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EU-Gipfel zur Östlichen Partnerschaft
"Putin kann keinen Honig saugen"

Der Europaparlamentarier Michael Gahler verteidigt die Ergebnisse des EU-Gipfels von Riga. Kritik, man würde rote Linien von Russland akzeptieren, könne er nicht nachvollziehen, sagte der CDU-Politiker im DLF. Im Gegenteil sei die Abschlusserklärung eine "Ohrfeige für Präsident Putin".

Michael Gahler im Gespräch mit Jasper Bahrenberg | 23.05.2015
    Der Abgeordnete im Europaparlament, Michael Gahler, vor einem blauen Hintergrund mit den europäischen Sternen
    Michael Gahler (CDU), Abgeordneter der EVP-Fraktion im Europaparlament (dpa/EPA/T. Mughal)
    Das Streben der sechs Länder der Östlichen Partnerschaft nach Westen sei in Riga ausdrücklich anerkannt worden, so Gahler im Deutschlandfunk. Allerdings hätten die Ukraine, Weißrussland, Moldau, Armenien, Aserbaidschan und Georgien auch "unterschiedliche Ambitionen". Die Annäherung der Ex-Sowjetrepubliken an die EU sorgt seit langem für Streit mit Russland.
    Aus der Abschlusserklärung von Riga könne Russlands Präsident Wladimir Putin "keinen Honig saugen". Bei dem Gipfeltreffen wurden Gahler zufolge "alle relevanten Bereiche einer Zusammenarbeit verhandelt". Dies tue die EU nur mit Ländern, die eine Perspektive haben.
    "Sanktionen werden nicht zurückgenommen"
    Der EU-Politiker räumte ein, dass die EU-Außenpolitik auch immer Russland im Blick habe. Allerdings sei man nicht bereit, Moskaus Politik zu akzeptieren. "Es gibt einen zivilisatorischen Unterschied zwischen der Art, wie Russland und die EU Politik machen."
    "Wenn Russland wieder zu normalem Verhalten zurückkehrt, können wir zu normalen Kooperationsmechanismen zurückkehren", betonte Gahler mit Blick auf die EU-Sanktionen gegen Moskau. Diese würden vorher nicht zurückgenommen.

    Das Interview in voller Länge:
    Jasper Barenberg: Ernüchterung in Riga: Osteuropäische Partnerländer wie die Ukraine oder Georgien bekommen vorerst keine klare Perspektive für einen EU-Beitritt. Beugt sich die Europäische Union damit spürbar auch dem Machtanspruch Russlands in der Region? Dazu gleich Fragen an den Europaparlamentarier Michael Gahler.
    Er lächelte tapfer in Riga und klopfte viele Schultern, im Grunde aber kehrt Präsident Petro Poroschenko mit leeren Händen nach Kiew zurück, jedenfalls ohne die erhoffte klare Perspektive für einen Beitritt zur Europäischen Union und ohne die erbetene Visafreiheit für den Westen. Dafür bringt er eine Fülle von Reformforderungen der europäischen Partner mit nach Hause. Ähnlich enttäuscht dürfte Georgien vom Treffen der EU mit ihren sechs östlichen Partnern sein. Manche sehen das Nachbarschaftsprogramm schon in einer tiefen Krise. Am Telefon ist der Christdemokrat Michael Gahler, Mitglied im Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten im Europäischen Parlament. Schönen guten Morgen!
    Michael Gahler: Morgen, Herr Barenberg!
    Barenberg: Die Ukraine und Georgien streben in den Westen, sie hoffen auf Unterstützung, auf ein Signal, dass sie eines Tages Teil der Europäischen Union werden können. Warum verweigert Europa dieses Signal?
    Gahler: Also zunächst mal ist dieses Streben nach Westen ausdrücklich anerkannt worden, das steht im Dokument selber drin. Ich sage mal, ich stehe ja persönlich nicht im Verdacht, in den letzten anderthalb Jahren irgendeine besondere Sympathie oder Verständnis für die russische Aggression da geäußert zu haben, aber die Kritik an der EU, die ich da jetzt aus einigen Kommentaren höre, dass man hier Putins rote Linien akzeptieren würde, also das halte ich nicht für richtig. Und ich würde auch noch einen Schritt weitergehen und sagen: Herr Putin kann hier in der Substanz keinen Honig saugen für seine Position. Kein einziges Engagement, das man seitens der EU schon seit dem Gipfel in Vilnius 2013 eingegangen ist, ist aufgegeben worden. Und auch die Erklärung – wenn Sie sich die 30 Punkte anschauen, dann geht es ganz konkret um alle relevanten Politikbereiche der Zusammenarbeit. Das ist etwas, was wirklich weit in einen Bereich eingeht, wo wir sagen: Das verhandeln wir eigentlich auch nur mit Leuten, die eine Perspektive für Europa haben.
    Barenberg: Warum sagt dann oder wird ein EU-Beamter mit der Aussage zitiert, wir sagen nicht ja, wir sagen nicht nein, und warum dann diese wachsweichen Formulierungen in der Abschlusserklärung? Da haben sich ja beispielsweise Ukraine und Georgien deutlich mehr versprochen, Moldawien vielleicht auch.
    Gahler: Wir hatten ein Gefühl der östlichen Nachbarschaft mit allen sechs Ländern. Selbst innerhalb dieser Länder gibt es ja unterschiedliche Ambitionen, wie weit man mit der EU gehen will, und wir als Europäische Union akzeptieren das. Und ich finde schon auch die Formulierungen, die Sie dort finden genau dazu – das ist als solches schon eine gewisse, ohne Namensnennung, eine Ohrfeige für Herrn Putin. Da steht nämlich – und ich sage mal, das ist so der zivilisatorische Unterschied, wie man Außenpolitik macht zwischen der EU und Russland –, da steht, dass im Rahmen der östlichen Partnerschaft die Gipfelteilnehmer das souveräne Recht jedes Partners bekräftigen, den Grad des Engagements und die Ziele, die sie in ihren Beziehungen zur EU anstreben, frei zu wählen. Und das wäre doch schön, wenn wir so was von Russland mal hören würden, dass sie akzeptieren, dass die Partner Russland den Grad ihres Engagements durchführen können. Und wie gesagt, wenn Herr Putin wissen will, was tatsächlich auch gewollt ist: Parallel – und das sage ich jetzt als Christdemokrat – fand ja auch ein Gipfel der Europäischen Volkspartei unmittelbar davor statt. Und da wird ausdrücklich in diesem Text verurteilt die russische Aggression, der russische Krieg gegen die Ukraine, und da wird auch im EVP-Text, den auch Frau Merkel mit unterzeichnet hat, da wird dann eben von der Visumsfreiheit auch im Jahr 2016 gesprochen, so weit die Voraussetzungen erfüllt sind. Also da kann man auch erkennen: Wenn man unter sich ist in der politischen Familie, ist man auch bereit, ein Stück weiterzugehen.
    Barenberg:Warum steht in der Abschlusserklärung dann nicht, dass beide Länder oder alle drei, wenn sie es denn wollen, in der EU willkommen sind, sobald sie die Voraussetzungen erfüllen? Warum kann man das nicht klar in diesem Abschlussdokument festhalten?
    Gahler: Also zum einen kann man den Nachbarschaftsgipfel nicht einfach in einen Erweiterungsgipfel umfunktionieren, und andererseits steht die Beitrittsperspektive sowieso im Artikel 49 der Römischen Verträge, in Kombination auch mit dem natürlich Entwicklungs- und Reformstand des jeweiligen Landes. Und das sind dann die Kopenhagener Kriterien – das weiß auch jeder, dass derzeit weder die Ukraine noch Georgien oder Moldawien diese Kriterien erfüllen. Ich sage persönlich: Ich wäre einen Schritt weitergegangen und hätte das gesagt. Das ist aber meine politische Auffassung. Ich sagte eben: Es ist ein ganz breiter Staatenkreis inklusive derer in der östlichen Partnerschaft, die gar nicht so weit gehen wollen.
    Barenberg: Sie haben eben Russland erwähnt und auch die Kritik, die man jetzt heute zum Beispiel lesen kann, es sei ein Kotau gewesen vor seiner Politik. Aber muss man nicht festhalten, dass Putin mit Genugtuung lesen wird, dass es eben kein klares Signal gibt? Das bewegt sich in dem, was er sich vorstellt, nämlich, dass es Einflusssphären gibt – deren Existenz und deren Anerkennung die Kanzlerin natürlich offiziell bestreitet?
    Gahler: Die wird nicht nur offiziell bestritten. Ich sagte bereits: Wenn Sie sich die Bereiche anschauen, die in den 30 Punkten erwähnt sind, wo wir umfassend mit den Ländern auch jetzt weiter verhandeln, dann kann er nicht davon ausgehen, dass wir irgendeine rote Linie von ihm akzeptieren. Es geht zum Beispiel auch ausdrücklich daraus hervor, dass die Implementierung des Assoziations- und Freihandelsabkommens Top-Priorität ist und dass das auch am 01.01.2016 losgeht. Wir hatten ja vor einem Jahr den Bereich, den Freihandelsaspekt noch mal ausgesetzt, weil es dort russische Bedenken gab. Im laufenden Jahr ist nicht ersichtlich gewesen, welche konkreten Punkte denn tatsächlich Russland beschweren würden, wenn gegenüber der Ukraine das Freihandelsabkommen in Kraft tritt. Das war rein politisch. Also es besteht überhaupt kein Anlass, zum Beispiel dieses Abkommen ab in einem guten halben Jahr nicht vollständig anzuwenden. Und dann, wie gesagt, gehen alle diese Punkte, die dort auch vorgesehen sind, in die konkrete Verhandlung, und das wird dann das Land stabilisieren können und auf diesem Weg, auf diese Art die Perspektive Richtung Europäische Union ermöglichen.
    Barenberg: Würden Sie denn bestreiten, dass man zumindest schielt auf das, was in Moskau gesagt wird beziehungsweise wie so ein Gipfel in Moskau wahrgenommen wird? Mit anderen Worten: Ist es inzwischen eine Gratwanderung geworden angesichts des Krieges in der Ukraine, wie man mit Blick auf russische Interessen und Machtansprüche, wie man damit umgeht?
    "Russland wird mit dieser Politik keinen Erfolg erzielen"
    Gahler: Natürlich, ja. Es ist nicht nur ein Schielen. Man nimmt zur Kenntnis, auch, wenn man es nicht akzeptiert, dass Russland da ist und dass es eben diese Art von Politik macht. Ich sage, das ist der zivilisatorische Unterschied, wie die EU mit ihren Partnern umgeht und wie Russland mit seinen Partnern umgeht. Russland wird mit dieser Politik keinen Erfolg erzielen, mittel- und langfristig. Es reicht gerade, um die Krim zu erobern und den Osten der Ukraine zu destabilisieren – und zu einem sehr hohen Preis für Russland. Die Konsequenzen sind überall spürbar, in der Wirtschaft, bei den Finanzen, beim Disinvestment, auch bei den Toten, die es in Russland gibt und wo es immer wieder, auch gerade aktuell, ja unwiderlegbare Beweise des aktiven Engagements im Dienst befindlicher russischer Soldaten gibt. Also da ist aus meiner Sicht die Kenntnisnahme, also das Zur-Kenntnis-Nehmen des russischen Verhaltens da. Aber wenn ich mir die Substanz anschaue, wird daraus nicht die Konsequenz gezogen, diesen Machtanspruch zu akzeptieren.
    Barenberg: Mancher hält ja die gesamte Partnerschaftspolitik für gescheitert, es sei denn, man findet eine neue Grundlage, auch Russland einzubeziehen. Wünschen Sie sich das? Wie stellen Sie sich das vor?
    Gahler: Wir haben über die letzten 25 Jahre umfassend Angebote gemacht und teilweise ja die Politik oder die Entwicklung der Kooperationen in den Anfangsjahren, in den 90ern und Anfang der 2000er-Jahre, parallel zwischen Russland und Ukraine entwickelt. Also dieses Stichwort von der Freihandelszone von Lissabon bis Wladiwostok, das stammt aus den 90er-Jahren, das ist Common Sense. Wir haben Ukraine und Russland Richtung Welthandelsorganisation im Blick. Das ist die Voraussetzung, dass man Freihandel machen kann. Und wir haben Russland, ich sage es mal salopp, wie sauer Bier über die Jahre eine Modernisierungspartnerschaft angeboten, um das Land dann auch tatsächlich fit zu machen. Und das ist alles am Ende von Herrn Putin nicht angenommen worden. Also von daher sage ich ganz deutlich: Wenn Russland wieder zum einen zu normalem Verhalten in internationalen Beziehungen in Europa zurückkehrt, können wir auch zu all den Kooperationsmechanismen zurückkehren. Aber wenn das nicht der Fall ist, werden auch zum Beispiel ganz konkret, ohne dass das Minsker Abkommen vollständig umgesetzt wird, werden die Sanktionen auch nicht aufgehoben werden.
    Barenberg: Der Europaparlamentarier Michael Gahler heute hier live im Deutschlandfunk. Danke für das Gespräch, Herr Gahler!
    Gahler: Bitte sehr!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.