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Ex-Botschafter: Kampf gegen Terror nicht militärisch zu gewinnen

Nach Einschätzung Wolfgang Ischingers, ehemaliger deutscher Botschafter in den USA, kann gegen den internationalen Terrorismus kein Krieg geführt werden. "Sie können nicht etwas bekriegen, was eigentlich eine Methode ist", sagte Ischinger. Militärschläge könnten allenfalls ein ergänzendes Mittel sein, müssten aber immer eingebettet werden in eine politische Gesamtstrategie.

Moderation: Klaus Remme | 11.09.2006
    Klaus Remme: Wird es ein Tag, der die Welt veränderte? So lautet das gängige Urteil über den 11. September. Vor allem durch die Bilder der sinkenden Türme in New York werden die meisten von uns diesen Tag nicht vergessen. Für Wolfgang Ischinger wäre es auch ohne die Anschläge ein besonderer Tag geworden. Der 11. September 2001 war sein erster Arbeitstag als deutscher Botschafter in Washington. Heute ist er Botschafter in London. Ich habe mit ihm vor der Sendung über die gravierenden Folgen des Terrors gesprochen, auch über die zeitweise schwierigen deutsch-amerikanischen Beziehungen, ihn aber zuerst nach diesem Tag gefragt, dem 11. September.

    Wolfgang Ischinger: Ja, es ist in der Tat so. Das war mein erster richtiger Arbeitstag in Washington, und immer, wenn man einen ersten Arbeitstag irgendwo erlebt, dann ist man natürlich auch besonders gespannt, vielleicht auch ein bisschen aufgeregt. Man freut sich auf eine neue Umwelt. Ich war deswegen schon sehr früh im Büro, vielleicht früher als sonst, nämlich schon halb Acht oder viert vor Acht. Nach etwa einer Stunde stürzt dieser persönliche Referent, den ich gerade kennen gelernt hatte, ins Zimmer und sagt: "Machen sie mal ihren Fernseher an. Da läuft auf CNN was aus New York." Da das alles für mich neu war, dauerte es ein paar Sekunden, bis ich die Fernbedienung für dieses Fernsehgerät fand und bis ich dann den richtigen Sender hatte. Also bis ich dann so weit war, war gerade schon das zweite Flugzeug in das World Trade Center gerast.

    Sie werden sich vielleicht daran erinnern, dass sich dann in den danach folgenden Minuten die Gerüchte multiplizierten. Es kursierte in Washington das Gerücht, das sich als falsch herausstellte, es sei ein Flugzeug in das State Departement, also in das Außenministerium gestürzt. Richtig war hingegen, dass eine halbe Stunde später ein Flugzeug ins Pentagon gestürzt war.

    Remme: Und das war ja in unmittelbarer Nachbarschaft. Hatte das für Sie noch mal eine andere Qualität?

    Ischinger: Ja. Jetzt saß ich da in meinem sehr schönen und sehr großen Büro mit einem riesigen Fenster in Washington und sah aber tatsächlich einen Rauchpilz aufsteigen. Man kann von meinem Büro in Washington das Pentagon selbst nicht sehen. Das ist hinter anderen Häusern versteckt. Aber man sah diesen Rauchpilz.: schwarzer, dicker Rauch, Qualm, der zunehmend einen immer größeren Teil des Horizonts einnahm. Das war wirklich ein grauenhafter Anblick. Ich habe mich dann vielleicht etwas zu naiv an meinem ersten Arbeitstag ins Auto gesetzt, so als wäre ich ein Journalist, der jetzt vor Ort Interviews oder Reportagen machen will, und sagte meinem Fahrer: "Fahren wir mal hin, so nah wir können, ich möchte sehen, was da überhaupt passiert ist", weil es ja noch keine verlässlichen Informationen gab.

    Ich bin dann tatsächlich mit meinem Wagen bis auf etwa 800 Meter an das Pentagon herangekommen. Dann war natürlich alles schon durch Polizei und Militär abgesperrt. Aber ich habe tatsächlich aus dieser Entfernung die Flammen gesehen, die aus dem Gebäude ja noch viele Stunden herausschlugen, Eindrücke, die dann dadurch natürlich noch viel stärker sind als die, die man im Fernsehen gesehen hat.

    Remme: Sie haben schon gesprochen darüber, dass natürlich diese Anschläge Ihr Leben als Botschafter verändert haben. Wir werden gleich mit Sicherheit auf die politischen Ereignisse zu sprechen kommen. Aber hat dieser Tag Sie als Mensch verändert?

    Ischinger: Vielleicht nicht in dem Augenblick an diesem Tag selbst, weil ich genauso wie vermutlich alle anderen auch Zeit brauchte als Mensch, nicht nur als Beamter mit einem Beruf, um dieses Geschehnis einzuordnen. Aber ich denke, es hat doch bleibende Veränderungen hervorgerufen. Ich werde zum Beispiel ein Bild nie vergessen können: Wenige Tage, nachdem es passiert war, fuhr ich mit meiner Frau im Auto zu Bekannten in einen Vorort von Washington. Und an einer Straßenkreuzung standen zwei kleine Jungs so im Alter von acht oder neun Jahren. Die wedelten beide mit einer amerikanischen Flagge und hatten ein Schild aufgebaut, das da lautete: "Bitte hupen sie, wenn sie ihr Land Amerika lieben." Natürlich hupten alle, die da vorbei fuhren, ein- oder zwei- oder dreimal, und es war so, wissen Sie, ein Bild der Rührung, des naiven, eigentlich ganz lieben Patriotismus, dass einem wirklich die Tränen kommen konnten. Das waren emotional mitreißende, ergreifende Szenen, wie ich sie sehr, sehr häufig erlebt habe, und das sollten wir an diesem Tag heute, jetzt fünf Jahre später, uns auch in Erinnerung rufen, dass zwar dann später sehr komplexe und schwierige Zusammenhänge entstanden, Irak und so weiter, aber in diesen ersten Stunden, Tagen und Wochen entstand ja zunächst mal nicht nur für die Amerikaner selbst, sondern weltweit erst mal ein großes Solidaritäts- und Mitleidsgefühl, das uns alle ergriffen hat.

    Remme: Genau. Das hieß damals auch aus Deutschland natürlich als unmittelbare Reaktion uneingeschränkte Solidarität. Das war diese Welle der Sympathie und der Unterstützung, die Sie eben beschrieben haben. Wenig später im Vorfeld des Irak-Kriegs war das bilaterale Verhältnis entgleist, ja vereist. Wie konnte das geschehen?

    Ischinger: Noch einmal zurück zu 2001. Im Herbst 2001 war der deutsche Botschafter in Washington ein sehr populärer und im Weißen Haus gerne gesehener Botschafter. Vergessen wir nicht, dass wenige Wochen nach dem Ereignis des 11. September die damalige Bundesregierung unter Zustimmung des damaligen Bundestages ihre Bereitschaft erklärte, in einer ja geradezu dramatischen politischen Entscheidung, deutsche Truppen nach Afghanistan zu entsenden. Wir waren in dem Herbst und Winter 2001/2002 im Grunde uns einig in der Sache, so weit es um Afghanistan ging.

    Dann hat eben in der amerikanischen Debatte sich sehr schnell eine Verlagerung ergeben, die dann im weiteren Verlauf ab Sommer 2002 das amerikanische Augenmerk zunehmend auf den Irak richtete. Und wir, die Deutschen - aus meiner Sicht auch heute noch sehr zu Recht -, wir haben gesagt, das ist ein Schritt, den wir so nicht nachvollziehen können. Wenn es um die Bekämpfung des Terrorismus geht, dann sollten wir uns der Bekämpfung des Terrorismus, so wie wir ihn gemeinsam definiert haben, widmen und jetzt nicht um anderes. Daraus ergab sich dann die Belastung, die sich mit der Intervention im Irak definieren lässt und die wir zwar inzwischen natürlich zu den Akten gelegt haben - das deutsch-amerikanische Verhältnis ist ja wieder normal und intakt -, aber das sind Belastungen, die natürlich bis heute fortwirken, vor allen Dingen auch in den Köpfen vieler Menschen.

    Remme: Die USA reagierten nach diesen Anschlägen zunächst in Afghanistan, später im Irak mit Gewalt. War diese Reaktion im Rückblick ohne Alternative, Herr Ischinger?

    Ischinger: Bleiben wir mal zunächst bei Afghanistan. Ich erinnere mich sehr genau daran, dass ich in meiner früheren Aufgabe als Staatssekretär des Auswärtigen Amts schwierige Stunden hatte, als ich vor den Mitgliedern des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestages die Frage beantworten sollte, wieso tut eigentlich die Bundesregierung nichts, wieso tut Europa nichts, wieso geschieht nichts, um diese Taliban in Afghanistan daran zu hindern, so mit Frauen umzugehen, mit Andersgläubigen, mit alten Kulturheiligtümern und Reichtümern. Wieso geschieht nichts? Ich musste damals ehrlicherweise sagen, wir können nichts tun. Es fehlen uns die Mittel. Wir würden ja gerne, aber wir sehen keine Möglichkeit einzugreifen.

    Der 11. September hat eine Dynamik geschaffen, die es Europa und Amerika gemeinsam ermöglicht hat, den politischen Willen aufzubringen, hier einzugreifen. Insoweit glaube ich, dass es richtig war, auch den Einsatz militärischer Mittel vorzusehen, um dieses Übel, was sich dort in Afghanistan festgesetzt hatte, zu bekämpfen. Das war sicher richtig.

    Remme: Wo Sie von diesem Kampf sprechen - es hieß sehr schnell nach den Anschlägen, nicht die USA alleine sind das Ziel der Terroristen; es ist diese westliche Zivilisation, die Lebensart. Ist das Bild vom Kampf der Kulturen richtig?

    Ischinger: Wir sollten diesen Begriff uns nie zu eigen machen. Ich bin auch der Meinung, dass es nicht glücklich war, als auf amerikanischer Seite der Krieg gegen den Terrorismus erklärt wurde. Sie können nicht etwas bekriegen, was eigentlich eine Methode ist. Hier in der deutschen Diskussion hat es doch nie eines Nachhilfeunterrichts bedurft, um zu verstehen, dass militärische Mittel allenfalls ein ergänzendes, ein zusätzliches, manchmal notwendiges Mittel sein können, aber immer eingebettet sein müssend in eine politische Gesamtstrategie. Das ist, glaube ich, klar.

    Remme: Aber dieser Kampf wird ja auf verschiedenen Ebenen geführt. Das öffentliche Urteil nach fünf Jahren ist eindeutig. Sicherer ist die Welt in den letzten fünf Jahren nicht geworden. Führen wir diesen Kampf falsch, oder aber warum schlagen die Versuche, von denen Sie gesprochen haben, fehl?

    Ischinger: Ich denke, dass die Lage möglicherweise nicht ganz so trübe aussehen würde, oder die Gesamtbilanz nach diesen fünf Jahren, wenn nicht zu den eigentlichen Kernfragen des Terrorismus das Irak-Thema zusätzlich hinzugekommen wäre. Es ist doch so, egal ob man nun den Angriff auf den Irak als solchen für richtig oder falsch gehalten hat, dass das jedenfalls nicht in einem direkten Zusammenhang mit dem Thema des Terrorismus stand. Ich denke also, dass die Entscheidung, das Irak-Thema anzugehen, so wie sie damals in Washington und auch in London getroffen wurde, die Terrorismusbekämpfung als solche kompliziert hat.

    Remme: Abschließend, Herr Ischinger, verbietet es Ihr Status als Botschafter, Stichworte wie Abu Graib und Guantanamo als Sünden auf diesem Weg in den vergangenen fünf Jahren, Sünden der Amerikaner zu begreifen und zu verurteilen?

    Ischinger: Ach wissen Sie, natürlich ist es nicht angemessen, wenn ein Diplomat, wenn ein Botschafter hier mit sozusagen moralischen Werturteilen um sich wirft. Ich möchte aber eine Bemerkung machen: Man muss als Deutscher verstehen, dass die Taktfrequenz des amerikanischen politischen Lebens eine andere ist als bei uns. Bei uns in Deutschland aufgrund des parlamentarischen Systems vollzieht sich alles in Windeseile. Wenn hier ein Skandal auftritt, dann gibt es ganz schnell einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss, dann gibt es große Debatten im Deutschen Bundestag. Das Pendel schlägt - das ist meine Meinung - in Amerika aufgrund eines völlig anderen politischen Systems gelegentlich sehr viel weiter aus, entweder nach rechts oder auch nach links, und braucht deswegen auch längere Zeit, um wieder zurückzupendeln. Ich bin relativ sicher, dass das, was wir jetzt beginnen zu erleben, amerikanische Gerichtsentscheidungen, amerikanische politische Prozesse, die sich zu entwickeln beginnen, ich bin relativ sicher, dass Amerika Fehlentscheidungen, so weit sie sich eingeschlichen haben, wieder korrigieren wird. Das dauert aber eben länger als bei uns. Da müssen wir Verständnis haben für ein politisches System, dessen Korrekturmechanismen zwar im Prinzip immer sehr gut gegriffen haben, aber manchmal eben mit einer erheblich größeren Verzögerung, als das bei einem vergleichbaren Vorgang in Deutschland der Fall wäre.

    Remme: Wolfgang Ischinger war das, der ehemalige deutsche Botschafter in Washington. Heute ist er Botschafter in London.