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EU-Studie
Arbeiter werden auch in Deutschland ausgebeutet

Sie verdienen manchmal nur einen Euro pro Stunde, arbeiten zwölf Stunden am Stück und das an sechs oder sieben Tagen in der Woche: Ausländische Arbeitskräfte werden nicht nur in Katar ausgebeutet, sondern auch in vielen Fällen mitten in Europa. Das geht aus einem neuen EU-Bericht hervor.

    Ein Bauarbeiter sieht am 23.04.2015 auf Verschalungen für die Baustelle des neuen Wiegehauses am Recyclinghof in Winnenden (Baden-Württemberg).
    Die Verhältnisse in der Baubranche geben in Deutschland Anlass zur Sorge. (dpa / picture alliance / Wolfram Kastl)
    Schwere Ausbeutung von ausländischen Arbeitskräften gehört in einigen Wirtschaftszweigen zur Tagesordnung. Zu diesem Schluss kommt eine Untersuchung der EU-Grundrechteagentur (FRA), die heute in Brüssel vorgestellt wurde. Demnach ist die kriminelle Ausbeutung von Arbeitskräften, die innerhalb der EU umziehen oder in die EU einwandern, in einer Reihe von Wirtschaftszweigen weit verbreitet. Dazu zählt FRA die Landwirtschaft, das Bauwesen, die Hotellerie und die Gastronomie sowie das verarbeitende Gewerbe. Auch in der Hausarbeit seien widrige Arbeitsbedingungen weit verbreitet.
    Geringer Lohn, lange Arbeitszeit
    Die Arbeitskräfte müssten in vielen Fällen für sehr geringe Löhne (manchmal weniger als ein Euro die Stunde) und lange Zeit Dienst leisten (zwölf Stunden und mehr). Die FRA hat für die Studie rund 600 Gespräche mit Gewerkschaftern, Polizisten oder Mitarbeitern von Aufsichtsbehörden geführt. Von den Befragten gab jeder fünfte Gesprächspartner an, mindestens zweimal pro Woche auf einen solchen Fall getroffen zu sein. Einen Arbeitsvertrag gebe es oft nicht, hieß es.
    "Die Ausbeutung von Arbeitskräften ist nicht akzeptabel", erklärte der Interimsdirektor der FRA, Constantinos Manolopoulos. Die Betroffenen seien aufgrund ihrer wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse gezwungen, sich auf unwürdige Arbeitsbedingungen einzulassen. Die Täter laufen laut FRA nur ein geringes Risiko, strafrechtlich verfolgt zu werden oder ihre Opfer entschädigen zu müssen.
    Deutschland gehört laut Bericht zu gerade einmal vier Staaten innerhalb der Europäischen Union, die EU-Bürgern den gleichen Schutz gewähren wie Nicht-EU-Bürgern. Allerdings sei hierzulande nicht eindeutig geregelt, welche Behörde dafür zuständig ist, sich die Situation der Rechte ausländischer Arbeitnehmer anzusehen, sagte Albin Dearing von der FRA dem Deutschlandfunk. "Es fühlt sich keiner richtig zuständig." Die Verhältnisse in der Baubranche geben in Deutschland den Befragten zufolge am häufigsten Anlass zur Sorge. Die Einbindung von Subunternehmern erhöhe das Risiko einer Ausbeutung, betonte Dearing. In anderen Ländern sei hauptsächlich der Agrarbereich betroffen.
    Studie mit Einschränkung
    Doch auch die Studie hat ihre Mängel; mit einer klaren Definition, was unter Ausbeutung zu verstehen ist, tat sich die Agentur schwer. "Das Projekt hat sich nur mit jenen Formen der Arbeitsausbeutung befasst, die strafrechtlich verfolgt werden können", sagte Dearing. Die rechtliche Situation unter den EU-Ländern sei unterschiedlich. Auch Zahlen zum Ausmaß des Problems in Deutschland oder in der EU liefert die Studie nicht. "Diese Verbrechen geschehen im Verborgenen", erklärte Blanca Tapia, ebenfalls von der FRA. "Niemand kann diese Zahlen haben." Die Autoren hätten vielmehr nach Ursachen forschen oder Gruppen von Betroffenen identifizieren wollen.
    Als Konsequenz pocht die EU-Grundrechteagentur auf bessere Kontrollen und schärfere Gesetze. Vorbildlich seien die Instrumente im Kampf gegen den Menschenhandel. Denkbar sei auch ein staatlich überwachtes Siegel für Produkte, die ohne Ausbeutung entstanden sind.
    NGO: Es hat sich nichts verbessert
    Vor sechs Jahren hatte die EU eine Richtlinie erlassen, die die Rechte von Arbeitnehmern aus Drittstaaten verbessern sollte. Anlässlich der Studie kritisieren Nichtregierungsorganisationen, dass sich für Arbeiter aus Drittstaaten nichts geändert habe. "Wir sehen bei der täglichen Arbeit, dass sich nichts geändert hat, zumindest hier in Belgien", sagte Jan Knorckaert von der belgischen NGO orcasite. "In der Theorie sind die Mittel da, in der Praxis funktioniert aber nichts."
    (fwa/bor)