Archiv

Kurz wird ÖVP-Chef
Der Senkrechtstarter

Mit 24 Jahren Staatssekretär, mit 27 Außenminister. Jetzt will Sebastian Kurz Kanzler werden. Der Wiener Jungpolitiker hat die Traditionspartei ÖVP im Handstreich umgekrempelt: Inhaltliche und personelle "Durchgriffsrechte" hat sich Kurz zusichern lassen. Jetzt will er mit einer eigenen Liste bei den absehbaren Neuwahlen im Herbst antreten.

Von Ralf Borchard | 16.05.2017
    Bundesminister für europäische und internationale Angelegenheiten Sebastian Kurz von der ÖVP in Wien.
    Sebastian Kurz hat Kanzler-Ambitionen: Der österreichische Außenminister baut als neuer Chef der Konservativen seine Macht aus und fordert den regierenden Kanzler Christian Kern von der SPÖ heraus. (imago/Eibner)
    Streng nach hinten gekämmtes Haar, eng sitzender Anzug, meist ohne Krawatte – Sebastian Kurz achtet auch in diesen besonders turbulenten Tagen streng auf sein äußeres Erscheinungsbild. Und wirkt für seine erst 30 Jahre erstaunlich souverän und abgeklärt. Schließlich hat er gerade per Handstreich dafür gesorgt, dass die bürgerliche Traditionspartei ÖVP künftig ganz nach seiner Pfeife tanzt:
    "Wenn man nicht personell, aber auch inhaltlich Entscheidungen treffen kann, dann kann man auch nicht führen, dann kann man auch nicht gestalten."
    "Ein Blickwinkel, den andere so nicht haben"
    Aufgewachsen ist Kurz im Wiener Stadtteil Meidling, die Mutter Lehrerin, der Vater Ingenieur. Abitur, dann Jura-Studium, das er aber bis heute nicht abgeschlossen hat. Früh engagiert er sich politisch, handelt sich im Wiener Kommunalkampf 2010 viel Häme ein, als er unter dem Motto "Schwarz ist geil" für die Junge ÖVP wirbt:
    "Schwarz macht geile Politik, schwarz macht geile Partys und schwarz macht Wien geil."
    Wenig später geht es Schlag auf Schlag: mit 24 Staatssekretär für Integration, mit 27 Europas jüngster Außenminister. Im Gespräch meint Kurz selbstbewusst:
    "Natürlich habe ich weniger Lebenserfahrung als der ein oder andere Außenminister. Auf der anderen Seite bringe ich vielleicht das ein oder andere Mal einen Blickwinkel ein, den andere so nicht haben."
    Schließung der Balkanroute gegen deutschen Widerstand
    Als seinen größten außenpolitischen Erfolg sieht er die Schließung der Balkanroute für Flüchtlinge. Er hat sie gegen damaligen deutschen Widerstand organisiert. Und sagt heute:
    "Ich habe von Anfang an jegliche Form der Einladungspolitik, der offenen Grenzen abgelehnt und auch für falsch empfunden. Ja, auch in Deutschland hat sich sehr viel aus meiner Sicht jetzt in die richtige Richtung bewegt. Was uns in Europa aber nach wie vor fehlt, ist die Konsequenz, auch klare Entscheidungen zu treffen. Wir sollten auf die Italien-Route schauen und sagen: Entscheidend ist, wenn jemand an der Außengrenze illegal ankommt, muss er dort gestoppt, versorgt und zurückgestellt werden."
    Höchste Popularitätswerte für Kurz
    Härte in Flüchtlingsfragen – auch damit will Kurz der rechtspopulistischen FPÖ Stimmen abjagen. Doch am Ende könnten gerade schnelle Neuwahlen, auf die Kurz jetzt drängt, der FPÖ den Weg in die Regierung ebnen. Denn wenn sozialdemokratische SPÖ und ÖVP nicht mehr miteinander können, mit wem sonst will Kurz regieren, wenn nicht mit der FPÖ? Auf Nachfrage weicht er aus:
    "Ich halt’s auch für durchaus arrogant, wenn man vor einer Wahl schon über potenzielle Koalitionen spekuliert, denn zunächst einmal sind die Wählerinnen und Wähler am Wort."
    In Umfragen hat er derzeit persönlich die höchsten Popularitätswerte. Seine Partei, die ÖVP, stand aber in jüngster Vergangenheit meist nur auf Platz drei. Noch ist der absehbare Dreikampf gegen SPÖ-Kanzler Christian Kern und FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache für Kurz nicht gewonnen.