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Finanz- gegen Wirtschaftsminister

In der portugiesischen Regierung ist Streit ausgebrochen: Finanzminister Vítor Gaspar will mit den noch ausstehenden EU-Strukturfondsmitteln notfalls auch Haushaltslöcher stopfen. Das stößt auf den Widerstand des Wirtschaftsministers, der bisher über die Verwendung der Gelder entschieden hatte.

Von Tilo Wagner |
    "Jeden Tag erleben wir eine neue Episode dieser Tragödie", sagt der Vorsitzende der portugiesischen Linkspartei Francisco Louça. "Aber was wir nicht haben, sind: Wirtschaftswachstum, Investitionen und Arbeitsplätze. Wir erleben ein Chaos in den Zuständigkeiten der Ministerien und es scheint fast so, als ob sich die Regierung mehr um interne Machtspiele kümmert, als um Lösungsansätze."

    Seit über neun Monaten ist die portugiesische Regierung im Amt, jetzt erlebt sie ihre schwerste interne Krise. Es geht – wie könnte es im hoch verschuldeten Portugal anders sein - ums Geld. Dem Land stehen bis zum nächsten Jahr noch zweieinhalb Milliarden Euro aus den EU-Strukturfonds zur Verfügung. Bisher war das Wirtschaftsministerium für die Verteilung der Gelder verantwortlich. Doch Premierminister Pedro Passos Coelho hat nun entschieden, dass das Finanzministerium hier künftig das letzte Wort haben wird.

    Wirtschaftsminister Álvaro Pereira soll daraufhin seinen Rücktritt erwogen haben. In einem dreistündigen Einzelgespräch konnte er offenbar vom Regierungschef umgestimmt werden. Kein Wunder: der Quereinsteiger und Wirtschaftsprofessor Pereira war noch im Juni vergangenen Jahres als portugiesischer "Superminister" vorgestellt worden. Der 39-Jährige soll die Geschäfte von drei früheren Ministerien führen: Arbeit, Wirtschaft und öffentliche Investitionen. Alles nur Schein, sagt der Politologe Pedro Adão e Silva, denn die Kernbefugnisse der drei Ministerien seien systematisch ausgelagert worden:

    "Fast wöchentlich wurden dem Wirtschaftsministerium immer mehr Kompetenzen entzogen. Das neue Arbeitsmarktgesetz wurde über einen unabhängigen Mittelsmann ausgehandelt, die Privatisierungen liegen jetzt in der Hand des ehemaligen IWF-Mitarbeiters António Borges und eine Kommission zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit wird von einem anderen Ministerium geführt. Der jetzige Schritt ist so etwas wie der Todesstoß für den Wirtschaftsminister."

    Die Regierung bemüht sich, den Konflikt kleinzureden. Der Staatsminister im Amt des Premiers, Miguel Relvas, verweist auf die übergreifende Zuständigkeit des Finanzministeriums:

    "Das Wirtschaftsministerium hat zwar die EU-Strukturfondmittel verteilt, aber das Finanzministerium ist zuständig für den Haushalt und muss auf die Einhaltung der Haushaltsziele achten."

    Dass hinter diesem Schritt wieder nur Sparzwänge liegen, ist zu vermuten. Finanzminister Vítor Gaspar bekommt damit ein weiteres Instrument in die Hand, um im Notfall Löcher im Etat zu stopfen. Spanien und Italien drängen mittlerweile auf eine Aufweichung der strikten Defizitvorgaben aus Brüssel, damit die Länder nicht in eine gefährliche Rezessionsfalle geraten. Die portugiesische Regierung hingegen hält aus Prinzip an allen Sparvorgaben fest und will so Vertrauen zurückgewinnen. Ein gefährliches Spiel, sagt Adão e Silva:

    ""Das ist wie im Poker. Die Regierung setzt, zusammen mit der Troika, alles auf eine Karte. Sie fährt die Wirtschaftsleistung zurück, setzt auf die Verarmung des Landes und hängt sich ganz eng an die deutsche Position, um ganz klar nicht als ein zweites Griechenland wahrgenommen zu werden. Das Problem ist: Wenn das schief läuft, hat sie keinen Plan B in der Tasche.""
    Innerhalb der portugiesischen Regierung profitiert vor allem das Finanzministerium von dieser Strategie und reißt immer mehr Macht an sich. Das ist eine Entwicklung, die sich auch in sehr vielen anderen EU-Staaten abzeichnet. Denn der Machtgewinn der europäischen Finanzminister, so Adão e Silva, sei von der EU durchaus gewollt:

    "Die EU-Strategie reduziert die gemeinsame Wirtschaftspolitik auf haushaltspolitische Fragen. Es werden in verschiedenen Ländern Verbündete gesucht, die in den Mitgliedsstaaten zu so etwas wie Sprechern der EU-Haushaltspolitik werden. Und in Portugal kommt hinzu, dass der Finanzminister über ein größeres Fachwissen und mehr intellektuelle Schärfe verfügt als der Regierungschef. Das alles erklärt den Machtgewinn des Finanzministers."