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"Europa steht unter Beobachtung"

Der ESM sei trotz der Herabstufung durch die Ratingagentur Moody's immer noch auf hohem Niveau, aber Frankreich sollte zur Kenntnis nehmen, dass die Finanzmärkte nervös werden und Reformen von der Regierung von Präsident François Hollande erwarten, sagt Heribert Dieter, Finanzexperte der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin.

Heribert Dieter im Gespräch mit Jasper Barenberg | 01.12.2012
    Jasper Barenberg: Jeder vierte Franzose verdient sein Geld im öffentlichen Dienst oder in der Staatswirtschaft. Nicht wenige dort genießen Sonderrechte, etwa einen Urlaubsanspruch von vier Monaten im Jahr. Im Kabinett in Paris streiten sage und schreibe 39 Minister um Zuständigkeiten, Personal und Einfluss. Frankreichs Ämter sind übergewichtig, ineffizient und teuer. Schon länger sorgen sich Beobachter um den gravierenden Reformstau in unserem Nachbarland, vor allem deshalb hat die Ratingagentur Moody's erst die Kreditwürdigkeit Frankreichs herabgestuft und als Folge jetzt auch die des Rettungsschirms ESM. Wie sehr beunruhigt diese Entscheidung von Moody's Politiker in Berlin? Der CDU-Bundestagsabgeordnete Wolfgang Bosbach, ein ausgesprochener Kritiker der derzeitigen Rettungspolitik der eigenen Regierung, er gab sich heute Morgen im Deutschlandfunk einigermaßen gelassen.
    Am Telefon jetzt Heribert Dieter, Experte für internationale Finanzmärkte der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Schönen guten Tag, Herr Dieter!

    Heribert Dieter: Schönen guten Tag, Herr Barenberg.

    Barenberg: Wir haben gerade Wolfgang Bosbach gehört. Kein Grund zur Aufregung also. Ist das auch Ihre Einschätzung?

    Dieter: Nun, es ist eine Abwertung der Ratingagentur, die den ESM immer noch auf einem hohen Niveau lässt. Insofern ist das ein Warnschuss. Es ist nicht mehr, es ist nicht weniger. Frankreich sollte zur Kenntnis nehmen, dass die Finanzmärkte nervös werden, dass die Finanzmärkte von der Regierung Hollande Reformen erwarten. Und diese Reformen werden versprochen, aber man kann noch relativ wenig erkennen.

    Barenberg: Lassen Sie uns gleich noch etwas genauer über Frankreich sprechen. Zunächst vielleicht ein Wort zu Klaus Regling, dem Chef des Rettungsschirms ESM, der seine Schwierigkeiten hat zu verstehen, warum Moody's diese Entscheidung getroffen hat. Er verweist eben auf die gute Kapitalstruktur des Rettungsschirms, er verweist natürlich auch auf die politische Verpflichtung, die dahinter steht, der Euro-Staaten. Können Sie ihm ein bisschen auf die Sprünge helfen?

    Dieter: Nun, es ist verständlich, dass Herr Regling nicht begeistert ist, wenn es eine Abwertung des ESM gibt. Es ist auch richtig, dass der ESM gut ausgestattet ist. Es gibt ein eingezahltes Kapital von 80 Milliarden Euro, das ist schon mal ein relativ guter Puffer und sorgt dafür, dass der ESM-Turbulenzen ohnehin relativ gut überstehen würde. Es gibt, wie auch in den Beiträgen schon angeklungen ist, eine verbreitete Kritik an den Ratingagenturen. Die ist zum Teil berechtigt, zum Teil muss man aber auch darauf hinweisen, dass das eigentliche Versagen der Ratingagenturen in den Jahren vor der Krise zu bemerken war. Die Ratingagenturen haben eben nicht gewarnt, dass sich Risiken in Spanien, in Griechenland und in anderen Ländern der Eurozone aufbauen. Momentan tun sie eigentlich nur ihre Arbeit, insofern würde ich sagen, die Aufregung, die in den Beiträgen angeklungen ist, ist übertrieben.

    Barenberg: Die Entscheidung, die Moody's jetzt getroffen hat, folgt ja auf eine Entscheidung von Standard and Poor's, schon vorher auch Frankreich herabzustufen in der Kreditwürdigkeit. Rechnen Sie denn damit, dass die drei dominierenden Ratingagenturen insgesamt jetzt, was den ESM angeht, nachziehen werden oder dass alle drei am Ende die Kreditwürdigkeit des ESM herabstufen werden?

    Dieter: Europa steht unter Beobachtung, das ist ganz klar. Und negative Nachrichten werden relativ schnell von den Ratingagenturen umgesetzt werden. Die Problematik ist natürlich in gewisser Weise auch, dass die positiven Nachrichten, die es in Europa in großer Zahl in den letzten Monaten gegeben hat, von den Ratingagenturen nicht ausreichend zur Kenntnis genommen werden. Man wird aber sich aus dieser Situation kurzfristig nicht lösen können. Die amerikanischen Agenturen dominieren das Geschäft, sie sind die marktbestimmenden Akteure, was die Bewertung von Kreditrisiken angeht, und es gibt sehr viele Klagen über diese Situation in Europa, es gibt aber noch keinen Gegenentwurf, was man denn machen könnte, um sich von dieser Dominanz der amerikanischen Agenturen zu lösen. Insofern, man wird damit leben müssen, man wird weiter arbeiten müssen, aber rasche Lösungen gibt es für dieses Problem der hohen Bedeutung der Ratingagenturen nicht. Und der ESM wird, wenn es in Spanien insbesondere zu größeren Bankenturbulenzen kommen sollte, was nicht ausgeschlossen ist, dann wird auch der ESM wieder unter verstärkte Beobachtung geraten.

    Barenberg: Wir haben schon angesprochen, Moody's führt ja Frankreich vor allem an als Begründung dafür, dass auch der Rettungsschirm insgesamt an Kreditwürdigkeit verloren hat. Lassen Sie uns einen Augenblick über Frankreich sprechen. Moody's warnt vor einem anhaltenden Verlust der Wettbewerbsfähigkeit Frankreichs. Wie groß ist nach Ihrer Einschätzung der Reformstau dort?

    Dieter: Es gibt seit Jahrzehnten Klagen über den Reformstau in Frankreich. Und es wurde schon angesprochen, der französische Staat ist zu groß, zu mächtig, zu dominierend. Die gegenwärtige Politik ist auch wenig überzeugend. Wir hatten gerade in den letzten Tagen Diskussionen über die mögliche Schließung eines Stahlwerks in Frankreich. Da wurden sehr harte Töne angeschlagen, die im Grunde reflektieren, dass Frankreich, dass die französische Gesellschaft Schwierigkeiten hat, mit internationalem Wettbewerb, mit den Schwierigkeiten, die die Globalisierung mit sich bringt, umzugehen. Und das wird reflektiert in den schwachen Wachstumsperspektiven, die die französische Wirtschaft hat. Insofern gibt es dort sehr viel zu tun, aber es gibt in der gegenwärtigen Lage, in der gegenwärtigen politischen Situation wenig erkennbare Aktivitäten, die eine Stärkung der Wachstumsdynamik in Frankreich erwarten lassen. Von daher, solange sich dort nichts tut, ist auch mit einer weiteren Abstufung Frankreichs zu rechnen.

    Barenberg: Vielleicht gibt es ja einen kleinen Lichtblick: Zumindest Präsident Hollande hatte den Unternehmen ursprünglich ja erst sechs Monate lang mit höheren Steuern gedroht, jetzt verspricht er einen Nachlass von 20 Milliarden Euro bis 2015. Ist das aus Ihrer Sicht ein erstes Anzeichen dafür, dass François Hollande begriffen hat, um was es jetzt geht?

    Dieter: Man hat den Eindruck, aber es ist natürlich viel zu früh, um zu sagen, dass es hier eine Kehrtwende in der französischen Politik gegeben hat. Es gab einen Bericht des früheren EADS-Chefs Gallois, der eine deutliche Entlastung der Unternehmen, einen Liberalisierungsschub gefordert hat. Das wurde zunächst vom Elysée-Palast mit einer gewissen Verwunderung zur Kenntnis genommen, und dann wurde aber reagiert mit der von Ihnen angesprochenen Steuerentlastung. Das ist ein erster Schritt, aber es gibt noch eine ganze Reihe von Maßnahmen, die Frankreich ergreifen könnte, um sich auf die Herausforderungen der Globalisierung besser und stärker vorzubereiten. Es gibt in Frankreich gegenwärtig Bemühungen, um die mittelständischen Unternehmen zu stärken. Das geht aber nicht über Nacht. Frankreich hat wettbewerbsfähige Großunternehmen, aber das, was Deutschlands internationale Wettbewerbsfähigkeit ausmacht, die mittelständischen Unternehmen, das fehlt in Frankreich in nennenswerter Zahl. Insofern: Frankreich versucht, etwas zu unternehmen, aber es dauert lange. Und es dauert für die ungeduldigen Finanzmärkte möglicherweise etwas zu lange.

    Barenberg: Heribert Dieter, der Experte für internationale Finanzmärkte der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Danke für das Gespräch heute Mittag!

    Dieter: Sehr gerne!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.