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Österreich
ÖVP-Politiker warnt vor Isolation seines Landes

Der österreichische ÖVP-Politiker Fischler sieht die Volksparteien in seinem Land in der Krise. Die Österreicher wollten die zerstrittene Große Koalition aus SPÖ und ÖVP nicht mehr, sagte Fischler im Deutschlandfunk. Allerdings sei es auch kein Ausweg, den FPÖ-Politiker Hofer zum Bundespräsidenten zu wählen: Das Land könne dann autoritärer werden.

Franz Fischler im Gespräch mit Christiane Kaess | 17.05.2016
    Der ÖVP-Politiker Franz Fischler.
    Der ÖVP-Politiker Franz Fischler. (Imago / Eibner Europa)
    Der ehemalige Minister und EU-Kommissar Fischler bezog sich im Interview auf Aussagen von Norbert Hofer, die Österreicher würden ihn noch kennenlernen. Es sei nicht ganz unwahrscheinlich, dass das Land unter einem Bundespräsidenten Hofer autoritärer werde.
    Besonders dann, wenn auch die Regierung von der rechtspopulistischen FPÖ dominiert werde, habe dies auch Abfärbungen auf das Ausland. Fischler sagte, das sei dann ein echter Risikofaktor. Die Österreicher müssten wissen, dass ihr Land dann Gefahr laufe, sich selbst in Europa zu isolieren.
    Das Fernsehduell zwischen Hofer und dem anderen Kandidaten in der Stichwahl, dem ehemaligen Grünen-Chef Alexander van der Bellen, nannte Fischler eine Schlammschlacht. "Damit haben beide Herren der Sache keinen guten Dienst erwiesen." Van der Bellen sei nicht in der Lage gewesen, der jahrelang eingeübten Kampfrhetorik von FPÖ-Leuten wie Hofer zu begegnen. Dass die Kandidaten zum ersten Mal ohne Diskussionsleiter aufeinander losgelassen wurden, "das ist eindeutig schiefgegangen".
    Heute soll der Chef der österreichischen Bahn, Christian Kern, neuer Bundeskanzler werden. Fischler sagte, Kern könne allerdings allein gar nicht so viel tun, um die Regierung wieder zurück zum Erfolg zu führen. Die Art und Weise der Zusammenarbeit in der Koalition müsse vielmehr eine völlig andere werden und die Dinge komplett auf den Kopf gestellt werden.
    Bisher hätten die beiden Regierungsparteien SPÖ und ÖVP die Arbeit der Opposition besorgt, indem sie sich fortwährend gestritten hätten. Wenn die Regierung vor der nächsten Wahl keine wirkungsvollen Projekte vorweisen könne, hätten die Parteien für die Zukunft verloren. Österreich würde damit italienischen Verhältnissen entgegengehen, sagte Fischler im Deutschlandfunk, "nämlich dass große Mitte-Parteien völlig verschwinden".

    Das Interview in voller Länge:
    Christiane Kaess: Am Telefon ist jetzt Franz Fischler, Mitglied der ÖVP, ehemals österreichischer Landwirtschaftsminister, und danach war er EU-Kommissar. Guten Morgen, Herr Fischler.
    Franz Fischler: Ja guten Morgen, Frau Kaess.
    Kaess: Schauen wir erst mal noch auf das Fernsehduell der Kandidaten für die Bundespräsidentenwahl. Die politischen Analysten und Kommentatoren sprechen ja von einem Schlamm-Catchen. War es das?
    Fischler: Bei uns in Österreich heißt das Schlammschlacht, aber es ist das gleiche, und das war es, leider, muss ich sagen, weil damit haben beide Herren eigentlich der Sache, nämlich dass es um die Wahl eines neuen Staatsoberhauptes geht, das möglichst eine große Wahlbeteiligung haben soll, keinen guten Dienst erwiesen.
    Kaess: Legt das jetzt den Ton für künftige politische Auseinandersetzungen in Österreich fest, was wir da am Sonntag gesehen haben?
    "Das ist dann ein echter Risikofaktor"
    Fischler: Nein, das denke ich wohl nicht. Was man da gesehen hat ist auch - und das ist vielleicht in Deutschland gar nicht so üblich -, dass die FPÖ-Leute und auch der Herr Hofer gezielt jahrelang sogenannte Kampfrhetorik geübt haben. Die haben eigene Trainingscamps für solche Sachen gemacht. Und offensichtlich hat der andere, nämlich der Herr van der Bellen, keine anderen Waffen oder Mittel aufgebracht, um dieser Kampfrhetorik zu begegnen. So gesehen war das vielleicht auch - und das war ungewohnt, das war neu, das war zum ersten Mal in Österreich -, dass zwei Kandidaten ohne einen Kommentator oder Diskussionsleiter da aufeinander losgelassen wurden, so wie das in den USA ja öfters der Fall ist. Aber das ist eindeutig schiefgegangen.
    Kaess: Dann schauen wir mal auf das Wenige, was inhaltlich rübergekommen ist. Van der Bellen hat ja versucht zu warnen: Wenn Hofer Österreichs Staatsoberhaupt wird, dann wird das Land autoritär. Ist das Ihre Befürchtung ebenso?
    Fischler: Sagen wir so: Jedenfalls ist bei Hofer ein Risiko in diese Richtung wesentlich größer. Das ist überhaupt keine Frage. Und den Satz, den der Herr Hofer schon wiederholt in der Öffentlichkeit angebracht hat, nämlich die Österreicher werden mich noch kennen lernen, den kann man natürlich in zwei Richtungen deuten. Es ist nicht ganz unwahrscheinlich, dass vor allem dann, wenn danach in den Nationalratswahlen, in den Parlamentswahlen auch die FPÖ als großer Sieger hervorgeht - die Umfragen sprechen dafür, dass das so sein könnte -, und wenn dann sowohl der Bundespräsident als auch die österreichische Regierung sehr stark von einer rechtspopulistischen Partei dominiert wird, dann hat das sogar auch Abfärbungen, glaube ich, auf das Ausland. Das ist dann ein echter Risikofaktor und was, glaube ich, die Österreicher wissen müssen, die Wähler wissen müssen ist, dass Österreich Gefahr läuft, wenn so etwas kommt, dass es sich selber in Europa isoliert.
    Kaess: Aber dennoch, Herr Fischler, verfängt ja diese Rhetorik der FPÖ.
    "Die beiden etablierten Parteien sind wie in einer Schockstarre"
    Fischler: So ist es.
    Kaess: Wir haben in diesem Fernsehduell von Herrn Hofer gehört, er hat van der Bellen als Lebensverlängerer des Systems bezeichnet, als Kandidat der Schickeria. Er hat sich selber als Kandidat der Menschen dargestellt. Es ist ja bisher so, dass weder die ÖVP noch die SPÖ ein Rezept dagegen gefunden haben. Was machen die Etablierten denn falsch?
    Fischler: Na ja. Das Problem ist, dass im Prinzip die beiden etablierten Parteien so etwas wie in einer Schockstarre sind, weil keine der beiden Parteien hat erwartet, dass ihre Kandidaten in der ersten Runde bereits mit ungefähr zehn Prozent Zustimmung aus dem Rennen fliegen.
    Kaess: Aber da müsste man ja jetzt mal reagieren nach so einem Ergebnis.
    Fischler: Das müsste man sehr wohl. Aber die Stimme des Volkes sozusagen hat ja diese Entscheidung in der ersten Runde deshalb so dramatisch ausfallen lassen, weil man der Meinung ist, dass dieses System abgewählt gehört. Das war eine Ansage gegen die Große Koalition, die man nicht mehr haben will. Man will einen Wechsel. Und wenn jetzt gerade die, die für das Bewahren sind, hier Ansagen machen, dann wird der Zorn bei den Leuten nur leider noch größer.
    Kaess: Welche wichtigen Pflöcke muss Christian Kern als neuer Kanzler da einschlagen, um zu überzeugen?
    "Dann gehen wir italienischen Verhältnissen entgegen"
    Fischler: Erstens einmal kann er allein gar nicht so viel tun, sondern was sein müsste, ist, dass die Art und Weise der Zusammenarbeit in dieser Koalition eine völlig andere wird. Da müssten wirklich die Dinge auf den Kopf gestellt werden. Dieses ewige Streiten, das in den letzten Jahren die Szene beherrscht hat, da haben nämlich diese beiden Regierungsparteien gleichzeitig die Arbeit der Opposition besorgt. Das ist das Dramatische. Kern kann natürlich jetzt Projekte entwickeln, die relativ rasch aber entschieden werden müssen und auch bereits eine Wirkung zeigen müssen vor der nächsten Wahl. Ansonsten, glaube ich, haben beide Parteien, sowohl die SPÖ als auch die ÖVP, für die Zukunft verloren und wir werden, wie man das so schön nennt, italienischen Verhältnissen entgegengehen, nämlich dass große Mitteparteien völlig verschwinden.
    Kaess: Analysten, Herr Fischler, die sagen ja jetzt schon voraus, dass die ÖVP Kern keine Chance zur Profilierung geben will. Also wird es gerade so weitergehen?
    Fischler: Wenn das passiert, was wider alle Vernunft ist, muss ich ja sagen, dann tritt das ein, was ich gesagt habe, und dann müsste man eigentlich sagen, ist es immer noch von allen schlechten Möglichkeiten die beste, dass man mit den Neuwahlen nicht mehr zu lange zuwartet, weil je länger sich diese Streitigkeiten und dieses Hickhack hinziehen, umso mehr bringt das noch mehr Stimmen für die Freiheitlichen.
    Kaess: Sie haben ja schon das Problem der Großen Koalition angesprochen. Es gibt viele, die sagen, auf Dauer sollte es einfach dieses Format auch nicht mehr geben. Heißt das, dass ÖVP und SPÖ zwangsläufig offen werden auch für Koalitionen mit der FPÖ?
    Fischler: Wenn die Dinge sich so entwickeln, wie es derzeit in den Umfragen aussieht, dann ist es sehr schwierig, außerhalb der FPÖ überhaupt noch eine Koalition zustande zu bringen, und das Risiko selbstverständlich besteht, dass eine der beiden früheren Mitteparteien - und da sind beide anfällig dafür - eine Koalition mit der FPÖ eingehen würden.
    Kaess: Welche Konstellation sehen Sie da?
    Bei der FPÖ ist "ist die SPÖ mit sich selber im Unklaren"
    Fischler: Na ja, das muss man abwarten, wie viele Listen überhaupt zur nächsten Wahl antreten. Es ist nicht ausgeschlossen, dass es da auch neue wahlwerbende Gruppen geben wird. Und je nachdem, wie dann das Ergebnis ist - man sieht es ja: Die SPÖ ist ja diejenige, die früher das größere Bollwerk gegen die FPÖ war, aber die ist in der Zwischenzeit auch völlig gespalten. Es gibt Bundesländer bereits, wo es Koalitionen mit der FPÖ gibt, obwohl es einen offiziellen Parteibeschluss der SPÖ gibt, mit der FPÖ nicht zu koalieren. Da ist die SPÖ mit sich selber im Unklaren und Ähnliches gilt auch für die ÖVP.
    Kaess: … sagt Franz Fischler. Er ist Mitglied der ÖVP und ehemals österreichischer Landwirtschaftsminister, danach EU-Kommissar. Danke schön für dieses Gespräch heute Morgen, Herr Fischler.
    Fischler: Ja bitte schön! Einen schönen guten Morgen nach Deutschland.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.