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Entwicklung des Homo sapiens sapiens
Wie der Mensch zum Menschen wurde

Seit einigen Jahren steht fest: Ein bis zwei Prozent der menschlichen Gene stammen vom Neandertaler. Dieser war alles andere als primitiv. Wie die aktuelle Forschung zeigt, verfügten Neandertaler über hochwertige Technologien und stellten vielfältige Werkzeuge her. Warum überlebte jedoch der moderne Mensch und nicht der Neandertaler?

Von Barbara Weber | 21.07.2016
    Die Nachbildung eines älteren Neandertalers im Neandertal-Museum in Mettmann.
    Die Nachbildung eines älteren Neandertalers im Neandertal-Museum in Mettmann. (picture-alliance/ dpa - Federico Gambarini)
    "Das Ende der Neandertaler ist eines der ganz großen Rätsel eigentlich zur Zeit der Forschung, weil wir der Meinung sind, dass die Bevölkerung der Neandertaler eigentlich gerade dann am zahlreichsten war, kurz bevor die Neandertaler dann verschwunden sind."
    Jürgen Richter ist Professor für Ur- und Frühgeschichte an der Universität Köln und Sprecher des Sonderforschungsbereiches "Our Way to Europe".
    "Und vor etwa 40.000 Jahren, als die Neandertaler dann verschwinden und der moderne Mensch auftritt, findet dieser Populationswechsel statt, keineswegs zu einer Zeit, wo die Neandertaler in irgendeiner Weise in der Krise gewesen wären, sondern ganz im Gegenteil: Im archäologischen Befund ist die größte Bevölkerungszahl gerade eben da, wo der Neandertaler schon fast im Verschwinden begriffen ist, zeitlich gesehen."
    Aber was könnte dazu geführt haben, dass der Neandertaler ausgestorben ist?
    War er dem modernen Menschen einfach unterlegen?
    Oder war er nicht so "modern" wie Homo sapiens sapiens?
    Der Begriff der Modernität in der Archäologie "hat also nichts mit Autos, Flugzeugen und Hochhäusern zu tun, wie man vielleicht in einem ersten Eindruck denken mag", meint Thorsten Uthmeier, Professor für Ur- und Frühgeschichte an der Universität Erlangen, sondern mit "besonderen Formen des Körperschmuckes, Ausdruck der sozialen Stellung, die Siedlungsplätze sollen auf eine gewisse Art und Weise strukturiert sein, Feuerstellen, Aktivitätszonen drum herum, Souveränität im Umgang mit Ressourcen, mit Nahrungsressourcen vor allem. Heraus kam traditioneller Weise eine Liste auch von Innovationen technologischer Art, die man dann versucht hat" … an den verschiedenen 45 – 35.000 Jahre alten Fundplätzen abzuarbeiten.
    "So hat man versucht, das moderne Verhalten an den Fundstellen wiederzufinden."
    Kozept, mit dem man Verhalten erfassen und bewerten kann
    Das greift zu kurz haben Wissenschaftler inzwischen festgestellt.
    "Es gibt von einer Kollegin aus Tübingen, Miriam Haidle, mit einigen anderen Kollegen hat sie das publiziert, ein erweitertes Konzept, wie man Verhalten überhaupt erfassen und bewerten kann, wenn man es im archäologischen Kontext sucht von Jägern und Sammlern vor allen Dingen."
    Zwei Aspekte standen bei diesen Betrachtungen im Vordergrund:
    "Wie ist denn die kulturelle Kapazität einer Art", also zum Beispiel, kann der moderne Mensch etwas, was der Neandertaler nicht kann. Und …
    "der zweite Begriff ist der Begriff der kulturellen Performanz, das heißt also, was wird tatsächlich von dem kulturellen Potential, der Leistungsfähigkeit, dann überhaupt tatsächlich umgesetzt."
    Die Wissenschaftler haben unterschiedliche Stadien definiert:
    "Das geht los mit Verhaltensweisen, die wir aus dem Tierreich kennen, soziales Verhalten, der Gebrauch von einfachen Gegenständen, was wir auch schon bei Schimpansen ganz gut beobachten können, das geht dann über die ersten Steinartefakte, komplexere Steinartefakte, die Benutzung und Beherrschung von Feuer bis hin dann zu, das wird bei dem Neandertaler wichtig, Schäftungen, wo man also zwei Objekte aus zwei unterschiedlichen Materialien miteinander verbindet zu einer neuen Einheit. Dann gibt es einen weiteren Schritt, wo man eigentlich zwei unverbundene Komponenten zu etwas Neuem kombiniert, und ganz klassisch wären Nadel mit Öhr, wo man einen Faden durchzieht oder die Speerschleuder, Pfeil und Bogen. Und die höchste Stufe dieser acht Grade der kumulativen Kultur, wäre dann die Erschaffung eines gedanklichen Überbaus aus Werten, Verhaltenskonfigurationen, Normen, die man in einem sozialen Diskurs festlegt und die man dann innerhalb des menschlichen Zusammenlebens lebt. Das wäre eine neue Herangehensweise, die ist komplexer, schwieriger."
    Figur eines Neandertalers im Neandertal-Museum in Mettmann, vor ihm das markante Schädeldach des Homo sapiens neanderthalensis.
    Figur eines Neandertalers im Neandertal-Museum in Mettmann, vor ihm das markante Schädeldach des Homo sapiens neanderthalensis. (dpa / picture alliance / Horst Ossinger)
    Modernes Verhaltens schon vor dem Auftauchen des anatomisch modernen Menschen
    Doch diese Kriterien erfüllten nicht nur die Neandertaler sondern auch schon Menschen, die vor ihnen im heutigen Europa gelebt haben. Das zeigen die ältesten erhaltenen Jagdwaffen, die Schöninger Speere, die im Zuge des Braunkohletagebaus der damalige Landesarchäologe Hartmut Thieme fand und die auf rund 300.000 Jahre datiert werden.
    "Das hat sich tatsächlich auch in den letzten Jahren gezeigt, dass eigentlich alle Aspekte des so genannten modernen Verhaltens schon vor dem Auftauchen des anatomisch modernen Menschen vorhanden gewesen sind."
    Neben Skeletten von 25 Wildpferden fanden die Ausgräber Knochen von Rindern, Hirschen, Nashörnern und Elefanten. Schnell wurde klar: Hier musste eine Gruppe Frühmenschen gejagt haben. Die 1,80 bis 2,50 Meter langen sorgfältig gearbeiteten Speere haben ihren Schwerpunkt ähnlich heutigen Wettkampfspeeren im vorderen Drittel des Schaftes. Zwölf geborgene Klemmschäfte waren möglicherweise mit Steinklingen versehen. Stimmt die Interpretation, handelt es sich um die ersten überlieferten Kompositwerkzeuge der Menschheit.
    Thorsten Uthmeier ist sicher: Da steckt Wissenschaft dahinter "einer Aneinanderreihung von Versuchen und Irrtümern mit gutem und schlechten Ausgang. Der gute Ausgang wird für die Basis der nächsten Experimente hergenommen, und am Ende kommt so etwas raus wie zum Beispiel ein Schöninger Speer. Das heißt, dahinter steckt wesentlich mehr als die Existenz der Objekte."
    Das sind Merkmale, die man dem modernen Menschen zuspricht "oder sagen wir mal, dem Menschen", meint Jürgen Richter.
    Neandertaler und moderner Mensch zeugten Kinder
    Als der moderne Mensch vor rund 50 bis 40.000 Jahren aus Afrika im heutigen Europa ankam, traf er auf einen anderen Zeitgenossen, der vermutlich nicht weniger intelligent war als er: den Neandertaler. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass Neandertaler und moderner Mensch gemeinsame Kinder gezeugt haben.
    Was dabei herausgekommen ist, verraten die Gene. Svante Pääbo, Direktor am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig:
    "Diese frühen modernen Menschen, die haben sich mit den Neandertalern gemischt, schon bevor die nach Europa kamen wahrscheinlich und auch in Europa."
    Zusammen mit dem Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte in Jena, der Harvard Universität und der Universität Tübingen hat ein Forscherteam fünfzig Skelette moderner Menschen, die nach Europa gekommen sind, untersucht. Das Besondere daran: Die Skelette stammten aus der Zeit zwischen 45.000 bis 7.000 Jahren vor unserer Zeit.
    "Und jetzt haben wir zum ersten Mal untersuchen können, wieviel Neandertaler-DNA diese frühen Europäer hatten. Und während jetzige Europäer so zwischen ein und zwei Prozent Neandertaler Gen in sich tragen, haben wir zu unserer Überraschung festgestellt, dass vor 40.000, 45.000 Jahren waren es schon mehr als doppelt oder dreimal so viel, zwischen vier bis sechs Prozent."
    Die ersten modernen Menschen sind keine direkten Vorfahren von uns – so viel steht jetzt fest, sagt Prof. Johannes Krause, Direktor am Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte:
    "Erst die Menschen, die ab vor ungefähr 37.000 Jahren in Europa leben, haben dann auch Gene in den heutigen Europäern hinterlassen, das heißt, es gab eine erste nicht erfolgreiche Besiedlung und dann die erste erfolgreiche Besiedlung ab ungefähr 37.000 Jahren."
    Wenn aber die modernen Menschen und die Neandertaler über mehrere Jahrtausende gemeinsam in Europa gelebt haben - woher weiß man, wer was geschaffen hat?
    "Also ehrlich geantwortet, erst mal gar nicht, denn wir können die Artefakte nicht unmittelbar mit Menschenformen verbinden. Uns bleibt nichts anderes als Analogien", meint Thorsten Uthmeier.
    "Ausgangsbasis aller Überlegungen sind Fundschichten, in denen man neben den Steinwerkzeugen, den Überresten der Jagdbeute, vielleicht auch Strukturen, Feuerstellen, Fundschichten, wo man solche Dinge gefunden hat und gleichzeitig auch Überreste des Menschen. Das ist die Ausgangsbasis aller weiteren Überlegungen. Und man schaut dann, mit welchen Menschenarten sind bestimmte Steingeräte vergesellschaftet."
    "Neandertaler behandeln wie eine Ethnie"
    Erkennen die Wissenschaftler ein Muster, können sie Rückschlüsse ziehen. Fazit:
    "Neandertaler und moderne Menschen sind ja eigentlich Unterarten, das sind ja keine unterschiedlichen Arten. Deshalb wird häufig zwar noch gestritten, aber darauf hingewiesen, dass wir Homo sapiens sapiens und Homo sapiens neandertalensis sagen müssen."
    Homo bezeichnet die Gattung, Sapiens die Art. Beide Begriffe stammen aus der biologischen Systematik. Homo sapiens sapiens und Homo sapiens neandertalensis sind also Unterarten der Art sapiens und der Gattung Homo.
    "Ein Teil meiner Fachkolleginnen und Kollegen, und ich habe mich da angeschlossen, wir haben schon vor langer Zeit gesagt, man muss den Neandertaler behandeln wie eine Ethnie und nicht wie eine andere biologische Art. Man muss nach Erklärungsmustern suchen, die im Bereich der Ethnologie oder Soziologie angesiedelt sind und eben nicht in der Evolutionsbiologie. Aber es hat dann doch lang gedauert und eigentlich erst bis zu diesen genetischen Untersuchungen, dass das auch allgemein akzeptiert worden ist."
    Freizeitpark "Gondwana – Das Praehistorium" 
    Ein Neandertaler jagt in einer Winterlandschaft ein Mammut. Die Nachbildung ist im Freizeitpark "Gondwana – Das Praehistorium" in Schiffweiler (Saarland) zu sehen. (picture alliance/dpa/Foto: Oliver Dietze)
    Seine Schlussfolgerung: "Wir müssen es an den Funden versuchen festzumachen. Da gibt es, eigentlich aus der gesamten Zeit der Neandertaler, beginnend vor 300.000 Jahren bis – zahlenmäßig häufiger auftretend – vielleicht 100.000 Jahren vor heute bis zum Verschwinden der Neandertaler, eine ganze Reihe an Fundstellen, an denen wir Funde getätigt haben, die darauf hindeuten, dass Neandertaler in allen Aspekten: sozial und kognitiv und intellektuell dem modernen Menschen ebenbürtig waren."
    "Neandertaler-DNA hat ständig abgenommen"
    Andererseits lässt sich nach heutiger Kenntnis sagen, hat "diese Neandertaler-DNA dann ständig abgenommen."
    Das hat Svante Pääbo bei seinen Untersuchungen festgestellt. Aber warum ist das so?
    "Die wahrscheinlichste Erklärung dafür ist, dass viele von diesen Neandertaler -Varianten, die moderne Menschen tragen, tatsächlich in gewisser Hinsicht nachteilhaft sind. Es gab Selektion und gibt wahrscheinlich immer noch eine milde Selektion gegen diese Varianten, so dass die abnehmen über die Zeit und zwar dann von vier bis sechs Prozent vor 40.000 Jahren zu ein bis zwei Prozent heute."
    Das könnte eine Erklärung sein, warum die Neandertaler nicht überlebt haben. Prof.Jürgen Richter sucht nach weiteren:
    "Wenn wir in die Zeit des Aussterbens der Neandertaler hinein schauen, und das tun wir in unserem Sonderforschungsbereich ganz speziell hinsichtlich der Umweltentwicklung, also die Frage, ob irgendwelche Umweltkatastrophen, Klimawandel oder ähnliches hier eine spezielle Rolle gespielt haben könnten, dann machen wir hier allerdings ein paar sehr, sehr interessante Feststellungen, denn der Zeitraum, indem moderne Menschen den Neandertaler abgelöst haben, der gehört zu einer Phase zwischen den beiden Höchstständen der letzten Kaltzeit, zwischen etwa 60.000 und 26.000 Jahren, in der in relativ kurzen Abständen sich relativ rasche Klimaveränderungen abgespielt hatten und zwar mit erheblich größerem Ausmaß, als wir das aus der heutigen Warmzeit, die durch ein sehr gleichförmiges Klima geprägt ist, wenn wir das eben mit den Klimaphasen der Kaltzeiten vergleichen."
    Seine Schlussfolgerung: "Das könnte zumindest ein wichtiger Schlüssel sein, warum durch sehr schnell wechselnde Umweltsituationen, bestimmte Populationen benachteiligt und andere bevorzugt werden."
    Die harten klimatischen Bedingungen konnten sich deshalb für den Neandertaler negativ auswirken, da seine Bedürfnisse andere waren als die des modernen Menschen.
    Krisen durch Klimaveränderungen
    Thorsten Uthmeier: "Der Neandertaler ist sehr muskulös, der ist an kalte Habitate sehr gut angepasst. Es scheint festzustehen, dass der Neandertaler, um seinen Metabolismus, seine Körperfunktion aufrechtzuerhalten, einfach mehr Kalorien gebraucht hat als der Homo sapiens sapiens. Der braucht ungefähr 500 – 1000 Kalorien am Tag mehr."
    Das ist so lange kein Problem, wie genügend Nahrungsmittel vorhanden sind. Zum Problem wird es dann, wenn durch Klimaveränderung Krisen entstehen und Nahrungsmittel knapp werden. Je kleiner aber eine Menschengruppe wird, bedingt durch unwirtliches Klima, umso schlechter kann sie überleben.
    Jürgen Richter: "Es könnte sogar so weit führen, dass zu dem Zeitpunkt, wo dann eine Wiederaufsiedlung stattfinden könnte, weil sich das Klima wieder verbessert, möglicherweise gar nicht die Basis in der vorhergehenden Population gegeben ist."
    Denn was wir wissen, ist "Neandertaler mussten mehrfach durch einen demografischen Flaschenhals."
    Das lässt sich an der sogenannten Mitochondrien-DNA erkennen. Ist die Erbinformation wenig unterschiedlich, lässt das Rückschlüsse auf die Anzahl von Individuen innerhalb einer Population zu.
    Prof. Johannes Krause, Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte:"Wir sehen in diesen modernen Menschen eine relativ große genetische Vielfalt, das heißt, wir können davon ausgehen, dass es sehr viele, moderne frühe Menschen gab in Europa, und auch die dann zu der Zeit eingewandert sind scheinbar mehr als Neandertaler. Neandertaler haben eine relativ geringe genetische Vielfalt, das heißt, es könnte sein, dass es ein einfacher demografischer Prozess ist."
    Verhaltensunterschiede zum modernen Menschen
    Nicht nur Einwanderung, Klimawandel und schlechte Nahrungsverfügbarkeit könnten eine Rolle gespielt haben, auch das Verhalten der Neandertaler vor Ort zeigt Unterschiede zum modernen Menschen.
    Prof. Thorsten Uthmeier, Universität Erlangen: "Was wir beim Homo sapiens sapiens auch noch am Fundmaterial sehen können, die Herkunftsgebiete, aus denen Schmuckschnecken des modernen Menschen stammen, liegen manchmal bis zu 1000 Kilometer weg von dem Platz, wo wir die finden. Und wir gehen davon aus, dass da keine Individuen gewandert sind, um das zu beschaffen, sondern wir gehen davon aus, dass das Ausdruck eines sozialen Netzwerkes ist, wo man Dinge von Hand zu Hand weitergibt, als kleines Geschenk, wenn man sich getroffen hat, aber da stecken natürlich auch Informationen drin, nicht unbedingt in den kleinen Schmuckschnecken, die in Österreich gefunden werden aber aus dem Mittelmeer stammen, aber man hat ja Informationen von Hand zu Hand, von Mund zu Mund bekommen, die mit den Stücken gewandert sind aus dem Mittelmeer."
    Vergleicht man dagegen die Fundstellen der Neandertaler, ergibt sich ein anderes Bild:
    "Die sind klein, da sind häufig ein oder zwei Feuerstellen, man hat nicht das Gefühl, dass da große Gruppen gewesen wären, dass man ein großes Informationsnetzwerk haben wollte, das scheint beim Neandertaler nicht der Fall gewesen zu sein."
    Große Informationsnetzwerke bedeuten Resilienz. Sie fördern die Widerstandsfähigkeit gegen klimatisch kritische Phasen, wo die Jagdbeute ausbleibt. Der Vorteil dieser Netzwerke ist der Informationsvorsprung.
    "Da kann man andere fragen, wie war denn das in dem Gebiet, zwei, drei Tagesmärsche von hier, dann wird das vielleicht jemand aus der Gruppe wissen, weil er jemanden kennt, mit dem er da in Kontakt steht."
    Neben besserer Kommunikation könnte Homo sapiens sapiens auch modernere Waffen eingesetzt haben als die Neandertaler, meint Jürgen Richter, so dass "kulturelle Kapazität der menschlichen Gesellschaft der entscheidende Faktor ist und die Umweltveränderungen gar nicht so eine große Rolle gespielt hätten."
    Wie konnte der Neandertaler so lange überleben?
    Nach wie vor ist das Rätsel nicht endgültig geklärt, denn eigentlich war der Neandertaler optimal auf seine unwirtliche Umgebung vorbereitet. Immerhin überlebte er 300.000 Jahre in dieser Umgebung.
    "Beispielsweise haben Neandertaler zu einer Zeit am Fundplatz Salzgitter-Lebenstedt gelebt, wo wir es sehr gut auch mit botanischen und Faunenresten nachvollziehen können, in einer Zeit, in der dort Umweltverhältnisse herrschten, die mit den heutigen Verhältnissen in Nordsibirien vergleichbar sind. Und wenn man sich vorstellt, man müsste heutzutage nur bewaffnet mit beidflächig bearbeiteten Steinwerkzeugen, Speeren und mit einer recht einfachen Kleidung in Nordsibirien von Jagd sich ernähren, kann man sich vorstellen, was da eigentlich dahinter steckt", meint Jürgen Richter.
    Und trotzdem hat Homo sapiens sapiens den Neandertaler in dem Gebiet letztendlich verdrängt.
    "Dazu kann man sagen, dass sie sehr gut an verschiedene Lebensweisen, an sehr verschiedene Regionen auch angepasst waren", sagt Johannes Krause.
    "Das heißt, die modernen Menschen sind eins der wenigen Säugetiere, die eigentlich in so ziemlich in allen ökologischen Zonen auf der Welt leben können, in der Arktis, im Amazonas, in der Wüste, das heißt, wir sind kulturell sehr gut angepasst, und, was wir auch sehen, als der moderne Mensch nach Europa und Asien einwanderte, dringt er weiter in den Norden vor. Er geht auch in höhere Höhenlagen, in Gebirge. Das heißt, wir scheinen an diese Eiszeit besser angepasst gewesen zu sein als der Neandertaler. Das ist schon sehr erstaunlich, denke ich. Und ich denke, wir haben da irgendwo einfach einen kulturellen, vielleicht auch kognitiven Vorsprung gehabt, den die Neandertaler so nicht hatten, und deshalb sind sie dann vielleicht so ausgestorben."
    Doch wer war dieser moderne Mensch, dessen Erbgut dem des Neandertalers überlegen war?
    Eine Antwort darauf gibt die Genetik, denn gleichzeitig mit dem Verschwinden des Neandertalers "sehen wir dann auch, dass im weiteren Verlauf der nächsten tausenden von Jahren, es immer wieder zu genetischen Verschiebungen in Europa kommt. Wir haben vor 14.000 Jahren die erste große Einwanderung aus dem Nahen Osten gehabt, vor 7.000 Jahren sind 70 bis 80 Prozent der Gene der Menschen in Europa durch Einwanderer aus dem Nahen Osten ersetzt worden, wir haben vor 5.000 Jahren eine massive Einwanderung aus der Steppe Asiens, die auch hier wieder zahlreiche Menschen im Prinzip ersetzt und zahlreiche Gene nach Europa bringt, das heißt dieses Potpourri, diese bunte Mischung, dieses zumindest biologisch multikulturelle ist immer Teil der europäischen Geschichte gewesen, und das sehen wir hier auch in der Menschheitsgeschichte, und ich denke, das ist ein zentraler Teil unserer Biologie und deswegen würde ich mir wünschen und hoffen, dass Menschen das auch heute so empfinden, das ist wirklich auch Teil unserer Menschheitsgeschichte."
    Dieses Potpourri aus Genen verschiedenster Menschen bevölkert heute die Erde. Wie erfolgreich Homo sapiens sapiens dabei ist, das muss sich noch zeigen, denn im Vergleich zu seinem nächsten Verwandten ist dieser moderne Hominide noch nicht so lange dabei. Jürgen Richter, Professor für Ur- und Frühgeschichte an der Universität Köln:
    "Wir können es auch mal so rum sagen, soweit müssten wir erstmal kommen, wenn man natürlich weiß, Neandertaler sind ausgestorben, Homo sapiens hat überlebt, wer ist denn nun das Erfolgsmodell? - können wir auch sagen: Das ist noch lange nicht raus, denn immerhin haben die Neandertaler mindestens 250.000 Jahre auch überlebt."
    Literatur:
    Qiaomei Fu, u.a.: "The genetic history of Ice Age Europe", in Nature, DOI 10, 1038/nature17933, Online-Veröffentlichung am 2. Mai 2016.
    Richter, Jürgen: "Leave at the height of the party: A critical review of the Middle Paleolithic in Western Central Europe from its beginnings to its rapid decline", in Quaternary International (2016) 1-22.
    Uthmeier, Thorsten: "Modernes Verhalten" und Neandertaler – ein Widerspruch?
    "Neandertaler" in Archäologie in Deutschland, 03/2016, Juni – Juli, 28 – 31, Wissenschaftliche Buchgesellschaft (WBG) Darmstadt.