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Erdogans Nazi-Vergleich
"Wir überlassen die Provokationen anderen"

Provokationen seien nie Ausdruck von innerer Stärke und Souveränität, sagte Norbert Röttgen (CDU), Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, zu den Äußerungen des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan im DLF. Beim Referendums-Wahlkampf wäre es zwar wünschenswert, diesen nicht in Deutschland auszutragen - aber verbieten wolle er das nicht.

Norbert Röttgen im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 06.03.2017
    Der CDU-Politiker Norbert Röttgen
    Norbert Röttgen, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag (picture-alliance / dpa / Sebastian Kahnert)
    Tobias Armbrüster: Herr Röttgen, war das jetzt wirklich so schlimm, dass der türkische Wirtschaftsminister in Köln gesprochen hat?
    Norbert Röttgen: Die Frage ist, glaube ich, nicht so sehr, ist das so schlimm als Einzelereignis. Die Frage ist, sollen innenpolitische Auseinandersetzungen anderer Länder in Deutschland stattfinden. Ich meine, nein. Und die zweite ist: Soll in Deutschland geworben werden dafür, dass in einem anderen Land Demokratie und Rechtsstaatlichkeit beseitigt werden soll. Ich meine, nein. Das ist meine Position. Es ist keine Frage von schlimm oder nicht schlimm, sondern es ist die Frage, wie wir dieses Verständnis haben gegenüber innenpolitischen Konflikten anderer Länder.
    Armbrüster: Aber die große Frage ist doch: Ist die deutsche Demokratie, die deutsche Gesellschaft nicht stark genug, so etwas auszuhalten?
    Röttgen: Nein. Ich glaube, dass das die Frage gerade nicht ist – das ist sie ohne jeden Zweifel -, sondern die Frage ist, ob man möchte, dass die innenpolitischen Konflikte anderer Länder - wir haben jetzt hier vielleicht das Wichtigste praktische Beispiel - in Deutschland ausgetragen werden sollen, mit allem, was das auch bedeutet. Und ich glaube, man kann sagen, nein, das wollen wir nicht. Ich glaube, man kann auch sagen, das tue ich sehr selten, ich verwende das Argument sehr selten, dass die große Mehrheit der Bevölkerung das auch nicht wünscht. Das ist nichts Feindliches, sondern ist eine Entscheidung auf die Frage, wo ist der Ort innenpolitischer Auseinandersetzungen. Und der ist im jeweiligen Land. Ich glaube, das ist eine ganz vernünftige, auch sehr selbstbewusste Position.
    Armbrüster: Das heißt, Herr Röttgen, solche Auftritte sollten verboten werden?
    Röttgen: Nein, das heißt es nicht. Ich glaube, das ist auch kein Widerspruch, sondern es ist das, wie meine Meinung ist, ich glaube, auch die Meinung von vielen ist, und man sollte auch um Respekt bitten für diese Meinung. Ich glaube auch, dass das die normale Haltung in den Ländern ist, dass man sagt, wir klären unsere innenpolitischen Konflikte bei uns zuhause und nicht in anderen Ländern. Aber es wäre falsch, es durchzusetzen, weil das im Wege einer Schadensabwägung zu einer Eskalation führen würde, die falsch ist. Aber trotzdem, auch wenn man etwas nicht durchsetzt, rechtlich vor allen Dingen, kann man diese Meinung haben und kann diese Meinung auch mitteilen und darum bitten, dass sie respektiert wird.
    Armbrüster: Aber das wird dann ja keine Auswirkungen haben. Dann sagen Sie, Herr Röttgen, und möglicherweise einige andere noch, uns gefällt das nicht und wir finden es nicht in Ordnung, aber die türkischen Minister kommen trotzdem.
    "Ein sehr souveränes und vernünftiges Verhalten"
    Röttgen: Das könnte dann die Konsequenz sein, ja. Und das wäre das richtige Verhalten nach meiner Auffassung. Es gibt immer wieder Dinge, von denen man eine Meinung hat, und trotzdem setzt man nicht auf ein Verbot und trotzdem enthält man sich Maßnahmen, die im zwischenstaatlichen Verhältnis eine Eskalation bedeuten würde. Das ist, glaube ich, ein sehr souveränes und vernünftiges Verhalten. Wir eskalieren nicht, wir lassen uns auch nicht provozieren, und trotzdem darf man eine Meinung haben und sie auch kundtun.
    Armbrüster: Ich glaube, da denken jetzt viele Leute, das sagt der Röttgen, weil Deutschland so sehr auf die Türkei angewiesen ist. Unter anderen Umständen würde man wahrscheinlich ein Verbot durchsetzen, aber bei Erdogan traut man sich das nicht so richtig.
    Röttgen: Jedenfalls fragen Sie es ja und die Antwort ist natürlich: Nein! Wir haben im Hinblick auf dieses Abkommen, aber auch in vielerlei anderer Hinsicht ein Interesse an der Funktionsfähigkeit oder an funktionsfähigen politischen Beziehungen zur Türkei. Ja, selbstverständlich! Das haben wir zur Türkei.
    Armbrüster: Und dann ist man gerne auch mal so ein bisschen inkonsequent.
    Röttgen: Nein, ich teile Ihre Bewertung nicht. Das ist nicht inkonsequent. Man würde auch gegenüber anderen Ländern dann nicht zu rechtlichen Maßnahmen etwa von Einreiseverboten greifen. Das ist das einzige, was auf Bundesebene getan werden könnte. Für andere Maßnahmen ist der Bund nicht zuständig. Dazu würde man nicht greifen, das wäre unverhältnismäßig. Und trotzdem sagt man, unsere Meinung ist, die innenpolitischen Konflikte, tragt sie in eurem Land bitte aus. Aber man würde es nicht mit Zwang eines Einreiseverbotes durchsetzen. Und das gilt für die Türkei, aber wahrscheinlich auch für jedes andere Land.
    Armbrüster: Ich habe jetzt immer noch nicht ganz verstanden, warum das unverhältnismäßig ist, vor allen Dingen, wenn ich mir angucke, wie die Reaktionen darüber hier in den vergangenen Tagen und Wochen waren, mit welcher immensen Energie das Ganze auch politisch diskutiert wurde. Da scheint es ja doch in Deutschland bei vielen Politikern eine sehr, sehr klare Meinung zu geben. Warum man dann nicht wirklich sagen kann, wir versuchen, das jetzt mal auf dem Gesetzeswege durchzubringen, oder wir versuchen, das tatsächlich von Berlin aus zu untersagen, sondern dass man es stattdessen den Bürgermeistern und Landräten überlässt, diese Verbote auszusprechen.
    Röttgen: Nein, das ist kein stattdessen. Noch mal: Es ist auch kein Widerspruch, sondern es würde bedeuten, um das auch ganz klar zu benennen – ich habe das ja eben auch Schadensabwägung genannt. Es würde führen in der Türkei zum Verständnis einer Eskalation in den jetzt spannungsgeladenen Beziehungen. Das ist nicht unser Interesse. Das einzige Instrument auf Bundesebene wäre ein Einreiseverbot für türkische Politiker und das würde eine Eskalation bedeuten, die nicht in unserem Interesse ist, die nicht vernünftig wäre, und wir sollten uns vernünftig verhalten.
    Armbrüster: Stattdessen überlassen wir jetzt das Eskalieren weiter dem türkischen Präsidenten Erdogan. Wir haben seinen Redeauszug gehört. Er wirft den Deutschen Nazi-Praktiken vor bei der Untersagung dieser Ministerauftritte. Nazi-Praktiken, was sagen Sie dazu?
    "Wir überlassen die Provokationen anderen"
    Röttgen: Sie haben es schon beantwortet. Wir überlassen die Provokation anderen. Provokationen sind nie Ausdruck von innerer Stärke und Souveränität, das nur mal ganz nebenbei. Aber wir lassen uns nicht provozieren, weil das nicht vernünftig ist. Wir sind auch souverän genug, uns nicht provozieren zu lassen, sondern bleiben vernünftig, und das ist genau das richtige Verhalten.
    Armbrüster: Das heißt, dann kann auch Herr Erdogan nach Deutschland kommen in den kommenden Tagen, vor Mitte April, und auch hier zu seinen Anhängern sprechen?
    Röttgen: Die Antwort möchte ich danach, was ich eben gesagt habe, geben. Unsere Meinung tun wir kund, die sollten wir kundtun, aber es wird aus meiner Sicht nicht und sollte nicht kommen zu irgendeiner Form von Einreiseverboten gegenüber Regierungsmitgliedern anderer Staaten, hier in diesem Fall nebenbei auch ein NATO-Staat, aber das ist nicht der nur entscheidende Gesichtspunkt, der Türkei im konkreten Falle kommen. Das wäre falsch. Im Sinne einer Interessenabwägung Deutschlands wäre das eine schädliche Eskalation von unserer Seite, die wir unterlassen dürfen. Und trotzdem sagen wir unsere Meinung und haben sie auch.
    Armbrüster: Das heißt aber, da gibt es tatsächlich gar keine Reaktion? Man wundert sich da. Das prallt alles an Ihnen wie auch an vielen anderen Außenpolitikern ab. Da kommen Vorwürfe, Nazi-Praktiken, haben wir jetzt gehört. Dann kündigt Erdogan an, er kommt möglicherweise selbst, und wenn die Deutschen ihm irgendwas entgegenstellen sollten, dann würde er die ganze Welt gegen Deutschland aufhetzen. Dazu kommt von Ihnen keine Reaktion, nichts?
    Röttgen: Doch. Sie, glaube ich, kommentieren das jetzt in falscher Weise. Sich provozieren zu lassen, wäre das denn eine vernünftige Reaktion? Sollen wir uns auf diesen Ton einlassen? Doch ganz sicher nicht! Und solche Provokationen, darauf nicht zu reagieren, das halte ich für Ausdruck von Vernunft, von außenpolitischer Vernunft, von innerer Souveränität. Und dieses Verhalten, das wir damit zeigen, ist kein Nichtverhalten, kein Nichtreagieren, sondern das ist Ausdruck von innerer Stärke, Souveränität und außenpolitischer Vernunft. So sollten wir uns verhalten und nebenbei verhalten wir uns auch so. Und die Unterschiede im Verhalten sind für Jedermann in Deutschland und in der ganzen Welt sichtbar. Und darum ist es das richtige Verhalten und kein Nichtverhalten.
    Armbrüster: Das heißt, ihm wird nichts entgegengesetzt? Erdogan hat nichts zu befürchten von Deutschland?
    "Ja beim Referendum wäre eine Abwendung von Europa"
    Röttgen: Zu befürchten hat Erdogan von Deutschland in der Tat nichts, sondern wir sagen nur den Grundsatz, wo innenpolitische Konflikte ausgetragen werden sollen. Und wir sagen nebenbei auch, sollten sagen, ich sage es jedenfalls, was wir in der Sache von dem Referendum halten. Das wird allerdings umso mehr geboten, je mehr auch Minister und andere hier es übernehmen, für das Referendum zu werben. Wir sollten klar sagen, worum es bei diesem Referendum geht: Darum, dass in der Person des Staatspräsidenten die Gewaltenteilung in der Türkei aufgehoben wird und damit Rechtsstaatlichkeit und Demokratie nicht mehr wirklich gelten in der Türkei. Darüber wird entschieden und wir sollten den Türken sagen, dass das gleichzeitig eine Entscheidung darüber ist, ob sie weiterhin sich zu Europa hinwenden wollen. Dann können sie nicht mit Ja stimmen, denn wenn das Verfassungswirklichkeit würde, dieses Referendum, dann wäre das eine Abwendung von Europa. Das müssen die Türken wissen und das sollten wir ihnen in der Sache sagen. Das hätte Herr Erdogan vielleicht zu befürchten, aber nicht in Person, sondern nur eine klare sachliche Aussage.
    Armbrüster: Hier bei uns in den "Informationen am Morgen" war das Norbert Röttgen von der CDU, der Vorsitzende im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages. Vielen Dank, Herr Röttgen, für das Gespräch.
    Röttgen: Ich danke Ihnen, Herr Armbrüster.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.