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"Es ist jetzt nicht mehr Zeit zum Zündeln"

Franziska Brantner, außenpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion im Europaparlament, möchte einer internationalen Syrien-Friedenskonferenz eine Chance geben. Wenn diese aber scheitere, müssten alle Optionen - auch militärische - wieder auf den Tisch.

Franziska Brantner im Gespräch mit Jochen Fischer | 11.05.2013
    Peter Zurheide: Die Lage in Syrien bleibt außerordentlich problematisch. Dort wird weiter getötet, dort wird gemordet, dort wird gestorben, und man kann die Frontverläufe nicht immer ganz klar zuordnen. Darüber schwebt die Frage, Giftgaseinsatz ja oder nein, scheint sich zu verdichten, aber wer das angesetzt hat, ist noch nicht so ganz klar. Auch auf internationaler Ebene gibt es Widersprüche: auf der einen Seite ja, eine Konferenz, eine internationale, Russen und Amerikaner haben dafür gesorgt; auf der anderen Seite russische Waffenlieferungen. Über dieses Thema hat mein Kollege Jochen Fischer gestern mit Franziska Brantner gesprochen, der außenpolitischen Sprecherin der Grünen-Fraktion im Europaparlament. Seine erste Frage war: Ist das nicht ein Widerspruch?

    Franziska Brantner: Momentan bauen alle noch mal Drohkulissen und Drohgebärden auf, um auch noch mal die Parameter für die Verhandlungen dann für sich stärker zu beeinflussen. Ich glaube, dass es jetzt wirklich der Moment ist, wo man auch den Russen klar signalisieren muss, es ist jetzt nicht mehr Zeit zum Zündeln, sondern endlich Zeit, einen Frieden zu schließen. Und ich hoffe, dass die Konferenz auch wirklich bald stattfindet.

    Jochen Fischer: Aber was kann sie denn eigentlich bringen, Frau Brantner? Die Rebellen, die wollen sich nicht mit Assad-Treuen an einen Tisch setzen. US-Außenminister Kerry sagt, Assad sei kein Teil der Lösung. Und die Russen beharren darauf, es gehe nicht um Regimewechsel. Was geht denn dann noch?

    Brantner: Was geht, ist eine Übergangsregierung, an der Assad als Person, also er persönlich nicht beteiligt ist. Was nicht bedeuten muss, dass gar niemand von dem aktuellen Regime daran teilnehmen kann. Aber es ist klar, dass man einen Prozess braucht, der politisch einen Übergang gestaltet, der dann eben zu Wahlen führt. Und was auch sicher ist, ist, dass nach zwei Jahren von einem grausamen Krieg das Vertrauen nicht von allein kommen wird, dass so ein Prozess klappt, sondern der muss international dann auch abgesichert werden.

    Fischer: Und mit absichern meinen Sie militärisch absichern?

    Brantner: Ich meine damit eine UN-Friedenstruppe, die eben den Prozess auch überwacht und sicherstellt, dass beide Seiten sich auch an den Prozess halten. Wir hatten ja schon einmal eine Möglichkeit, wo die UN dann Beobachter geschickt haben, 300 sollten es sein, die kamen dann verspätet. Das hat eben das Vertrauen nicht gestärkt und hat danach wieder weiter zur Eskalation geführt. Ich glaube, um die beiden Seiten davon zu überzeugen, dass es sich lohnt, jetzt auf einen politischen Prozess umzusteigen, die Waffen schweigen zu lassen, brauchen sie die Hilfe der internationalen Gemeinschaft.

    Fischer: Aber mittlerweile sterben weiterhin Menschen dort, es sollen schon 70.000 gestorben sein. Über eine Million sind geflohen. Muss nicht jetzt gehandelt werden?

    Brantner: Doch! Ich denke, der Druck wirklich ist ja jetzt auch da. Man muss außerdem natürlich immer noch weiter auch humanitär handeln. Wir wissen, dass im Norden, in den befreiten Gebieten die humanitäre Hilfe kaum ankommt. Da müssen wir wesentlich stärker auch endlich reingehen. Wir müssen auch dort in den befreiten Gebieten jetzt schon Aufbauhilfe leisten, nicht nur humanitäre Hilfe, damit auch wirklich das Leben normal weitergehen kann dort. Und dann eben hoffen, dass die politischen Verhandlungen jetzt auch zu etwas führen. Und vielleicht bis dahin alle Spekulationen noch einmal über weitere Waffenlieferungen auch sein lassen.

    Fischer: Könnte nicht erst einmal eine Flugverbotszone die Versorgung der Flüchtlinge erleichtern?

    Brantner: Ich bin da eher skeptisch, inwieweit eben zu so einem Zeitpunkt, wo man potenziell auch Gespräche jetzt führen kann, weitere militärische Eskalation hilfreich ist. Ich denke, man darf diese Optionen alle nicht vom Tisch nehmen, aber ich glaube, dass es jetzt eher der Moment ist, alle Kraft auf den politischen Prozess zu lenken und vor allen Dingen dafür zu sorgen, dass er eben besser läuft als beim letzten Mal. Das heißt, man braucht alle regionalen Akteure, der Iran muss wahrscheinlich mit dabei sein. Und man braucht die Aussicht auf eine Absicherung von einem politischen Prozess, wenn man denn dahin kommt.

    Fischer: Wie lange soll das denn alles dauern? Ich habe schon auf die Opferzahlen aufmerksam gemacht – das Sterben dort geht ja weiter.

    Brantner: Ja, das Sterben geht weiter. Ich hoffe, dass der Prozess wirklich, die Russen und die Amerikaner sich sehr schnell jetzt einigen. Die Diplomatie läuft. Zwischenzeitlich muss die humanitäre Hilfe verstärkt werden. Die Zusagen, die übrigens die internationale Gemeinschaft auch gemacht hat, sind noch längst nicht eingehalten. Wir wissen, dass Milliarden fehlen, wenn wir wirklich die Menschen versorgen wollen. Und ich glaube aber nicht, dass es hilft, jetzt, wie gesagt, militärisch noch mal das Ganze weiter eskalieren zu lassen, indem wir eingreifen, wirklich direkt, und eine Flugverbotszone durchsetzen würden.

    Fischer: Das erinnert ja irgendwie an die Lage damals im Kosovo, als die Europäische Gemeinschaft irgendwann mal gesagt hat, wir greifen dort jetzt ein, auch wenn wir kein internationales Mandat haben. Wäre das nicht auch eine Möglichkeit?

    Brantner: Also, ich glaube, wir werden nicht ewig zuschauen können. Und wenn dieser politische Prozess jetzt wieder scheitern sollte. Und das vor allen Dingen durch die auch ja jetzt gerade Rückeroberung von befreiten Gebieten dann wirklich zu massenweisen Exekutionen kommen wird, dann werden wir nicht einfach weiter zuschauen können, davon bin ich auch überzeugt. Aber ich würde jetzt diesem politischen Momentum noch einmal eine Chance geben und, wie gesagt, erst mal darauf gucken, dass der auch besser läuft und besser vorbereitet ist als die letzten Versuche.

    Fischer: Vor der Invasion in den Kosovo damals, da war ja in Deutschland Joschka Fischer der Außenminister von Ihrer Grünen Partei. Er hat damals im Vorfeld gesagt, auf dem berühmten Parteitag: "Nie wieder Völkermord!" Gilt das noch?

    Brantner: Ja, "nie wieder Völkermord" gilt genauso wie die Ansage, man darf durch Eingreifen es nicht schlimmer machen. Und das ist immer momentan die schwierige Frage in Syrien. Würde jetzt das Eingreifen, also das heißt, ein militärisches Eingreifen direkt, die Situation so weit eskalieren lassen, dass man dann direkt einen Krieg mit Hisbollah, mit Iran hätte, mit Teilen vielleicht sogar noch von anderen Ländern. Ob das nicht noch mehr Menschenleben dann kosten würde, das ist momentan bei Syrien die sehr, sehr schwierige Abwägungsfrage. Aber ich glaube, man darf diese Option, wie gesagt, nicht zumachen, man darf sie nicht ausschließen und muss jetzt wirklich ernsthaft auf diesen Prozess setzen. Und da erhoffe ich mir noch etwas mehr Druck auch vom Westen.

    Fischer: Man darf es nicht ausschließen, sagen Sie, aber darf man denn die Sache so lassen, wie sie jetzt ist?

    Brantner: Nein. Einfach weiter zuschauen, wie gesagt, das ist, glaube ich, keine Option. Und wir wissen auch, dass alle Befürchtungen, die wir immer haben, dass die Radikalisierung dann stärker wird, ja eintreffen. Und ich glaube, dass ein einfaches Wegschauen und Hoffen, dass es besser wird, auf keinen Fall helfen wird. Von daher ist jetzt wirklich die Chance noch einmal da. Wenn es nicht klappen wird, müssen wieder alle Optionen auf den Tisch. Und ich glaube, dessen müssen sich auch die Russen und auch die Iraner, Hisbollah, alle bewusst sein, dass es ein "weiter so" nicht geben wird.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.