.2010
    Meurer: Die Demokraten verlieren die Mehrheit im Abgeordnetenhaus, aber sie behalten sie im Senat. Ist Barack Obama, sind die Demokraten mit einem blauen Auge davon gekommen?

    Kornblum: Na ja, ich würde aber sagen, mit einem dunkelblauen Auge, weil die Gewinne der Republikaner im Abgeordnetenhaus sind sehr groß, größer wahrscheinlich als in 1994, und auch unter den Gouverneuren in den Bundesstaaten haben die Republikaner auch sehr viel gewonnen, zum Beispiel in Pennsylvania. Also heute Abend ist wirklich der Abend der Republikaner, aber für Barack Obama ist es keine totale Katastrophe und wird vielleicht für ihn sogar ein Vorteil sein, wenn er die Lehre aus dieser Wahl verinnerlicht.

    Meurer: Was sollten Ihrer Meinung nach, Herr Kornblum, die Lehren aus der Wahl für Präsident Obama sein?

    Kornblum: Die Lehren sind erstens, dass das, was die Amerikaner die Mittelklasse nennen, das heißt die Menschen, die arbeitende Bevölkerung, sehr unzufrieden ist. Wenn Sie die Ergebnisse anschauen: gerade da, wo die große Industrie ist, Pennsylvania, Ohio, Illinois, Michigan, haben die Republikaner groß zugewonnen. Das sind meistens demokratische Bundesstaaten. Zweitens: Die Hauptfrage - und das ist sehr interessant auch für Europa und Deutschland - hier ist nicht das Defizit, sondern Arbeitsplätze. Diese Frage wurde immer wieder betont und das wird in den kommenden zwei Jahren die Hauptfrage in den Vereinigten Staaten sein.

    Meurer: Würden Sie sagen, Obama hat zu wenig Tuchfühlung zur Basis, zeigt zu wenig Empathie, gerade der Präsident, der vor zwei Jahren sozusagen als Held des Volkes galt?

    Kornblum: Ja, das wird behauptet und es gibt wichtige Beispiele, die das wahrscheinlich belegen. Aber ich glaube, in diesem Fall, auch wenn er ein besserer Kommunikator wäre, wie man sagt, hätte er Schwierigkeiten gehabt. Es ist tatsächlich, wie man heutzutage sagt, ein Tsunami von Unzufriedenheit, geführt durch die sogenannte Tea-Party, aber nicht nur durch die Tea-Party. Es wird auch geführt durch die Unzufriedenheit gerade der großen Mittelbasis der amerikanischen Gesellschaft.

    Meurer: 1994 - Sie haben diese Zwischenwahl schon angesprochen - gab es ein Desaster für die Demokraten. Sie hatten damals die Mehrheit in beiden Häusern auf einen Schlag verloren. Bill Clinton hatte die Konsequenz gezogen, anschließend eine ganz andere Politik als vorher zu machen, eine wirtschaftsfreundliche Politik, die Steuern zu senken. Muss Barack Obama diesen Weg hin zur Mitte, oder sogar nach rechts gehen?

    Kornblum: Na ja, er muss erstens die Stimmung im Lande besser spüren. Statt zu zeigen, oder statt durch seine Rhetorik zu unterstreichen, dass er sich sehr stark einsetzen würde für Arbeitsplätze, hat er mehr oder weniger auf seine Gewinne im legislativen Prozess, das heißt die Gesetzgebung, die er gemacht hat, verwiesen, und das ist natürlich nicht angekommen. Es interessiert die Bevölkerung nicht, wie viele Gesetze er durchgeführt hat, sondern wie viele Jobs er kreiert hat. Das muss er lernen. Zweitens aber natürlich: Jetzt, ab heute, ab morgen Früh wird die große Frage nicht sein, wer im Abgeordnetenhaus gewinnt, sondern wer der nächste Präsident sein wird. Der Wahlkampf für die Präsidentschaft ist schon angefangen.

    Meurer: Ist die Wahl, die Kongresswahl von gestern ein Fingerzeig für die Präsidentschaftswahl in zwei Jahren?

    Kornblum: Wahrscheinlich nicht. Ich würde sagen, es ist der Anfang jetzt von der Kampagne. Und wenn Barack Obama die Lehren aus dieser Wahl zieht, kann er sogar stärker in diese nächste Wahl kommen, weil er jetzt mit den Republikanern arbeiten muss, aber zur gleichen Zeit muss er die Republikaner an ihre Versprechen erinnern, und es wird sehr schwierig sein, fast unmöglich sein für die Republikaner, das zu liefern, was sie jetzt versprochen haben.

    Meurer: Aber sie werden natürlich blockieren können, die Republikaner im Abgeordnetenhaus. Könnte das beispielsweise bedeuten, dass Maßnahmen in der Klimapolitik kommen werden, die wir in Europa als schmerzhaft empfinden?

    Kornblum: Ich glaube, Klimapolitik wird kaum eine Rolle spielen. Was wichtig ist, ist, dass die Republikaner jetzt eine Verbesserung des Arbeitsmarktes liefern. Und sie werden es kaum machen können, weil auf der einen Seite sagen sie, sie wollen einen kleineren Staat haben, sie wollen weniger ausgeben, nicht mehr. Zur gleichen Zeit muss man eigentlich mehr ausgeben, um den Arbeitsmarkt zu unterstützen. Die Plätze, wo man zurückschneiden könnte, Verteidigung zum Beispiel, werden die Republikaner nicht schneiden, Gesundheit werden sie nicht schneiden, in der Steuerpolitik, wo man eigentlich mehr Einnahmen braucht, um das Defizit zu reduzieren, werden sie versuchen, die Steuern noch weiter zu senken. Das heißt, wir sollen uns nicht so sehr jetzt auf die Wahlprogramme der Parteien konzentrieren, sondern eher auf die Dynamik, wie die Republikaner und vor allem Obama miteinander auskommen werden in den kommenden zwei Jahren. Wird das ein Obama sein, der sich den Republikanern öffnet und sagt, jetzt machen wir eine Koalition, oder wird das ein Obama sein, der schon auf 2012 schaut und sagt, ich werde gegen diese Republikaner kämpfen, um zu zeigen, dass alle diese Versprechen, die sie jetzt gemacht haben, nicht geliefert werden können.

    Meurer: Noch kurz, Herr Kornblum. Beginnt heute mit dem Wahlsieg der Republikaner der Niedergang der Tea-Party-Bewegung?

    Kornblum: Könnte sein. Wir werden sehen. Die Tea-Party hat eine wichtige Rolle gespielt und ist fast sozusagen eine Rettung der Republikaner gewesen. Durch die Tea-Party haben die Republikaner sich von Bush entfernen können. Sie haben jetzt einen neuen Populismus entdeckt, der sehr wichtig ist. Sie haben auch sehr viele interessante Kandidaten durchgebracht. Es gibt zum Beispiel in South Carolina die erste indische Frau, eine aus Indien stammende Gouverneurin in Amerika. Sogar die Republikanerpartei ändert sich auch sehr, auch in ihrer Zusammenstellung.
    Wird die Tea-Party eine besondere Rolle spielen? Ich glaube nicht. - Hat die Tea-Party die Agenda gesetzt und den Republikanern sogar dazu geholfen, sich jetzt wieder mehrheitsfähig zu machen? Würde ich sagen, ja.