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Absage von Wahlkampfauftritten
Erdogan spricht von "Nazi-Praktiken"

Im Streit um türkische Wahlkampfauftritte in Deutschland hat Präsident Erdogan Deutschland Nazi-Methoden vorgeworfen. Hintergrund ist die Absage von geplanten Auftritten türkischer Minister. Politiker von Union und Grünen äußerten sich empört.

05.03.2017
    Sie sehen den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan in Istanbul.
    Sie sehen den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan in Istanbul. (dpa-Bildfunk / AP / Yasin Bulbul / Presidential Press Service)
    Erdogan sagte bei einer Veranstaltung in Istanbul, wenn Deutschland Auftritte türkische Regierungspolitiker untersage, sei dies "nichts anderes als das, was in der Nazi-Zeit getan wurde". Der Nachrichtenagentur Anadolu zufolge sagte Erdogan weiter, Deutschland habe in keinster Weise ein Verhältnis zur Demokratie.
    CSU-Generalsekretär Scheuer forderte eine Entschuldigung Erdogans und bezeichnete den Nazi-Vergleich in der "Passauer Neuen Presse" (Montagsausgabe) als eine "ungeheuerliche Entgleisung." CDU-Vizechefin Klöckner nannte Erdogans Äußerung "unverschämt, geschichtsvergessen, anmaßend". Der Unions-Außenpolitiker Jürgen Hardt sagte den Zeitungen der Funke-Mediengruppe, mit seinem "törichten Nazi-Vergleich" lasse Erdogan jegliche historische Erkenntnis außer Acht.
    Zwei Wahlkampfauftritte in Nordrhein-Westfalen
    In den vergangenen Tagen hatten mehrere deutsche Kommunen und Veranstalter Wahlkampfauftritte türkischer Minister in Deutschland abgesagt, darunter ein Auftritt des türkischen Wirtschaftsministers Nihat Zeybekci in Frechen. Er besuchte am Sonntag Nachmittag eine Veranstaltung in einem türkischen Kulturzentrum in Leverkusen. Am Abend wird er zudem in einem Hotel in der Kölner Innenstadt auftreten.
    Die Termine in Leverkusen und Köln sollen nicht die letzten Auftritte türkischer Politiker in Deutschland sein: Der türkische Außenminister Mevlut Cavusoglu kündigte gestern bei einer Wahlkampfrede in der Türkei an, man werde trotz der wachsenden Kritik weiter in Deutschland für das umstrittene Verfassungsreferendum werben. Beschränkungen und Auftrittsverbote bezeichnete er als undemokratisch.
    Erdogan strebt ein Präsidialsystem an, das ihm deutlich mehr Macht verleihen und das Parlament schwächen würde. An der Volksabstimmung am 16. April können auch im Ausland lebende wahlberechtigte Türken teilnehmen, darunter rund 1,41 Millionen in Deutschland.
    Kritik von Kraft und Bosbach
    Im Interview der Woche mit dem Deutschlandfunk forderte die nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin Hannelore Kraft die Bundesregierung auf, in der Frage der Wahlkampfauftritte türkischer Politiker in Deutschland deutliche Worte an die Türkei zu richten. Man müsse klarmachen, dass man keinen innertürkischen Wahlkampf in Deutschland wolle. "Welches diplomatische Instrument da genommen wird, das muss die Bundesregierung selbst entscheiden", sagte Kraft. Die Ministerpräsidentin sieht hier die Kanzlerin am Zuge, schließlich spreche sie mit dem türkischen Präsidenten Erdogan. Und "selbstverständlich" sei auch der Außenminister gefordert.
    Die beiden sitzen sich an einem Konferenztisch gegenüber.
    NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft im Interview mit Landeskorrespondent Moritz Küpper. (Deutschlandradio)
    Ähnlich äußerte sich auch der CDU-Politiker Wolfgang Bosbach, ebenfalls im Deutschlandfunk. Er betonte, es könne kein Interesse daran geben, schwere innerpolitische Konflikte aus der Türkei zu importieren. Deutschland dürfe auch nicht als Propaganda-Raum misasbraucht werden, um die Demokratie in der Türkei weiter zu demontieren. Genauso wie Kraft sprach sich für eine klare Positionierung der Bundesregierung aus.
    Und auch außerhalb Deutschlands regt sich Kritik: Österreichs Bundeskanzler Christian Kern sprach sich für ein EU-weites Verbot von Wahlkampfauftritten türkischer Politiker aus. Eine gemeinsame Vorgehensweise der Europäischen Union in dieser Frage wäre sinnvoll, sagte Kern der "Welt am Sonntag". Bundesaußenminister Sigmar Gabriel sprach sich nicht generell gegen solche Veranstaltungen aus, stellte aber Bedingungen. In einem Gastbeitrag für die "Bild am Sonntag" schrieb der SPD-Vorsitzende, wer in Deutschland reden wolle, müsse die Regeln des Rechts, genauso wie die des Anstands respektieren. Die Inhaftierung des Korrespondenten Yücel nannte Gabriel falsch und unangemessen. Die Bundesregierung setze sich mit Nachdruck für seine Freilassung ein.
    Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte in der Sache bereits am Samstag mit dem türkischen Regierungschef Binali Yildirim telefoniert. Das Gespräch sei gut und produktiv verlaufen, wird Yildirim von türkischen Medien zitiert.
    Politologe rechnet mit "Kalten Krieg" zwischen Berlin und Ankara
    Der türkische Politologe Hüseyin Bagci rechnet unterdessen mit einem "Kalten Krieg" zwischen Deutschland und der Türkei. Im Deutschlandfunk sagte er, mit der Inhaftierung des Korrespondenten Deniz Yücel und dem Streit um Wahlkampfaufritte türkischer Politiker in Deutschland sei das Verhältnis am Tiefpunkt angelangt. Bagci geht davon aus, dass sich die Konfrontation zwischen Berlin und Ankara in den kommenden Tagen weiter verschärfen wird.
    In einem Meer türkischer Fahnen hält jemand ein Erdogan-Bild hoch.
    Erdogan-Anhänger während eines Auftritts des Präsidenten in Köln im Jahr 2014 (dpa-Bildfunk / Henning Kaiser)
    Präsident Erdogan habe in der Türkei eine "politische Kampfrhetorik" gegenüber Deutschland etabliert. Das Staatsoberhaupt mache keinen Hehl mehr daraus, dass er Deutschland als Feind betrachte. Noch verfange diese Rhetorik bei den meisten Türken nicht, doch erwartet der Politologe in den kommenden Tagen "antideutsche Demonstrationen" in der Türkei, sagte Bagci im Deutschlandfunk.
    Hinzu komme, dass Erdogan Bundeskanzlerin Merkel nicht mehr als starke Regierungschefin ansehe - und ihre Niederlage bei der Bundestagswahl in diesem Jahr für möglich halte. "Erdogan betreibt Merkel-Bashing", sagte Bagci - und forciere einen "Kalten Krieg" zwischen Deutschland und der Türkei.
    (mg/jasi/bor/rm)