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"Es findet ein Kesseltreiben gegen Syrien statt"

In Syrien droht ein Bürgerkrieg mit vielen Tausend Toten, meint Peter Scholl-Latour. Von außen werde versucht, Assad zu stürzen. Dabei gehe es gar nicht um Syrien selbst.

Peter Scholl-Latour im Gespräch mit Christoph Heinemann | 09.03.2012
    Christoph Heinemann: Den Film "Baschar - Allein zu Haus" kann man in Damaskus nicht drehen, vielleicht noch nicht, auch wenn jetzt gemeldet wird, vier weitere hochrangige Offiziere der syrischen Armee seien zu den Aufständischen übergelaufen. Als bislang höchster ziviler Regierungsvertreter hatte sich zuletzt der stellvertretende syrische Ölminister Abdo Hussameldin von Assad losgesagt. In Kopenhagen beschäftigen sich heute die Außenminister der Europäischen Union mit der Lage in Syrien.

    Am Telefon ist der Fernsehjournalist, Buchautor und Nahost-Experte Peter Scholl-Latour. Guten Tag!

    Peter Scholl-Latour: Guten Tag.

    Heinemann: Herr Scholl-Latour, Guido Westerwelle hat gesagt, der Zerfallsprozess habe begonnen. Wird es einsam um Baschar al-Assad?

    Scholl-Latour: Ja mein Gott, es findet ein Kesseltreiben gegen Syrien statt. Ich würde das Regime des Clans Assad und der Anhänger und vor allem der Alawiten-Mehrheit, die dieses Regime tragen, gar nicht in Schutz nehmen. Ich war 1982 in Syrien, als in Hama dieses entsetzliche Massaker von Hama stattgefunden hat mit 20.000 Toten. Aber was im Moment stattfindet, ist eine völlig falsche Darstellung der Situation. Die Lage in Syrien selbst wäre nicht so explosiv, wenn nicht von außen heraus Unterstützung, Geld und vor allem auch Waffen hineingetragen würden. Es ist ja bezeichnend, dass die Aufstandsgebiete Homs unmittelbar an der libanesischen Grenze liegen, also dort, wo ohnehin schon ein Konflikt zwischen Sunniten und Alawiten immer im Gange war, dann andererseits Kilis, wo neuerdings die Türken aus welchen Gründen auch immer gegen diese alawitische Richtung, die schon von den Osmanen immer massakriert worden ist, Stellung bezogen haben, und dann eben auch als dritter Punkt Dara’a an der Grenze von Jordanien, man kann auch sehr leicht einen jordanischen Soldaten in eine syrische Uniform kleiden und sagen, das sei ein syrischer Soldat. Und was, sagen wir, die Überläufer betrifft, die Deserteure, die Namen, die ich darunter treffe – zum Beispiel der Hauptmann (…) ist ein Verwandter des Generals (…), der ein glühender Bewunderer Hitlers gewesen ist und mit der Assad-Familie sich sehr gut verstanden hat. Ein anderer ist Schischakli, sein Vorfahr war einer der strengsten Diktatoren gewesen, der 1951 in Damaskus geherrscht hat. Also man soll das alles nicht so einseitig sehen.

    Heinemann: Wer unterstützt die Aufständischen und mit welchen Interessen?

    Scholl-Latour: Es geht darum: Es geht gar nicht um Syrien, und das ist eben die völlige Irreführung der öffentlichen Meinung. Es geht um Iran. Der Iran wird als der große Teufel, als der große Dämon hingestellt, der Iran ist bekanntlich schiitisch, hat seit jeher als historischen Gegner Saudi-Arabien und die dort vertretene Wahhabiten-Sekte, die eine der intolerantesten Richtungen des Islam ist, und es geht darum, nun den Iran – gegen den richten sich ja alle – vorschnell zu schwächen und vor allem zu verhindern, dass Iran eine durchgehende Landbrücke baut über den Irak, der überwiegend schiitisch ist und wo ein schiitischer Ministerpräsident al-Maliki zurzeit regiert, und dann über Syrien, das von den Alawiten, von denen man sagt, dass sie den Schiiten nahestehen – das ist aber eine sehr esoterische Sekte, aber kurzum: das Land ist nicht sunnitisch, sondern säkular ausgerichtet, und dann rübergeht zur schiitischen Hisbollah im Libanon, die die stärkste Kraft im Libanon ist. Was man völlig gar nicht zur Kenntnis genommen hat: Die Hisbollah hat 2006 die Israelis zurückgeschlagen. Und um diese durchgehende Brücke des Schiitentums, das mit dem Iran verbunden wird, zu verhindern, schlägt man nun Syrien zusammen.

    Heinemann: Herr Scholl-Latour, welche Entwicklung erwarten Sie, sollten sich Assads Widersacher durchsetzen?

    Scholl-Latour: Es ist durchaus möglich, dass sich die – wie soll ich sagen? – Gegner von Assad durchsetzen, obwohl der Vergleich mit Libyen sollte im Auge behalten werden. Wenn keine auswärtige Intervention gekommen wäre, wäre Gaddafi, den ich in keiner Weise schätze und übrigens zutiefst verurteile, dass der Westen sich mit dem noch angefreundet hat nach allen Verbrechen, die Gaddafi begangen hatte, aber Gaddafi wäre mit dem Aufstand in Bengasi fertig geworden. Er stand vor den Toren von Bengasi, als dann die französische Luftwaffe kam und seine Panzerkolonnen zerstört hat. Und in Syrien wäre es genauso. Wenn Syrien auf sich selbst angewiesen wäre, wäre der Aufstand längst am Ende. Aber man will von außen her Syrien zum Sturz bringen. Was dann kommt – und da ist nun eben der Blick auf Libyen sehr aufschlussreich. In Libyen gibt es den Bürgerkrieg, der da inzwischen entbrannt ist, man schätzt es auf 60.000 bis 70.000 Tote. Von denen redet ja keiner mehr, es redet ja kein Mensch mehr von Libyen und von dem Chaos, was dort entstanden ist, und auch von der Tatsache, dass dort verschiedene islamistische Gruppen, auch jetzt die Senussi-Sekte und so weiter, die Abtrennung von Cyreneika, die jetzt bevorsteht, dass dort ein Bürgerkrieg im Gange ist. Und wenn wir heute in Syrien von 7000 Toten reden, was sogenannte Aktivisten angeben, was ja auch stimmen mag – wir können das nicht beurteilen -, aber was auch schrecklich genug ist; nur wenn der Bürgerkrieg ausbricht, der von allen Seiten geschürt wird, und zwar aus der Türkei, aus der Anbar-Provinz im Irak, aus Jordanien, aus Teilen des Libanon und vor allem auch von Seiten Amerikas, muss man auch sagen, dann wird ein Bürgerkrieg ausbrechen mit 70.000 Toten.

    Heinemann: Peter Scholl-Latour, Fernsehjournalist, Buchautor, der heute Geburtstag feiert. Herzlichen Glückwunsch dazu!

    Scholl-Latour: Danke schön!

    Heinemann: Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Scholl-Latour: Auf Wiederhören.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.