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Ermittlungen gegen "netzpolitik.org"
"Da scheint einiges aus dem Lot geraten"

Der Grünen-Politiker Konstantin von Notz bezeichnet die Ermittlungen der Bundesanwaltschaft gegen zwei Journalisten von "netzpolitik.org" wegen Landesverrats als "maximal bizarren Vorgang" und beklagt Unverhältnismäßigkeit: Im größten Überwachungsskandal aller Zeiten rühre die Bundesanwaltschaft seit zwei Jahren keinen Finger, sagte er im DLF.

Konstantin von Notz im Gespräch mit Bettina Klein | 31.07.2015
    Konstantin von Notz (Bündnis 90/Die Grünen)
    Konstantin von Notz (Bündnis 90/Die Grünen) (picture alliance/dpa/Maurizio Gambarini)
    Wird über Vorgänge beim Bundesamt für Verfassungsschutz berichtet, werde hingegen wegen Landesverrats ermittelt. Der Grünen-Obmann im NSA-Untersuchungsausschuss sagte: "Da scheint einiges aus dem Lot geraten."
    Es gebe hinreichende Beweise, dass es in Deutschland zu rechtswidrigen Überwachungen gekommen sei, die deutsche Interessen betreffen. Da bleibe die Bundesanwaltschaft inaktiv. In der Zeit "nach Snowden" sei die Netzüberwachung sogar noch ausgebaut worden.
    Über "hochproblematische Vorgänge" berichten
    Es sei zwar nicht unbedenklich, falls jemand aus dem Parlament Informationen an Journalisten durchgesteckt habe. "Natürlich müssen manche Dinge geheim bleiben, aber man muss sich fragen, worum es geht", sagte von Notz.
    Man könne streiten, wie man Informationen bereitstellt - also ob man wie "netzpolitik.org" Originaldokumente zur Verfügung stelle, aber es sei wichtig, über den Sachumstand zu berichten: Unter dem Siegel der Geheimhaltung seien hochproblematische Dinge gewachsen, die mit der Verfassung nicht vereinbar seien.

    Das Interview in voller Länge:
    Bettina Klein: Die Bundesanwaltschaft hat Ermittlungen aufgenommen im Zusammenhang mit Veröffentlichungen auf der Internetplattform "netzpolitik.org". Am Telefon ist Konstantin von Notz, netzpolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion im Deutschen Bundestag und Mitglied im NSA-Untersuchungsausschuss. Guten Morgen!
    Konstantin von Notz: Guten Morgen, Frau Klein!
    Klein: Wie sehen Sie das? Es sind offensichtlich Ermittlungen gegen Unbekannt, aber inzwischen auch gegen konkrete Journalisten. Können Sie das bestätigen?
    von Notz: Ja, so scheint es zu sein, und man muss schon sagen, das ist ein maximal bizarrer Vorgang, dass 50 Jahren nach Franz-Josef Strauß und der "Spiegel"-Affäre, im Jahr 2015 jetzt wieder gegen Journalisten in Deutschland wegen Landesverrats ermittelt wird, das mutet doch wirklich sehr merkwürdig an.
    Klein: Was ist bizarr daran für Sie?
    von Notz: Na ja, wir haben seit zwei Jahren den größten Überwachungsskandal aller Zeiten, der parlamentarisch auch aufgeklärt wird in Deutschland. Es ist immer offensichtlicher und es gibt dafür auch hinreichende Beweise inzwischen, dass in Deutschland es zu rechtswidrigen Überwachungen gekommen ist, dass hier Selektoren zum Einsatz gekommen sind, Suchbegriffe, die ganz klar deutsche Interessen verletzen. Da rührt die Bundesanwaltschaft keinen Finger, nichts passiert juristisch. Wenn hier aber aufgeklärt wird und berichtet wird über bestimmte Vorgänge beim Bundesamt für Verfassungsschutz von Journalisten, dann wird da wegen Landesverrats ein Verfahren eingeleitet. Da scheint doch einiges aus dem Lot geraten.
    "Von einer transparenten Geheimdienstarbeit kann gar keine Rede sein"
    Klein: Ich sage mal kurz, was für den Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Herrn Maaßen, der Skandal ist: dass nämlich, Zitat, "geheime und geheimste Unterlagen aus dem Bereich der Nachrichtendienste in die Medien gelangen, sobald sie den politisch-parlamentarischen Bereich erreicht haben". Das ist für Sie vollkommen unbedenklich?
    von Notz: Nein, das ist natürlich nicht unbedenklich. Herr Maaßen zielt hier darauf ab, zu sagen, dass das Parlament hier Dinge durchgesteckt hat, das ist erst mal ein Vorwurf, der so sozusagen in den Raum gestellt wird. Natürlich müssen bestimmte Dinge geheim sein und auch bleiben. Dafür habe ich größtes Verständnis, und das sieht das Gesetz auch vor. Man muss sich fragen, um was es hier geht. Es geht hier darum, dass genau in der Zeit nach Edward Snowden die Netzüberwachung massiv ausgebaut wird in Deutschland vom Bundesamt für Verfassungsschutz. Im Hinblick auf einen transparenten und in einer Demokratie offen agierenden Geheimdienst könnte Herr Maaßen auch sagen, er wird von sich aus das bekannt machen und in die Öffentlichkeit geben, was in seiner Behörde mit Steuergeldern passiert. Das tut er leider nicht. Also insofern, gegen die Verletzung von Dienstgeheimnissen, das ist ein strafrechtlicher Vorwurf, und das ist nicht in Ordnung. Aber hier geht es gegen Journalisten, die über einen Fakt berichtet haben, der für die gesellschaftliche Diskussion sehr relevant ist.
    Klein: Das sagen natürlich dann auch die Geheimdienste, um noch mal kurz einzuhaken. Wie sinnvoll ist denn noch eine Geheimdienstarbeit, die überhaupt nicht mehr geheim ist, sondern komplett transparent. Das ist ja ein Widerspruch in sich.
    von Notz: Von einer komplett transparenten Geheimdienstarbeit kann aber überhaupt gar keine Rede sein. Das Gegenteil ist der Fall. Wir stellen fest in unserem Untersuchungsausschuss seit über einem Jahr, dass hier unter dem Siegel der Verschwiegenheit und Geheimhaltung hochproblematische Sachen über Jahre und Jahrzehnte gewachsen sind, die mit unserer Verfassung einfach nicht vereinbar sind. Und insofern brauchen wir nicht weniger Transparenz, sondern mehr. Das heißt nicht, dass es nicht auch bestimmte Dinge geben muss, die geheim bleiben. Da bin ich voll dabei. Nur, man darf eben nicht Verfassungswidriges und verfassungsrechtlich Hochproblematisches im Geheimen einstielen und dann durchziehen, wie es jahrelang passiert ist. Das ist einer Demokratie nicht hilfreich, und dagegen wehren sich nun ja viele zu Recht.
    Medien müssen frei und unabhängig Bericht erstatten können
    Klein: Jetzt ist so, dass ja die Internetplattform "netzpolitik.org" nicht nur berichtet, sondern Originaldokumente auf die Plattform stellt. Da würden Sie auch keinerlei Einschränkungen machen wollen?
    von Notz: Ich will Journalistinnen und Journalisten keine Vorgaben machen wollen, wie sie ihre Informationen zu vermitteln haben, als Politiker. Und ich glaube, dass das auch merkwürdig anmuten würde. Man kann natürlich darüber streiten, wie innerhalb von Journalistinnen- und Journalistenverbänden das diskutiert wird, wie man Informationen bereitstellt. Nur, letztlich geht es darum, dass hier eben um diesen Sachumstand berichtet wird, und ich sehe ehrlich gesagt nicht den großen qualitativen Unterschied, wenn jetzt ein bestimmtes Dokument abgedruckt wird. Aber wie gesagt, das ist eigentlich nicht der Punkt. Der Punkt ist, dass in einer Demokratie die Medien frei und unabhängig Bericht erstatten können müssen. Und wenn sie das nicht können, sondern mit Verbrechensvorwürfen belangt werden, dann ist man doch in einem gefährlichen Bereich.
    Klein: Herr von Notz, wir gehen auf die Nachrichten zu. Ich bedanke mich sehr für das Interview heute Morgen. Der Grünen-Politiker Konstantin von Notz war das zum Ermittlungsverfahren, dass die Bundesanwaltschaft jetzt eingeleitet hat im Zusammenhang mit der Plattform "netzpolitik".
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.