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Ergebnisse um jeden Preis
Wenn Forscher betrügen

Jedes Jahr fließen Milliarden-Summen in die Forschung. Doch immer wieder gibt es Wissenschaftler, die Forschungsergebnisse fälschen oder schlicht erfinden. Problematisch ist auch, dass es hierzulande kein geeignetes System gibt, um Fälschungen zu unterbinden.

Von Catalina Schröder | 14.02.2018
    "Ich bin Diederik Stapel und ich wurde im September 2011 gefeuert, weil meine Kollegen herausgefunden hatten, dass ich Wissenschaftsbetrug begangen hatte. Nicht nur einmal, sondern über einen langen Zeitraum. Das bedeutet, dass ich mir meine wissenschaftlichen Daten, meine Ergebnisse selbst ausgedacht habe. Und das ist natürlich eine Sünde. Die größte Sünde, die man in der Wissenschaft begehen kann. Deshalb wurde ich vor sechseinhalb Jahren gefeuert."
    Diederik Stapel sitzt am Küchentisch seines Hauses in der niederländischen Stadt Tilburg, als er seine Geschichte erzählt. Viele Jahre hat der heute 51-jährige Sozialpsychologe als Wissenschaftler an der Universität von Tilburg gearbeitet.
    "Ich war Professor der Sozialpsychologie und habe für verschiedene berühmte wissenschaftliche Fachzeitschriften geschrieben. Ich habe geforscht und war der Dekan der sozialwissenschaftlichen Fakultät."
    Ergebnisse verändert, wenn sie Erwartungen nicht erfüllten
    Stapels psychologische Studien basierten auf Fragebögen, die er seine Probanden ausfüllen ließ, nachdem er sie in eine bestimmte Situation versetzt hatte. Es ging in seinen Studien immer darum, wie sich Menschen dann verhalten: In einer Befragung fand er heraus, dass sie sich in einer vermüllten Umgebung angeblich rassistischer benehmen. Veröffentlicht wurde die Studie im Wissenschaftsmagazin Science. Ein anderes Mal stellte der Sozialpsychologe fest, dass Frauen, die in der Werbung Kosmetikprodukte sehen, sich hässlicher fühlen würden. Modejournalisten berichteten darüber.
    "Ich hatte eine Idee und eigentlich testet man die dann, indem man Leuten Fragen stellt, ihnen Fragebögen gibt oder sie Aufgaben am Computer erledigen lässt. Das habe ich auch gemacht, aber wenn die Ergebnisse nicht exakt das ergaben, was ich erwartet hatte, habe ich die Ergebnisse verändert."
    Alle Studien waren gefälscht. Mal hatte er zwar Probanden befragt, aber die Ergebnisse geschönt. In anderen Fällen hatte er niemanden befragt und sich die Ergebnisse stattdessen einfach ausgedacht.
    2011 flog Stapel auf. Kollegen hatten ihn beim Rektor der Universität angeschwärzt, weil er mit seiner Forschung in kurzer Zeit nur außergewöhnlich gute Ergebnisse erzielte. Wenig aussagekräftige Experimente oder Irrtümer, wie sie den anderen Wissenschaftlern unterliefen, gab e bei Stapel scheinbar nicht. Das erschien den Kollegen zu schön, um wahr zu sein. Der Wissenschaftler gab alles zu – drei Tage später war er seinen Job los. Obwohl das alles mehr als sechseinhalb Jahre zurückliegt, sorgt Stapels Fall bis heute in der niederländischen Wissenschaftsszene für Aufsehen.
    "Etwa alle zwei Monate mailen mir Studenten einer holländischen Universität und fragen: 'Hey Diederik, können wir dich zu einem Diskussionsabend über wissenschaftliche Integrität und Ethik einladen?' Und ich sage immer 'ja', weil ich glaube, dass ich eine soziale Verantwortung habe. Und fast ausnahmslos sagt ihr Professor oder der Präsident ihrer Universität dann ein paar Wochen vor der Veranstaltung: 'Oh nein, ihr dürft nicht mit Diederik Stapel sprechen.'"
    Dass ein Wissenschaftler, der des Betrugs verdächtigt, oder – wie Diederik Stapel – sogar überführt wurde, öffentlich darüber spricht, ist die absolute Ausnahme. Auch in Deutschland werden immer wieder Fälle von Wissenschaftsbetrug bekannt:
    In den 1990ern wurde einem deutschen Chemiker der Doktortitel aberkannt. Eine Kommission hatte zuvor vergeblich versucht, seine Experimente, die damals als bahnbrechend galten, zu wiederholen. 2012 trat ein deutscher Chirurg von seinem Posten an einer Universitätsklinik zurück, nachdem er behauptet hatte, im Rahmen einer wissenschaftlichen Studie deutlich mehr Patienten operiert zu haben, als es tatsächlich der Fall war. 2014 wurde publik, dass ein deutscher Kardiologe Daten einer Herzstudie manipuliert hatte. Vier Jahre durfte er zur Strafe keine Anträge auf Forschungsgelder bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft stellen. Heute arbeitet er als Arzt. Keiner der Herren war zu einem Interview bereit.
    "Das Weglassen eines Messwertes ist natürlich nicht korrekt"
    Was ein Betrug ist, ist auch eine Frage der Definition, erklärt Ulrike Beisiegel. Sie ist Professorin für Biochemie und Präsidentin der Universität Göttingen:
    "Ja, das ist in der Tat schwierig, weil es da eine Grauzone gibt, aber ich glaube, sobald man anfängt Daten oder Zahlen zu verändern. Das kann ja schon sein, wenn man einfach mal einen unpassenden Punkt weglässt, dann ist es sehr leicht, dass es dann zu einem Betrug gerät, denn das Weglassen eines Messwertes ist natürlich nicht korrekt. Sondern man kann ihn angeben und in Klammern setzen oder man kann dazu schreiben: Dieser Messwert ist nicht richtig erhoben worden, da hat es einen Zwischenfall gegeben. Oder natürlich auch, auf der anderen Seite, wenn man die Leistung anderer Wissenschaftlerinnen oder Wissenschaftler nicht ausreichend zitiert. Also wenn man zum Beispiel abschreibt, ohne den Autor zu nennen. Das nennt man dann Plagiat."
    Das Wort "Plagiat" ist in einem Wörterbuch markiert.
    Das Wort "Plagiat" ist in einem Wörterbuch markiert. (picture alliance / dpa)
    Erlaubt ist das natürlich weder im deutschen, noch im niederländischen oder dem Wissenschaftsbetrieb eines anderen Landes. Wie viele Fälle von Wissenschaftsbetrug es hierzulande jährlich gibt, lässt sich kaum beantworten, denn eine zentrale Sammelstelle, die alle Fälle erfasst, gibt es in Deutschland nicht. Aber …
    "… was man auf jeden Fall sagen kann, ist, dass sich in den letzten vielleicht zehn, 20 Jahren verstärkt eben Strukturen entwickelt haben, die sich systematisch mit der Aufdeckung von solchen Fällen eben befassen und das deswegen auch viel mehr Fälle in den letzten Jahren bekannt geworden sind, als jemals zuvor. Das muss aber natürlich nicht heißen, dass diese Fälle heute zum ersten Mal auftreten, sondern nur, dass es heute zum ersten Mal eine systematische Untersuchung gibt."
    Erklärt Felicitas Heßelmann. Die wissenschaftliche Mitarbeiterin des Berliner Instituts für Forschungsinformation und Qualitätssicherung hat am Projekt "Beschämte Wissenschaft" mitgewirkt, das bis Ende 2016 vom Bundesforschungsministerium finanziert wurde.
    Heßelmann und ihre Kollegen haben sich angeschaut, mit welchen Maßnahmen Universitäten versuchen, Betrug vorzubeugen – beispielsweise mit Richtlinien für wissenschaftliches Arbeiten oder indem Experimente von anderen Wissenschaftlern wiederholt werden. Danach haben sie Interviews mit Fachzeitschrifteneditoren und Ombudspersonen geführt. Letztere sind Hochschulprofessoren, die bei potentiellen Betrugsfällen als Aufklärer und Vermittler eingeschaltet werden. Fazit: Trotz dieser Strukturen bleibt noch immer vieles im Dunkeln.
    "Die Ombudspersonen sind natürlich Vertrauenspersonen. Oft berichten die an das Präsidium so: Ja, ich hab so und so viel Fälle gehabt, aber eben keine Einzelheiten. Und die einzelnen Universitäten müssen das aber auch nicht weiter melden an irgendwen."
    Die USA gehen gegen potentielle Betrüger in einigen Bereichen bereits rigider vor.
    "Einige Länder haben zum Beispiel auch so eine nationale Organisation. Also zum Beispiel in den USA gibt es das Office of Research Integritiy, das eben zuständig ist für alle Forschungsvorhaben, die vom US-Gesundheitsministerium finanziert sind, also hauptsächlich im Bereich lebenswissenschaftlicher, biomedizinischer Forschung."
    "Wenn du Fehler machst, überspringst du sie einfach"
    Alle Studien aus den Lebenswissenschaften und der Biomedizin werden hier noch einmal auf Plausibilität geprüft. Fälschungen werden dadurch zumindest erschwert. Kommt der Betrug eines Forschers ans Tageslicht, ist seine wissenschaftliche Laufbahn in der Regel beendet, der Ruf bei den Kollegen meist für immer ruiniert. Wer manipuliert und fälscht, setzt also viel aufs Spiel - und natürlich wissen Forscher das. Der niederländische Sozialpsychologe Diederik Stapel erzählt sehr gefasst, wie es dazu kam, dass er trotzdem seine wissenschaftliche Karriere riskierte:
    "Ich glaube, es war ein schleichender Prozess. Wenn du Student bist, lernst du, wie man richtig wissenschaftlich arbeitet. Du lernst etwas über Ethik und Methoden und dass du immer alles berichten musst, dass du sehr genau und klar und präzise bezüglich deiner Hypothese sein musst. Aber wenn du anfängst zu promovieren und richtige Forschung betreibst, lernst du, dass Wissenschaft auch pragmatisch sein kann. Sie ist sehr langweilig und es ist viel Arbeit und nahezu unmöglich über alles zu berichten, was in deinen Experimenten passiert. Deshalb lässt du Dinge weg und wenn du Fehler machst, überspringst du sie einfach. Du berichtest also nicht mehr über alles."
    Das Weglassen und Überspringen, war Stapels Einstieg in den Betrug. Damals, so sagt er, habe er sich selbst nichts dabei gedacht. Viele seiner Kollegen hätten so gearbeitet, behauptet er. Doch irgendwann – räumt er ein - hätte das bloße Weglassen von Daten nicht mehr genügt:
    "Und dann ging es weiter, indem ich die Daten verändert habe. Aus einer drei habe ich eine fünf gemacht und aus einer zwei eine vier. So bekam ich die Ergebnisse, die ich haben wollte. Und das endete schließlich darin, dass ich das Experiment gar nicht mehr durchführte, sondern eine Theorie hatte und die Daten vollständig fälschte."
    Seine erfundenen Ergebnisse zum Verhalten von Menschen in verschiedenen Situationen veröffentlichte Diederik Stapel in angesehenen Fachzeitschriften. Der Sozialpsychologe wurde auf internationale Kongresse eingeladen, um darüber zu sprechen. Die Kollegen bewunderten ihn für seine Thesen, die er stets belegen konnte. Stapel war auf Erfolgskurs.
    Der emeritierte Mediziner und Psychologe von der Universität Kiel, Manfred Müller, hat in seiner Laufbahn selbst zwei Mal mit Kollegen zu tun gehabt, die Daten gefälscht hatten. Er verurteilt das Verhalten dieser Kollegen, aber einen Grund dafür, dass Forscher lügen und betrügen, sieht Müller auch im Wissenschaftssystem selbst:
    "Und eine Triebkraft von wissenschaftlichem Fehlverhalten liegt eben auch darin begründet, dass Wissenschaft eben nicht Wissenschaft an sich ist, sondern Wissenschaft sich heute verknüpft mit Geld, die Förderung von Wissenschaft. Und dieses Geld ist inzwischen auch Grundvoraussetzung einmal für die Arbeit der Wissenschaftler selbst, aber auch für die Universitäten. Ich muss also in gewisser Weise immer mehr Geld einwerben. Und wie schaffe ich das? Indem ich immer mehr publiziere. Das ist nun mal der Profit in der Wissenschaft, ja? So und das ist ein unguter Druck, der auf dem System lastet."
    Denn Geld von Forschungseinrichtungen oder Ministerien gibt es in der Wissenschaft in erster Linie für erfolgreiche Forscher und herausragende Ergebnisse.
    "Es geht nicht, dass ich mich vielleicht nach zwei Jahren hinstelle und sage: Ich hab jetzt zwei Jahre geforscht und es ist nicht so viel rausgekommen, ich hab mich geirrt in meiner Annahme, also ich muss leider sagen. Also, das ist heute nicht mehr vorgesehen. Wenn Sie auf einen wissenschaftlichen Kongress fahren, Sie hören nur tolle Vorträge. Alle sind wir erfolgreich."
    Misserfolge und Scheitern können sich Forscher heute im Wortsinne kaum noch leisten. Dabei gehören sie dazu. Und auch Annahmen, die sich als falsch herausstellen, können eine Disziplin voranbringen. Aus der Wissenschaft, die einst als Hort der Ideen, Versuche und Gedankenspiele galt, ist ein Wirtschaftszweig geworden, in dem das Geld häufig die Hauptrolle spielt, findet Manfred Müller. Nur wer auf lange Sicht mit erfolgreicher Forschung und Publikationen Geld einwirbt, hat Chancen auf eine Karriere. So war es auch bei Diederik Stapel.
    "Der Druck, Ergebnisse in einer Fachzeitschrift zu veröffentlichen, ist sehr groß. Wenn du keine geradlinige Geschichte erzählst, wirst du nichts in den besten Fachzeitschriften veröffentlichen. Aber wenn du Karriere machen willst, wirst du in den besten Fachzeitschriften veröffentlichen müssen, denn nur auf diese Weise erlangst du einen gewissen Status und eine gute Anstellung, damit Du dann ein Haus kaufen kannst…"
    Seine Forschung brachte Stapel auch in die Medien. Immer wieder war er ein gefragter Interviewpartner zu den Themen Rassismus, Vorurteile oder der Wirkung von Werbung: Für Spiegel Online, die New York Times oder die Neue Zürcher Zeitung. Manfred Müller glaubt, dass die engmaschige Berichterstattung, die es heute über interessante Forschungsergebnisse gibt, für die Wissenschaft nicht immer von Vorteil ist.
    "Man hat plötzlich eine Bedeutsamkeit"
    "Wissenschaft hat heute eine ganz andere öffentliche Wahrnehmung. Und wenn etwas neu entdeckt wird, dann ist es sofort in den Medien, und wenn man selber der verantwortliche Wissenschaftler ist, ist man davon nicht – ja, man kann sich davon nicht ganz befreien. Man hat also plötzlich eine Bedeutsamkeit und muss damit irgendwie umgehen und steht unter dem Druck, beim nächsten Mal wieder bedeutsam zu sein. Also ich denke, da ist keiner Schuld dran. Das ist nur eine Frage, dass man das mal ausspricht in dem Umgang mit Wissenschaft, ob man das zu einer Sensation macht oder ob man das mal da lässt, wo es ist: zunächst in der Wissenschaft und nicht gleich in die Öffentlichkeit trägt."
    Christoph Schrader ist Diplom-Physiker und arbeitet seit fast 30 Jahren als Wissenschaftsjournalist, unter anderem für die Süddeutsche Zeitung. Er findet nicht, dass Wissenschaftler das Recht haben, Ergebnisse vorerst zurückzuhalten:
    "Also es ist öffentlich finanzierte Forschung und dass die das erstmal zurückhalten will, bis sie sich sicher ist, das find ich zwar ehrenwert, aber unakzeptabel. Also da muss jeder schon seine eigene Verantwortung wahrnehmen und die Verantwortung des Wissenschaftsjournalisten ist auch darin, sich zu überlegen: Kann das sein und sicher ich das ab? Man sollte da Leute zu befragen, die sich in dem Thema auch auskennen, unabhängig sind und die dann dem auch nachgehen. Wenn die sagen: 'Na, ob das denn wohl so stimmt?' Dann sollte man das ernst nehmen."
    Dass Wissenschaftler manchmal geradezu nach medialer Aufmerksamkeit gieren, sieht man nach Ansicht des emeritierten Kieler Medizinprofessors Manfred Müller, der früher selbst im Kollegenkreis mit Betrugsfällen zu tun hatte, auch daran, dass immer wieder Artikel, die in wissenschaftlichen Fachzeitschriften erschienen sind, später zurückgezogen werden.
    "Also die Retraktionszahlen, die kennt man schon und die sind natürlich jetzt unterschiedlich hoch für die verschiedenen Zeitungen: Und die sind am höchsten für die Zeitungen, die die höchste Reputation haben. Also wenn Sie Nature, Science nehmen im Bereich der Biomedizin, das sind die Zeitschriften, die die höchsten Retraktionsraten haben. Das heißt also, dass viele Artikel, die dort erscheinen, auch mit heißer Nadel gestrickt sind und man möglicherweise dann auch häufiger im Nachhinein sieht, ein halbes Jahr später: 'Oh Mensch, da war irgendwas nicht richtig und da muss ich vielleicht…' - und dann die Autoren fragt und die Autoren dann vielleicht sagen müssen: 'Nee, tut uns leid. Also wir haben uns geirrt, da waren Fehler drin, wir ziehen es zurück.'"
    Wissenschaftsjournalist Schrader hat diesen Gedanken, dass nicht immer alles stimmen muss, was er in einer Fachzeitschrift liest, bei seiner Arbeit stets im Hinterkopf:
    "Das spielt eine Rolle, es sollte auf jeden Fall eine Rolle spielen. Außergewöhnliche Behauptungen brauchen außergewöhnliche Beweise. Aber Journalisten neigen natürlich dazu, schon bei der ersten Erwähnung einer solchen Großtat das groß zu vermelden. Also da können Journalisten schon dazu beitragen, dass es zum Problem wird, aber sie sind natürlich nicht die Ursache des Problems."
    Ulrike Beisiegel, die Präsidentin der Universität Göttingen, hat daran mitgearbeitet, hierzulande die Leitlinien für gutes wissenschaftliches Arbeiten der Deutschen Forschungsgemeinschaft weiterzuentwickeln. Darin ist unter anderem festgelegt, dass wissenschaftliche Daten so aufbewahrt werden müssen, dass sie für Dritte nachvollziehbar sind. Dadurch soll Betrug verhindert werden. Jeder Wissenschaftler soll sich diesen Leitlinien bei seiner Arbeit verpflichtet fühlen. Neben den Richtlinien braucht heute jede Universität, die bei der DFG Forschungsgelder beantragen möchte, eine Ombudsperson:
    "Dass also die jungen Leute und auch die älteren Leute, also jemand, der sieht, dass was nicht richtig läuft, sich an eine feste Stelle wenden kann, das ist die Geschäftsstelle des Ombudssystems, Und dort wird man auf jeden Fall beraten und dort wird dann auch weitergegangen, wenn es Not tut."
    "Das System ist sehr anfällig"
    Das Problem: Der Posten der Ombudsperson ist ein unbezahltes Ehrenamt, das die Professoren neben ihren regulären Aufgaben inne haben. Ob und wie weit sie einen Betrugsverdacht verfolgen, hängt stark von ihrem persönlichen Engagement ab. Dazu kommt, dass viele Wissenschaftler es sich sehr gut überlegen, ob sie einen Kollegen oder gar einen Vorgesetzten anschwärzen wollen. Denn es könnte eines Tages zu ihrem eigenen Nachteil sein, weiß Ulrike Beisiegel.
    "Die Verflechtungen im Wissenschaftssystem sind ein wichtiger Punkt und vor allen Dingen die Abhängigkeiten und die Hierarchie. Das heißt, die Doktoranden haben natürlich keinen Mut mal zu sagen: Hier hat mein Doktorvater oder meine Doktormutter was nicht richtig gemacht. Oder auch vielleicht falsch zitiert oder nicht zitiert oder die Autorenschaft ist eine wichtige Frage. Das heißt, das System ist durch seine Hierarchie und seine Komplexität sehr anfällig für das nicht Hinweisen auf Fehlverhalten."
    Im Fall von Diederik Stapel, dem niederländischen Sozialpsychologen, waren es jedoch genau diese Nachwuchswissenschaftler, die sich schließlich trauten, ihn bei der Universitätsleitung von Tilburg meldeten und für seine Entlassung sorgten. Ein Strafverfahren wurde Mitte 2013 eingestellt, weil er Forschungsgelder nicht für persönliche Zwecke, sondern zur Ausbildung seiner Doktoranden verwendet hatte. Stapel musste lediglich 120 Sozialstunden leisten.
    "Die Zeitungen druckten Fotos von mir und das niederländische Fernsehen berichtete, also versteckte ich mich hier zuhause. Mein Bruder lebte damals in Ungarn, deshalb ging ich für ein paar Wochen nach Budapest. Ich brach zusammen, ich stürzte ab, ich wurde sehr depressiv, ich wollte Selbstmord begehen, ich hasste mich. Deshalb suchte ich therapeutische Hilfe. Ich machte eine sehr intensive Therapie, die tatsächlich mehrere Jahre dauerte."
    Bis heute, mehr als sechs Jahre später, sprechen ihn Menschen auf der Straße an, weil sie sein Foto aus den Medien kennen. Dass er nie wieder in die Wissenschaft würde zurückkehren können, ist klar. Auch außerhalb der Wissenschaft hat der 51-Jährige bis heute keinen festen Job mehr gefunden. Wann immer er sich bewirbt und die Menschen erfahren, um wen es sich handelt, erhält er eine Absage.