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"Es ist ein Etappenziel"

Der Leiter des Umweltprogramms der Vereinten Nationen, Achim Steiner, hat den Klimakompromiss des G8-Gipfels in Heiligendamm als Teilerfolg gewürdigt. Die amerikanische Regierung habe eine Kehrtwende vollzogen, indem sie Beratungen unter dem Dach der UNO akzeptiere.

Moderation: Dirk-Oliver Heckmann | 08.06.2007
    Dirk-Oliver Heckmann: Wird es einen Durchbruch beim Klimathema geben beim G8-Gipfeltreffen in Heiligendamm oder nicht? Das war die zentrale Frage in den vergangenen Wochen. Fest steht: Bundeskanzlerin Merkel ist ein hohes Risiko eingegangen, denn US-Präsident Bush hatte von Anfang an klar gemacht, dass er nicht beabsichtige, in den Kyoto-Prozess einzutreten, mit dem der weltweite Ausstoß von Treibhausgasen verbindlich begrenzt und dann reduziert werden soll. Nun aber war gestern von einem Durchbruch die Rede, wenn auch mit Einschränkungen.

    Am Telefon in Nairobi begrüße ich jetzt Achim Steiner, den Leiter des Umweltprogramms der Vereinten Nationen UNEP. Guten Morgen, Herr Steiner!

    Achim Steiner: Guten Morgen!

    Heckmann: Herr Steiner, hören wir zunächst einmal, wie die Bundeskanzlerin das Verhandlungsergebnis beurteilt hat. Angela Merkel gestern Abend in den "Tagesthemen":

    "Es wird in der Abschlusserklärung gesagt, dass wir verpflichtende substanzielle Reduktionsziele brauchen, und die werden im UN-Verhandlungsprozess jetzt verhandelt. Das haben wir noch nie gehabt von der amerikanischen Seite. Sie gehören heute nicht zum Kyoto-Bereich. Und für die Zeit nach 2012 gibt es jetzt die politische Verpflichtung das mitzumachen, und das ist ein riesiger Erfolg, und da kommt man auch nicht wieder davon weg."

    So weit also die Einschätzung von Bundeskanzlerin Merkel. - Herr Steiner, "ein riesiger Erfolg", teilen Sie diese Einschätzung, oder ist das ganze doch eher ein fauler Kompromiss oder gar ein zynischer?

    Steiner: Nein. Ein zynischer würde ich nicht sagen. Ich glaube, wenn man das aus Sicht des G8-Gipfels betrachtet, wo Amerika noch vor einigen Monaten stand und wo es heute steht und sozusagen im Schulterschluss mit anderen Ländern vor allem in Europa, dann ist dies sicherlich ein Durchbruch, denn ich glaube, wir wussten alle, dass selbst einige Stunden vor dem Gipfel Amerika noch nicht an dem Punkt war, sich unbedingt mit Verpflichtungen auch im Rahmen einer UN-Verhandlung weiter fortzubewegen. Hier hat sicherlich Bundeskanzlerin Merkel und die Bundesregierung einen wichtigen Schritt weiter gemacht.

    Im Sinne des gesamten Klimaprozesses würde ich sagen, Heiligendamm hätte ein Durchbruch sein können. Es hätte auch ein großer Rückschritt sein können. Im Grunde ist es ein Etappenziel, und das ist wichtig vor allem im Hinblick auf Bali, die Klimaverhandlungen im Dezember. Sie haben jetzt eine Verpflichtung seitens des Präsidenten der USA dort mitzumachen, und das gab es vorher noch nicht.

    Heckmann: In der Abschlusserklärung wird es heißen, dass die Halbierung der CO2-Emissionen bis zum Jahr 2050 ernsthaft in Betracht gezogen würde. Das ist aber sehr unverbindlich.

    Steiner: In der Tat. Nur wiederum muss man bedenken: Das große Problem in den internationalen Prozessen ist ja bislang die Grundposition der Vereinigten Staaten gewesen, dieses nicht mitzutragen. Ich glaube, wir haben jetzt eine Möglichkeit, zum einen im Dezember mit den Verhandlungen anzufangen, denn die werden sowieso mindestens ein bis zwei Jahre brauchen, und bis dahin wird es auch eine andere Regierung in den USA geben. Das heißt ,die Blockade, die viele gefürchtet haben, dass man in Bali gar nicht anfangen könnte im Dezember, ist nun aus dem Wege geräumt.

    Klar bleibt weiterhin, dass der UN-Weltklimarat ganz deutlich gesagt hat, wenn wir diese Emissionen nicht um 50 bis 80 Prozent reduzieren, dann werden wir eine Klimakatastrophe erleben. Das bleibt weiterhin die Zielmarke und muss auch als Ausgangspunkt betrachtet werden.

    Heckmann: Aber Herr Steiner, besteht nicht die Gefahr, dass jetzt alle sagen, alle G8-Mitglieder sagen, ja, wir brauchen so ein Abkommen auch innerhalb der UNO, und später das Abkommen dann so aussieht und auch die Verhandlungsführung der jeweiligen Staaten so aussieht, dass dieses Abkommen die Welt nicht retten kann?

    Steiner: Ich glaube nicht. Wenn Sie alleine in den letzten Monaten betrachten, wie sich Menschen in allen Teilen der Welt mit diesem Thema befassen. Wir haben ja einen Bewusstseinsbildungsprozess erlebt, wie ihn sich keiner noch vor einigen Jahren erträumt hätte, sagen wir es mal so. Ich glaube die Öffentlichkeit, ob in den USA, ob in Europa, ob in Japan oder auch in Indien und China jetzt, ist inzwischen so sensibilisiert, dass Politiker in all diesen Ländern ganz klar sehen, wenn sie hier nicht politisch handeln, geraten sie in eine Problemzone politisch auch. Das sehen wir im Grunde auch an der Reaktion von Präsident Bush. Es war ja nicht unbedingt eine freiwillige Kehrtwende, die seine Administration begangen hat, sondern sie ist letztlich Ergebnis einer ganzen Bewegung in den USA. Ich glaube, internationale Verhandlungen mit 190 Staaten werden immer schwierig sein, aber wir haben hier auch wirklich ein historisches Problem. Die Verhandlungen, die in den nächsten zwei Jahren im Rahmen der Klimakonvention stattfinden werden, sind sicherlich eine historische Herausforderung, denn so etwas mussten wir noch nie leisten. Es ist im Grunde eine Neudefinition der Ziele in unserer Wirtschaftspolitik, mit Umwelt umzugehen.

    Heckmann: Sie würden also sagen, Herr Steiner, dass der innenpolitische Druck es war, der zu diesem Kurswechsel von US-Präsident Bush geführt hat?

    Steiner: Ich glaube, er hat die Voraussetzungen geschafft dafür, dass die Bush-Administration jetzt, man muss wirklich sagen, eine Kehrtwende vollzogen hat. Nur das, glaube ich, muss man auch anerkennen: Die Herausforderung hat Bundeskanzlerin Merkel angenommen, hier mit ihrem politischen Gespür, aber auch ihrem Vermittlungsgeschick sicherlich in diesem G8-Gipfel eine Aussage seitens Präsident Bushs und der US-Regierung herbeizuführen, die, ich muss das zugeben, vor einigen Tagen ich nicht erwartet hätte, denn die US-Administration war noch immer an dem Punkt, wo sie weder die Vereinten Nationen als Rahmen akzeptierten, noch die Verhandlungen in Bali im Dezember als Ausgangspunkt akzeptieren wollten. Aus dieser Perspektive gesehen glaube ich, dass natürlich der Druck in den USA enorm wichtig ist, aber auch der G8-Gipfel mit dem Ansatz der Bundesregierung, hier mit viel Druck, aber auch mit viel, sagen wir mal, Sensibilität an dieses Thema ranzugehen, einen Erfolg gebracht hat. Aber wie gesagt: Es ist nicht der Durchbruch, es ist ein Etappenziel.

    Heckmann: Die USA werden kein Abkommen unterzeichnen, das China nicht mit einschließt, und China wird nichts unterzeichnen, was seine wirtschaftliche Entwicklung behindert. Das seien die politischen Realitäten. So hat es Tony Blair, der britische Premier, ausgedrückt. Ist das eine realistische Einschätzung?

    Steiner: Ich glaube, es ist die falsche Gegenüberstellung. Die USA wollen ja im Augenblick Kyoto nicht unterzeichnen, weil es ihren Wirtschaftsinteressen angeblich nicht zugute kommt. Dass nun China natürlich mit einem ähnlichen Argument sagt, wenn ihr in den Industrieländern noch nicht mal bereit seid, nachdem ihr das Problem verursacht habt, mit großen Schritten ranzugehen, dann bitte nicht uns in die erste Reihe stellen. Ich glaube, da muss man auch in der Berichterstattung gut aufpassen. China hat sich letzte Woche mit einem eigenen Klimaplan auf die Weltbühne gemeldet. Ich muss sagen, mich hat dieser Plan positiv überrascht, denn China ist bereit, aus eigenem Interesse bereits Maßnahmen zu unternehmen, aber natürlich nur weitergehende, wenn sie auch im Sinne der wirtschaftlichen Entwicklung vereinbar sind mit den Interessen, die China international sucht. Solange Europa und die USA selber sich so schwer tun, selbst kleine Schritte zu machen, werden natürlich Entwicklungsländer, die noch weniger Verantwortung für das Problem haben, sich nicht bereit erklären, in internationalen Vereinbarungen größere Verpflichtungen einzugehen. Aber das wird sich schnell ändern, denn mit dem Beschluss der Europäischen Union im Frühjahr und nun auch G8 in Heiligendamm zeigen die Industrieländer ja zum einen, dass sie die Verantwortung akzeptieren, und zum zweiten auch bereit sind, die großen ersten weiteren Schritte zu machen. Das, denke ich mir, wird auch China, Indien, Brasilien eine kooperative Partizipation in diesen Prozessen viel leichter machen.

    Heckmann: Allerdings haben die Schwellenländer jetzt schon angekündigt - heute treten sie ja mit den Vertretern der G8-Gruppe zusammen in Heiligendamm -, dass sie eben konkrete Reduktionsziele nicht mitmachen werden.

    Steiner: Ja, weil wir auch in Heiligendamm noch keine konkreten Reduktionsziele sozusagen im Sinne der Industrieländer vereinbart haben. Das ist im Moment ein Schachspiel. Es sind normale Prozesse der internationalen Verhandlungen. Das sollte man nicht falsch deuten. China hat sich selber schon Ziele gesetzt. Und man darf auch nicht vergessen: In Indien hat der Premierminister vorletzte Woche eine ganze Kommission ins Leben gerufen kurzfristig, um sich mit den Emissionsverringerungszielen Indiens zu befassen. Diese Länder nehmen diese Herausforderung ernst, aber sie werden im internationalen Verhandlungsprozess nicht von Vornherein sagen, wir machen alles, ohne dass ihr etwas macht. Hier ist natürlich leider jetzt auch eine Art Verhandlungspoker im Gang. Deswegen war Heiligendamm wichtig im Hinblick auf Dezember und die Bali-Verhandlungen. Jetzt können die Industrieländer sagen, wir haben unsere Bereitschaft signalisiert, jetzt seid ihr auch am Zuge. Ich glaube, das wird für die Verhandlungen sicherlich positive Impulse geben.

    Heckmann: Ende 2009 soll also das Nachfolgeabkommen für Kyoto stehen, inklusive der USA. Glauben Sie daran, und wie muss das aussehen?

    Steiner: Ich glaube fest daran, weil ich glaube, wenn man sich überlegt, wie würde ein Geschichtsbuch im Jahre 2035 aussehen, wenn es sagen würde, 2007, 2008 und 2009 haben die Politiker unserer Länder es nicht geschafft, eine Kehrtwende herbeizuführen, obwohl wir wussten was kommen würde, obwohl wir die Möglichkeiten hatten und es uns auch leisten könnten. Ich glaube nicht, dass die Politik in den Ländern, aber auch international es sich leisten kann, bis 2009 nicht ein Ergebnis vorzulegen, das sich letztlich die Warnungen und auch die Fakten des UN-Klimarates vor Augen hält. Wenn wir nicht es schaffen, in den nächsten 15 Jahren signifikante Reduzierungen bei CO2-Emissionen herbeizuführen, dann werden wir in einen globalen Erwärmungsbereich kommen, der nicht mehr bewältigbar ist. Das ist ein simpler Fakt, der nun belegt ist und auch selbst von den Vereinigten Staaten akzeptiert wird.

    Heckmann: Zu den Ergebnissen in Heiligendamm war das Achim Steiner, der Leiter des Umweltprogramms der Vereinten Nationen. Herr Steiner, besten Dank nach Nairobi!

    Steiner: Danke schön und einen schönen Tag!