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Wirtschaftspolitik nach der Wahl
"Es geht darum, gezielt und gut zu investieren"

Clemens Fuest vom ifo-Institut zeigt sich nach der Bundestagswahl mit Blick auf die Wirtschaftspolitik der kommenden Regierung optimistisch. Gleichzeitig warnte er im Dlf vor zu großen Investitionen - die öffentlichen Ausgaben auszudehnen, sei zum jetzigen Zeitpunkt die falsche Politik.

Clemens Fuest im Gespräch mit Birgid Becker |
    ZEW-Präsident Clemens Fuest während der ZDF-Talkshow "Maybrit Illner"
    ZEW-Präsident Clemens Fuest während der ZDF-Talkshow "Maybrit Illner" (dpa / picture alliance / Karlheinz Schindler)
    Birgid Becker: Wahlnachlese, aber zum Start die Aussicht auf eine Jamaika-Koalition im Blick. Was erwarten Arbeitgeber und Gewerkschaften von der künftigen Bundesregierung und wo sind die Konfliktfelder?
    Mitgehört hat der Präsident des ifo-Instituts, Clemens Fuest. Guten Tag.
    Clemens Fuest: Guten Tag, Frau Becker.
    "Vertrauen in Stabilität ist groß"
    Becker: Professor Fuest, Ihr Institut hat der künftigen Bundesregierung gerade heute attestiert, dass die mit einer guten Wirtschaftslage im Rücken startet. Das geht aus Ihrem Geschäftsklima-Index hervor, der allerdings vor der Wahl abgeschlossen wurde. Wenn es nun ein besonders zähes Ringen gibt um das Zustandekommen einer schwarz-gelb-grünen Koalition, oder wenn das gar nicht funktioniert, womöglich Neuwahlen im Raum stehen, war es das dann mit dem guten Geschäftsklima?
    Fuest: Erst mal ist das Vertrauen in die politische Stabilität und auch die Fähigkeit, Regierungen zu bilden, in der deutschen Wirtschaft, glaube ich, groß. Man wird da nicht gleich in Panik verfallen. Wenn sich die Sache allerdings über den Jahreswechsel hinziehen würde und wenn deutlich würde, dass keine Koalition gebildet werden kann, jedenfalls keine stabile, dann könnte ich mir schon vorstellen, dass die damit verbundene Unsicherheit dann auch auf die Konjunktur durchschlägt.
    "Gezielt investieren"
    Becker: Was aber trotzdem erst mal bleibt, das sind ja eine außerordentlich gute Beschäftigungslage und eine bemerkenswert gute Beschaffenheit der öffentlichen Haushalte. Wir haben es eben gehört: Es gibt unter den Wirtschaftsvertretern und auch den Gewerkschaftern einen vernehmbaren Ruf nach Investitionen in Bildung, in Digitalisierung, in Infrastruktur. Jetzt mal ganz gleich, ob sich die Jamaika-Mitglieder mögen: Sie haben doch alle Möglichkeiten das umzusetzen, zu investieren vor allem. Das ist so?
    Fuest: Ja, eine ganze Menge Geld ist derzeit da. Man muss nur sehen, dass Investieren sich gut anhört. Die Frage ist aber, was macht man konkret. Wir haben derzeit keinen Mangel an Geld, etwa in der öffentlichen Infrastruktur, sondern das Problem, dass die Gelder nicht abgerufen werden. Das hängt damit zusammen, dass die Bauwirtschaft extrem ausgelastet ist. Es ist also gar nicht so leicht, das zu beschleunigen. Ich denke, wir müssen uns stärker etwa im Bildungssystem mit der Qualität des Bildungssystems beschäftigen, mit der Frage, welche Art von Unterricht brauchen wir, welche Art von Schulen, brauchen wir vielleicht mehr Autonomie von Schulen. Ich denke, in vielen Bereichen braucht man nicht unbedingt mehr Geld, sondern auch ein Nachdenken darüber, die Politik vielleicht intelligenter zu gestalten.
    Wir sind außerdem derzeit in einer Hochkonjunktur. Jetzt die öffentlichen Ausgaben auszudehnen, ist eigentlich die falsche Politik. Investieren ist im Grundsatz richtig, aber wenn man sich das im Detail dann anschaut, sieht man, dass man da erst mal eine Menge Denkarbeit leisten muss und sehr gezielt investieren muss. Zum Beispiel flächendeckend jetzt Glasfaserkabel zu vergraben, ist nicht der richtige Ansatz. Wir wissen aus eigenen Untersuchungen, dass das Problem eher mangelnde Nutzung vorhandener digitaler Infrastruktur ist. Sie fehlt an bestimmten Stellen, aber es geht eigentlich darum, gezielt und gut zu investieren und nicht flächendeckend Geld zu vergraben.
    "Ein kritisches Feld ist sicher die Energiepolitik"
    Becker: Wenn wir jetzt mal Einwanderung, innere Sicherheit, Außenpolitik beiseitelassen – wo gehen denn in der Wirtschaftspolitik die Wege zwischen Schwarz-Gelb-Grün besonders weit auseinander? Wo scheiden sich die Geister am stärksten?
    Fuest: Ein kritisches Feld ist sicher die Energiepolitik. Da geht es weniger um die Umweltschutzziele - ich denke, die werden von allen Parteien geteilt -, sondern die Frage, wie kommt man dahin. Man kann CO2-Emissionen versuchen zu reduzieren, indem man die Subventionen für Windräder erhöht. Man kann es aber auch so machen, dass man sagt, wer CO2 in die Atmosphäre bläst, der soll eigentlich dafür bezahlen, und wir begrenzen die Gesamtmenge durch Umweltzertifikate und dann muss sich im Wettbewerb zeigen, wo am besten Emissionen reduziert werden können. Es gibt sehr unterschiedliche Instrumente in der Umweltpolitik und hier sehe ich große Unterschiede. Die Grünen setzen sich derzeit eher für direkte Eingriffe ein, zum Beispiel Verbrennungsmotor verbieten. Die FDP sagt eher, wir müssen auf marktwirtschaftliche Instrumente setzen und den Wettbewerb zulassen. Am Ende ist es von der Substanz her nicht so unterschiedlich. Das Positive, denke ich, ist: Die Ziele werden geteilt. Man muss sich nur einigen, wie man da hinkommt. Aber ich vertraue mal darauf, dass das auch irgendwie möglich ist, zur Not irgendwie in Form von Kompromissen.
    Becker: Morgen und damit ganz bewusst nach der Bundestagswahl wird ja Emmanuel Macron, der französische Präsident eine Rede halten zur Zukunft Europas. Ein paar Kernideen kennt man: gemeinsames Budget, gemeinsamer Finanzminister. Und das ist so ziemlich das Gegenteil dessen, womit die FDP in den Wahlkampf gezogen ist. War es das womöglich schon mit der Achse Macron-Merkel in Zeiten der Jamaika-Koalition?
    Fuest: Man sollte Macron mal zuhören, und es wäre auch gut, wenn man das, was er sagt, vielleicht nicht gleich in Bausch und Bogen zurückweist. Ich denke, es gibt durchaus einiges zu kritisieren an den Plänen von Macron. Weder ein Eurozonen-Finanzminister, noch ein Eurozonen-Budget wird die Probleme der Eurozone lösen. Da geht es eher um die Frage, dürfen Banken wie bisher Staatsanleihen kaufen, was machen wir mit überschuldeten Ländern. Ich denke, es ist wichtig, dass man mit Frankreich hier im Gespräch bleibt, oder überhaupt erst mal ein tieferes Gespräch beginnt, eine Gesprächsgrundlage hat, und dann wird man sich auch irgendwie annähern. Ich würde sagen, die Rede von Macron, das ist nicht das Ende der Gespräche, sondern ist eher der Beginn.
    "In Europa gibt es keinen Austeritätskurs"
    Becker: Mal angenommen, die Große Koalition hätte weiter bestanden - alles Hypothese, aber trotzdem -, dann hätte man auch annehmen können, dass es schwierig gewesen wäre, am Austeritätskurs von Wolfgang Schäuble festzuhalten. Wie sieht es jetzt aus mit der Jamaika-Perspektive?
    Fuest: Einen Austeritätskurs von Wolfgang Schäuble gibt es eigentlich gar nicht. Deutschland gibt ziemlich viel Geld aus. Es fließt ja auch genug Geld in die öffentlichen Kassen. Auch in Europa gibt es keinen Austeritätskurs. Die Defizite steigen derzeit, obwohl die Wirtschaft sich erholt. Es wäre eigentlich gut, da ein bisschen auf die Bremse zu treten. Wolfgang Schäuble hat in der Tat immer darauf bestanden zu sagen, es kann nicht sein, dass Länder Beschlüsse fassen, Ausgabenbeschlüsse, und sich dann darauf verlassen, dass Steuerzahler anderer Länder die Kosten übernehmen. Ich glaube, diese Linie wird auch die Jamaika-Koalition weiter verfolgen. Da habe ich keinen Zweifel.
    "Ich wäre für etwas mehr Entspanntheit im Umgang mit der AfD"
    Becker: Eins noch. Es war eben auch im Beitrag zu hören: Der Wahlerfolg der AfD, wie sehr beeinflusst der die ökonomische Lage im Land? Es wird ja in Europa und darüber hinaus schon sehr aufmerksam registriert, dass es zu diesem Wahlerfolg der Rechtspopulisten gekommen ist.
    Fuest: Der Einzug der AfD ins Parlament wird die Aufmerksamkeit der internationalen Presse auf die Regionen lenken, in denen die AfD stark ist, also vor allem Ostdeutschland. Und wenn es da zu ausländerfeindlichen oder islamfeindlichen Demonstrationen und solchen Dingen kommt, dann wird das sicherlich den einen oder anderen Investor veranlassen zu überlegen, will ich wirklich da hingehen, meine Mitarbeiter mit, oder investiere ich eher in Westdeutschland. Man sollte das Ganze nicht überziehen. Viel wird ja auch davon abhängen, wie die etablierten Parteien mit der AfD umgehen. Ich wäre für etwas mehr Entspanntheit im Umgang mit der AfD und ich würde sie auch nicht so wichtig nehmen. Wenn man immer stark reagiert auf die Provokationen der AfD – das will ja die AfD auch -, dann hilft man ihr letztlich. Wenn man hingegen sich auf die Sachfragen konzentriert, wird sich schnell rausstellen, zu vielen Sachfragen hat die AfD wenig beizutragen. Und wenn die AfD mal was Interessantes beizutragen hat, dann ist es ja auch schön.
    Becker: Danke! – Der Präsident des ifo-Instituts, Clemens Fuest war das.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.