Archiv


"Eine ziemliche Eierei"

SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles hat kein Verständnis für die Enthaltung Deutschlands im UN-Sicherheitsrat bei der Abstimmung über die Einrichtung einer Flugverbotszone über Libyen. Damit habe man die gemeinsame Linie Europas verlassen.

Andrea Nahles im Gespräch mit Jasper Barenberg |
    Jasper Barenberg: Wir schauen nach Magdeburg. Mehr oder weniger alles beim alten dort nach den Landtagswahlen, nach dem Ergebnis gestern. Kaum Bewegung bei den größeren Parteien, ein Rollentausch bei den kleineren. Auf den Nenner lässt sich das Ergebnis in Sachsen-Anhalt wohl bringen. Die Große Koalition hat rechnerisch die Möglichkeit, ihre Regierung fortzusetzen. Auf der anderen Seite fliegt die FDP aus dem Landtag und die Grünen ziehen nach langer Durststrecke wieder dort ein. Mit einem blauen Auge behauptet sich die CDU auf Platz 1, jetzt will die Partei ihre Koalition mit der SPD fortsetzen. Welchen Reim macht sich die SPD in Berlin auf diesen Wahlausgang? – Am Telefon begrüße ich die Generalsekretärin der SPD. Einen schönen guten Morgen, Andrea Nahles.

    Andrea Nahles: Ja guten Morgen.

    Barenberg: Nur Platz 3 für die Sozialdemokraten in Sachsen-Anhalt, nach dem rauschenden Sieg gerade noch in Hamburg. Welche Erklärung haben Sie für das enttäuschende Ergebnis?

    Nahles: Also es ist für uns kein enttäuschendes Ergebnis. Wir hätten uns natürlich was Besseres erwartet und gewünscht, aber wir haben das ja schon beim letzten Mal gehabt. Es ist also insoweit eine stabile Situation und es ist eine sehr starke regionalpolitische Situation, dass die Linkspartei in Sachsen-Anhalt nun besonders stark ist. Das wird sich in den Wahlen in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg in der nächsten Woche schon völlig anders darstellen.

    Barenberg: Die Linkspartei ist stark in Sachsen-Anhalt. Empfehlen Sie also Gespräche der SPD mit der Linkspartei über eine Koalition?

    Nahles: Also wir haben natürlich die Situation, dass die stärkste Partei dann den Anspruch erheben würde, den Ministerpräsidenten zu stellen. Das hat Wulf Gallert, der Spitzenkandidat, gestern auch getan. Aber das ist natürlich für uns undenkbar.

    Barenberg: Warum?

    Nahles: Das haben wir vor der Wahl gesagt. Also die Wählerinnen und Wähler, die uns die Stimme gegeben haben, die müssen sich jetzt auch darauf verlassen können, dass wir das nach der Wahl auch einhalten, was wir vor der Wahl gesagt haben. Und Jens Bullerjahn und die SPD in Sachsen-Anhalt ist da sehr eindeutig gewesen.

    Barenberg: Und was spricht dagegen, einen Ministerpräsidenten der Linkspartei zu wählen?

    Nahles: Aus unserer Sicht gibt es eine Reihe von politisch-inhaltlichen Problemen, insbesondere in der Finanzpolitik, die wir für nicht realistisch halten. Aber vor allem gibt es offensichtlich auch definitiv eine gute Regierungsbilanz mit der CDU, und vor dem Hintergrund hat sich die Landespolitik festgelegt. Ich kann nur sagen, gestern Abend hat Jens Bullerjahn gesagt, er wird jetzt in aller Ruhe sondieren, wird auch wahrscheinlich mit allen reden, und es wird in dieser Woche mit Sicherheit, auch vielleicht in der nächsten, noch keine Entscheidung fallen.

    Barenberg: Flächendeckender Mindestlohn, längeres gemeinsames Lernen in den Schulen, ein schnellerer Ausstieg aus der Atomkraft, Sie könnten einiges mit der Linkspartei durchsetzen. Was spricht dagegen?

    Nahles: Nur anderes halt wieder nicht. Wir müssen auch über die Wirtschaftspolitik in Sachsen-Anhalt reden, auch über die Finanzpolitik. Jens Bullerjahn, unser Spitzenkandidat, ist ja der Finanzminister, der einen sehr strikten Sparkurs gefahren hat. Das hat immer wieder erhebliche Probleme gegeben. Ich bin der Meinung, dass die Landespolitik das entscheidet, ich gebe da keine Ratschläge, und ich sage Ihnen auch klipp und klar, dass eben die Frage Ministerpräsident ein großes Hindernis ist und deswegen einfach zu klären ist, ob die Linkspartei darauf verzichtet. Ich sehe das zurzeit überhaupt nicht.

    Barenberg: Die SPD fühlt sich also wohl als Juniorpartner. Könnte das möglicherweise auch ein Fingerzeig sein, beispielsweise auf Baden-Württemberg nächste Woche?

    Nahles: Also definitiv haben wir gut regiert dort mit der Union, allerdings mit Herrn Böhmer, und ich habe auch hier ganz klar nicht eine Große Koalition hier propagiert. Ich habe gesagt (und das ist auch ernst gemeint), dass wir in den nächsten Wochen sondieren, welche Möglichkeiten sich für die SPD in Sachsen-Anhalt ergeben, und das kann auch eine Große Koalition sein, das ist aber kein Automatismus.

    Barenberg: Lassen Sie uns, Frau Nahles, noch kurz über die laufende militärische Operation einer internationalen Allianz in Libyen sprechen. Stehen Sie in der SPD wie die Bundesregierung an der Seite der Gegner der Luftschläge, wie China und Russland?

    Nahles: Also wir haben Verständnis, dass das ein schwieriger Abwägungsprozess ist. Wir halten uns auch sehr zurück, was eine militärische Beteiligung Deutschlands angeht. Wir haben sehr viele Kapazitäten auch derzeit noch in Afghanistan und die SPD hat sich deswegen auch kritisch zu militärischer Beteiligung ausgesprochen. Andererseits habe ich persönlich kein Verständnis dafür, dass Deutschland sich im UN-Sicherheitsrat enthalten hat, weil die Ziele der Resolution durchaus wertvoll und richtig sind, und deswegen wäre ein Ja aus meiner Sicht angebracht gewesen und dann hätte man trotzdem nicht unbedingt und automatisch eine militärische Beteiligung in Gang setzen müssen. Jetzt eiert die Bundesregierung herum, nach der Enthaltung, und macht dann Angebote, wie sie doch beteiligt wird und unterstützen kann. Also das halte ich für eine ziemliche Eierei. Es wäre wesentlich besser gewesen, Europa hätte sich hier nicht gespalten, sondern England, Frankreich und Deutschland hätten hier eine gemeinsame Linie verfolgt.

    Barenberg: Wäre es nicht konsequenter, Sie würden sagen, man müsste, wenn man der UN, ihrem Sicherheitsratsbeschluss zustimmt, dann auch selber aktiv werden?

    Nahles: Ich sehe, dass wir uns militärisch engagieren in verschiedenen Regionen der Welt. Es muss nicht unbedingt jetzt auch Libyen sein. Man muss ja auch die Kapazitäten der Bundeswehr realistisch einschätzen, die vor einer großen Strukturreform steht, und so weiter. Das kann ich also durchaus nachvollziehen. Die Engagements der anderen reichen ja wohl auch. Das ist ja ein ganz normaler Abwägungsprozess. Aber was ich halt bedauerlich finde ist, dass man die politische Linie, die gemeinsame, in Europa verlassen hat, und das ist schade, weil Deutschland ja jetzt seit kurzem Verantwortung als Mitglied des UN-Sicherheitsrates trägt und sich mit dieser Enthaltung aus meiner Sicht nicht mit Ruhm bekleckert hat.

    Barenberg: Da hat Deutschland sich geschadet politisch?

    Nahles: Ich denke ja, das war ein Fehler.

    Barenberg: ... , sagt die Generalsekretärin der SPD. Vielen Dank für dieses Gespräch, Andrea Nahles.

    Nahles: Danke schön!