Dienstag, 19. März 2024

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Fachliteratur-Datenbank Elsevier
"Texte anbieten - das ist Vergangenheit"

Sich Fachaufsätze an den Unis beschaffen - ohne die Elsevier-Datenbank? "Nicht auszudenken, wie viele Ineffizienzen das hervorrufen würde", sagte Hannfried von Hindenburg im Dlf. Der Sprecher des Portals wirbt er für eine rasche Verständigung im Streit mit den Hochschulen. Denn Elsevier biete mehr als nur Texte.

Hannfried von Hindenburg im Gespräch mit Michael Böddeker | 20.09.2017
    Studenten sitzen in der Zweigbibliothek der Universitäts- und Landesbibliothek für die Geistes- und Sozialwissenschaften am Steintor-Campus der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (Sachsen-Anhalt) am 12.05.2017 an ihren Computern.
    Studierende brauchen den Zugriff auf Fachaufsätze - doch die Hochschulen streiten sich mit dem Verlag und Datenbank-Giganten Elsevier über die Lizenzgebühren dafür (dpa / Waltraud Grubitzsch)
    Michael Böddeker: Ein Einblick in den Alltag an der Uni-Bibliothek in Konstanz. Der könnte sich zum Jahreswechsel allerdings etwas ändern. Denn: Viele Bibliotheken und andere Einrichtungen haben angekündigt, ihre Lizenzverträge mit Elsevier auslaufen zu lassen - einem der größten Player in diesem Feld. Viele Fachartikel erscheinen nämlich bei Elsevier. Schon seit letztem Jahr wird verhandelt, bislang ohne Einigung. Der Streitpunkt: Die Hochschulen wehren sich gegen die aus ihrer Sicht zu hohen Lizenzgebühren. Und: Sie wollen Open-Access für Fachartikel von deutschen Autoren - also, dass alle freien Zugriff darauf bekommen. Mehr dazu weiß Hannfried von Hindenburg, er ist Sprecher von Elsevier. Ihn habe ich gefragt, ob es ihm nicht Sorgen bereitet, dass viele Hochschulen ihre Verträge auslaufen lassen wollen.
    Hannfried von Hindenburg: Das bereitet mir Sorgen. Das bereitet mir vor allen Dingen Sorgen, weil ich denke, dass es in keinem Interesse ist. Niemand will das wirklich. Ich denke auch nicht, dass die HRK, die federführend die Verhandlungen übernommen hat -
    Böddeker: Die Hochschulrektorenkonferenz.
    von Hindenburg: - oder die Universitäten - selbst, dass die das wirklich wollen. Und natürlich wollen wir als Anbieter von Informationsdienstleistungen und auch von Veröffentlichungen das auch nicht. Die Sache ist, dass es deutlich ist, dass, wenn man keinen Zugang hat zu Artikeln, zu wissenschaftlichen Arbeiten, wenn Universitäten dies nicht mehr können, gerade in Deutschland, was ja ein so wahnsinnig hochstehendes Wissenschaftsland ist, dass das dann die Kompetenz, vor allen Dingen aber auch die Wettbewerbsfähigkeit der Hochschulen beeinträchtigt. Das will ja niemand. Und insofern denke ich, dass es wichtig ist, für beide Seiten, für alle, vor allen Dingen im Interesse der Forscher, der Studenten, der Professoren, dass wir zu einer Lösung kommen. Und ich bin da auch weiterhin optimistisch, dass wir das schaffen werden.
    "Piratenwebseiten - das ist doch keine Lösung"
    Böddeker: Klar, die Wissenschaftler, auch die Studierenden benötigen Zugriff auf wissenschaftliche Publikationen, und zwar möglichst auch auf die, die bei Ihnen, die bei Elsevier erscheinen. Aber es gäbe ja auch Ausweichmöglichkeiten, zum Beispiel per Fernleihe oder indem man den Autor direkt anschreibt, der das Paper veröffentlicht hat und ihn um ein PDF bittet. Die Bibliothek der TU Berlin hat zum Beispiel schon angekündigt, ich zitiere mal, "Eine Zeit ohne Elsevier-Zugang ist nicht schön, aber machbar", und man werde eine Notversorgung sicherstellen. Sitzen die Hochschulen so gesehen nicht am längeren Hebel?
    von Hindenburg: Sicherlich kann man eine Notversorgung vereinbaren oder einrichten unter den Universitäten. Aber es ist doch keine langfristige Lösung. Nehmen Sie mal diese Fernleihe, die Sie genannt haben oder die die Universitätsbibliotheken nennen: Da haben wir zum Beispiel Anfang des Jahres Erfahrungen gesammelt, als für kurze Zeit ja einige Universitäten keinen Zugang hatten zu Elsevier-Literatur. Da haben Studenten, Professoren versucht, 124.000 Mal, auf Artikel zuzugreifen, und konnten es in dieser Zeit nicht. Wenn die nun alle für jeden dieser Artikel, 124.000, eine Fernleihe beantragen und tatsächlich den Artikel bekommen innerhalb eines Tages, dann summiert sich das, die Zeit, die Tage, die man da verliert, summiert sich auf 340 Jahre. Stellen Sie sich das mal vor, wenn alle Universitäten für das gesamte Jahr keinen Zugang haben zu Elsevier-Literatur. Es ist nicht auszudenken, wie viele Ineffizienzen das hervorrufen würde. Natürlich kann man sich auch behelfen, und manchmal schwingt da so ein bisschen mit, na ja, es gibt ja auch diese Artikel so im Internet, die kriegen wir schon irgendwie.
    Böddeker: Also per illegaler Tauschbörse zum Beispiel, meinen Sie?
    von Hindenburg: Das haben Sie gesagt. Ich möchte doch darauf hinweisen, dass ich glaube, dass Universitäten in Deutschland sich nicht darauf verlassen wollen, dass sie Artikel von Piratenwebseiten bekommen. Das ist doch keine Lösung, und das ist, glaube ich, in niemandes Interesse, und es kann doch nicht im Sinne von irgendwem sein. Insofern denke ich, wir müssen uns wirklich zusammenraufen, wir müssen das schaffen, sodass Deutschland das große Wissenschaftsland bleiben kann, dass es ist.
    Böddeker: Sie haben gerade die Kündigung Anfang des Jahres angesprochen. Da hatte Elsevier dann aber trotzdem sehr schnell wieder freigeschaltet. Eine Uni-Sprecherin hat das als eine "unverlangte Dienstleistung" bezeichnet. Warum haben Sie damals eigentlich so viel wieder so schnell freigeschaltet?
    "Wir müssen zusammenarbeiten"
    von Hindenburg: Weil uns wirklich die Wissenschaftslandschaft in Deutschland am Herzen liegt. Weil wir nicht glauben, dass das in irgendeinem Interesse ist, einfach Zugang nicht zu haben. Und weil wir auch Zeit und Raum dafür geben wollten, diese Verhandlungen weiter zu führen und sie in gutem Willen weiter zu führen. Und deswegen rufen wir jetzt auch die HRK, die Hochschulrektorenkonferenz, die federführend die Verhandlungen führt, auch wieder zurückzukommen zum Verhandlungstisch. Wir hatten ja schon mehrmals miteinander gesprochen. Und zwar hatten wir gute Treffen. Wir hatten dann auch einen sogenannten Workshop vereinbart, den wir im Sommer durchführen wollten. Den hat leider die HRK dann einseitig abgesagt, und seitdem haben wir uns nicht mehr in einem offiziellen Rahmen treffen können. Wir haben immerhin noch Kontakt, wir reden miteinander regelmäßig. Aber offizielle Verhandlungen in dem Sinne haben seitdem nicht mehr stattgefunden. Das ist schade. Wir wollen einfach, dass wir wieder zusammen miteinander reden und an konstruktiven Lösungen zusammen arbeiten. Ich denke, das geht.
    "Wir können alle vier Forderungen der Hochschulen erfüllen"
    Böddeker: Nun gibt es die Ankündigung von vielen wissenschaftlichen Einrichtungen und Hochschulen, zum Ende dieses Jahres wieder die Verträge auslaufen zu lassen. Würde das dann wieder so ähnlich laufen, dass die dann trotzdem weiter unverlangt Zugriff bekommen?
    von Hindenburg: Was dann passiert, kann man jetzt nicht vorhersehen. Und ich glaube auch nicht, dass wir zu dieser Situation kommen. Ich denke wirklich, dass wir jetzt alle einsehen, dass wir zusammenarbeiten müssen. Ich möchte da auch an alle Rektoren und Universitäten appellieren, doch zu versuchen, zu einer vernünftigen Lösung zu kommen.
    Böddeker: Wenn Sie sich wieder zusammensetzen, was wäre denn für Sie das Wichtigste, was Sie erreichen wollen in den Verhandlungen?
    von Hindenburg: Die HRK hat vier Grundforderungen aufgestellt, die wir meinen, dass wir die alle erfüllen können und auf jeden Fall wollen. Sie wollen eine nationale Lizenz. Bisher werden die Verträge von allen Universitäten oder lokalen Konsortien separat verhandelt. Die HRK will jetzt eine nationale Lizenz, die alle Universitäten und Einrichtungen abdeckt. Das wäre im Übrigen eine Erhöhung der Einrichtungen, die Elsevier-Literatur beziehen, von ungefähr 300 auf 600, also eine Verdoppelung. Und das wollen wir gern organisieren, das ist gar nicht die Frage. Sie wollten das zu einem fairen Preis haben, auch das haben wir angeboten. Sie wollten, dass verschiedene Institutionen, die eben jetzt keinen Zugang haben, dass die auch mehr, beziehungsweise überhaupt Zugang kriegen. Auch das haben wir angeboten. Und sie wollen, dass alle deutschen Autoren sofort dieses Jahr in dem Open-Access-Modus veröffentlichen können. Das haben wir auch angeboten. Worüber wir uns noch unterhalten, ist, wie man genau das organisiert, wie man das implementiert und wie sich genau das Berechnungsmodell dann darstellt.
    "Wir bieten nicht nur Texte an, sondern Dienstleistungen"
    Böddeker: Dann lassen Sie uns noch etwas grundsätzlicher werden. Es gibt ja auch grundsätzliche Kritik an dem bisherigen klassischen Modell mit Fachzeitschriften und Wissenschaftsverlagen, und die lautet, den Großteil der Arbeit übernimmt ja ohnehin die Wissenschaftscommunity, zum Teil sogar ehrenamtlich im Peer Review, wenn also Wissenschaftler Fachartikel aus ihrem Gebiet gegenlesen. Die Fachartikel selbst schreiben natürlich auch die Forscher. Jetzt könnte man ja argumentieren: Früher, also bevor es das Internet gab, ging es nicht ohne die großen Verlage. Die haben die Zeitschriften gedruckt, an die Bibliotheken geliefert. All das geht ja jetzt im Prinzip auch über das Netz. Glauben Sie vor diesem Hintergrund, dass das jetzige Modell mit Wissenschaftsverlagen noch eine lange Zukunft hat, oder könnte es nicht auch sein, dass sich die Wissenschaftscommunity selbst irgendwann eine eigene Austauschplattform im Netz aufbaut, so ganz ohne Verlage?
    von Hindenburg: Ich glaube, dass sich dieses Wesen, dieses akademische Kommunikationssystem, wie man das auch nennt, dass sich das verändert, ganz klar. Natürlich hat das Internet eine große Auswirkung darauf, wie auch Forscher Wissenschaft, Informationen konsumieren. Das verändert sich. Sie tun es natürlich über das Internet, sie tun es zunehmend im Übrigen auch über Daten, das heißt, es ist nicht unbedingt nur der geschriebene Text, der da so wichtig ist, sondern die Datensätze. Und da helfen wir als Elsevier zum Beispiel auch, diese zu veröffentlichen, diese zugänglich zu machen, und diese auch so zugänglich zu machen, dass jeder mit denen noch mal spielen kann und noch mal das durchrechnen kann, als ein Beispiel. Das heißt, Veränderungen kommen natürlich. Was das reine Veröffentlichen angeht, ist es auch so, dass wir sehr Konkurrenz willkommen heißen würden, wenn denn Universitäten einen neuen - sagen wir mal Universitätsverlage, wie es sie ja in England gibt - gründen wollten, heißen wir das willkommen. Konkurrenz? Kein Problem.
    Böddeker: Und Sie selbst verstehen sich auch gar nicht mehr so sehr als Verlag, Elsevier.
    von Hindenburg: Das kommt hinzu. Das kommt hinzu, dass wir zwar diese verlegerische Tätigkeit immer noch ausführen, aber zunehmend auch die Daten verwenden, die in den wissenschaftlichen Artikeln drinstecken, und die dann, wenn Sie so wollen, in Apps hineinfüttern, sodass der Benutzer, zum Beispiel auch ein Arzt, gar nicht im Wissenschaftsbetrieb, aber natürlich auch der Forscher, dass der direkte Fragen stellen kann und direkte Antworten auf seine Fragen bekommt. Oder dass der Forscher Informationen bekommt - zu deinem Thema in deinem Bereich kriegst du am besten Unterstützung, finanziell Unterstützung von den folgenden Einrichtungen, die dich finanziell unterstützen. Das können wir dir sagen, weil wir alle Daten auswerten von den erfolgreichen Bewerbungen für diese Gelder. So zum Beispiel erweitern wir das Angebot von dem, was wir sind und dem, was wir anbieten, und wollen auch gar nicht - und ich glaube, das wollen auch viele unserer Kunden nicht mehr - nur Texte anbieten. Das ist in der Tat die Vergangenheit. Es geht um viel mehr Dienstleistungen. Und danach fragen die Kunden von uns auch, auch an den Universitäten, und das wollen wir denen immer mehr anbieten und tun es auch.
    Böddeker: Sagt Hannfried von Hindenburg, Sprecher bei Elsevier.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.