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Flüchtlinge in Deutschland
Bewunderung und Kulturschock

Deutschland ist das Zuhause vieler Flüchtlinge. Für einige erst kürzlich, für andere schon länger. Die meisten müssen sich hier in einem neuen Kulturraum zurechtfinden. Was sie dabei für Erfahrungen gesammelt haben und wie ihr Eindruck von Deutschland und den Deutschen ist, das wollte unsere Autorin herausfinden. "Ich wünsche mir Freiheit" war eine der Antworten.

Von Susanne Grüter | 01.01.2016
    Ein junger Afghane steht auf dem Marktplatz in Schwäbisch Gmünd, auf dem eine beleuchtete Tanne steht.
    Ein junger Afghane steht auf dem Marktplatz in Schwäbisch Gmünd, auf dem eine beleuchtete Tanne steht. (picture alliance / dpa / Christoph Schmidt)
    "Wir wollen Zeit, eure Aufmerksamkeit, also nehmt euch Zeit und werdet aufnahmebereit, und wir betreten Neuland."
    "Ich hatte nie gedacht, dass ich in Deutschland lande. Ich wollte einfach aus Afghanistan mit meiner Familie raus und irgendwo sicher sein. Die Leute, denen ich bis jetzt begegnet bin, sind richtig nett, und ich habe noch nie irgendwelche Leute getroffen, dass ich irgendwie den Eindruck habe, dass ich in falschem Land gelandet bin."
    Zaki Khaliqi, 21 Jahre alt, wohnt in Köln, macht eine Ausbildung zum Mediengestalter im Bereich Grafik, lebt seit vier Jahren in Deutschland.
    Zaki erzählt gemeinsam mit 18 weiteren Flüchtlingen, welche Erfahrungen sie in Deutschland gemacht haben und wie sie uns Deutsche wahrnehmen. Die meisten sind erst einige Wochen und Monate hier, manche schon viele Jahre.
    Was sie erlebt haben und erleben, ist berührend, wundersam, manchmal auch wenig schmeichelhaft für die Deutschen. Ihre Eindrücke offenbaren mitunter tiefe gesellschaftliche Abgründe, aber auch eine bisher ungeahnte Offenheit und viel Engagement. Die Flüchtlinge halten uns den Spiegel vor.
    Mit Familien und vielen Kindern in einem Container
    Sabah Alsabahawy, Händler aus dem Irak, seit drei Monaten in Deutschland, lebt zur Zeit in Bornheim bei Bonn:
    "Ich wollte unbedingt hierher kommen. Ich fühle mich gut. Das einzige - ich wohne in einem Container mit Familien mit vielen Kindern zusammen, und ich bin schon 64, das ist für mich schwierig."
    Farah, 22 Jahre alt, konnte in Syrien gerade noch ihren Bachelor in "Bank- und Finanzwesen" abschließen, seit einem Monat in Deutschland, zur Zeit in Siegen.
    "Als ich ankam, war das wie im Traum, ich wusste nicht, was mich hierhin gebracht hat, ich hatte Angst, jemandem zu nahe zu kommen, ich wusste nicht, wie die Leute auf mich reagieren würden, alles war fremd für mich."
    Ali Ahmad Nouri, 23 Jahre alt, hatte in Afghanistan ein Bekleidungsgeschäft, seit zwei Monaten lebt er mit Frau und Kind in Deutschland, momentan in Siegen:
    "Dass einige afghanische Flüchtlinge wieder zurückgeschickt wurden, habe ich mitbekommen, und dass es jetzt ein sicheres Land sein soll. Manche Asylanträge wurden nicht anerkannt, das beschäftigt mich sehr, und es wäre sehr schlimm, wenn wir zurück müssten."
    Warmherzige und mitfühlende Leute
    Farah: "Ich war mit dem Nerven am Ende, gestresst, stand unter Druck. So habe ich in Syrien nicht gelebt. Alles war anders, unangenehm - wie ich schlafe, mein Bett, der Raum, den ich mit unbekannten Menschen teilen muss, irgendwie alles deprimierend. Aber dann habe ich gemerkt, was für warmherzige Leute sich um mich kümmern. Ich hoffe, dass wir jetzt nicht wieder getrennt werden - es gibt viele mitfühlende Leute hier - bei uns nicht, wo so viele Menschen jeden Tag sterben und es niemanden kümmert. Ich bin so glücklich und hoffe, dass Gott mich mit diesen guten Menschen zusammen sein lässt."
    Maleka, 27 Jahre alt, syrische Apothekerin, wohnt mit ihrer jüngeren Schwester seit zwei Monaten in Bornheim:
    "Unser Vermieter hat uns Handtücher und einen Staubsauger geschenkt - und sogar Gardinen. Wir haben Fenster zur Straße hin. Wir tragen ein Kopftuch, daher hat er die Vorhänge aufgehängt, um uns zu schützen."
    Hussam, 30 Jahre alt, Ingenieur aus Syrien, seit drei Monaten in Bornheim:
    "Was mir auffällt, ist die Disziplin zum Beispiel in der Unterkunft, die Logistik, die Ordnung, die Registrierung, der Transfer, alles wird organisiert, und wenn jemand krank ist, kommt ein Krankenwagen, die Person wird ins Krankenhaus gebracht und versorgt."
    Pünktlichkeit - ein Riesenschock
    Manuel, 27 Jahre alt, vor 12 Jahren als Minderjähriger allein aus Angola geflohen, wohnt in Bonn:
    "Die Pünktlichkeit wird sehr hoch angesehen, und da gibt es auch keine Ausnahme, wo man sich denkt, ok, überall oder in jedem System gibt es doch immer eine Ausnahme, aber das war wirklich schon ein Riesenschock. Wenn es 9.00 Uhr ist, muss es auch genau 9.00 Uhr sein, eher ein paar Minuten früher als ein paar Minuten später."
    "Ich habe gehört, die Leute sind immer pünktlich, aber wenn ich einen Arzttermin haben will, heißt es, kommen Sie in einem Monat oder in zwei Monaten. In Syrien ruft man den Arzt an und kann am nächsten Tag zur Untersuchung. Hier dauert das viel zu lang", sagt Yahya Almahamid, 62 Jahre alt, Pilot beim syrischen Militär, seit elf Monaten in Deutschland, zur Zeit in Bonn.
    Amina, Mitte 40, aus Marokko, seit über 20 Jahren in Deutschland, spricht vier Sprachen, wohnt in Bornheim:
    "Eine Hausfrau, die gar nicht arbeiten geht, die hat einen Kalender, und wenn man sie fragt, könnten wir vielleicht Kaffeetrinken, wir stehen ja schon vor der Tür und plaudern schon seit 20 Minuten, da können wir auch Kaffeetrinken und. Ne, wir gucken erst mal auf den Kalender: Ok, da kann ich nicht, da kann ich nicht, ja, wir können das nächsten Monat, Montag um 15.00 Uhr machen. Und dann findet man, nächsten Monat, eine halbe Stunde Kaffeetrinken. Das war sehr überraschend, spontan geht gar nicht."
    Ali Sos, 31 Jahre alt, Rechtsanwalt aus Damaskus, seit einem Jahr in Köln:
    "Wenn sie von 8.00 Uhr bis 15.00 Uhr oder bis 17.00 Uhr ehrlich arbeiten, alle arbeiten, nicht wie in meiner Heimat, bisschen arbeiten, bisschen reden, bisschen Spaß, ne, hier es gibt Zeit für Arbeit und Zeit für Spaß, das gefällt mir auch."
    Zuviel Papierkram
    Slava, 25 Jahre alt, syrische Kurdin aus Aleppo, seit 17 Monaten in Deutschland, war Friseurin, Mutter von drei Kindern, wohnt in Bonn:
    "Was mir hier richtig auf den Senkel geht, sind die Behördengänge. Egal, was du machst und tust, ob du einen Kindergartenbesuch hast, egal, wohin du gehst, du bekommst nur Unterlagen, Unterlagen, Unterlagen. Immer, immer, immer Papier kommt, das nicht gut."
    Fadi, 35 Jahre alt, syrischer Mathematik-Lehrer, seit 14 Monaten in Bonn:
    "Wenn dein Nachbar dich stört, kannst du die Polizei anrufen. Du hast ein Recht darauf, dass dein Nachbar dich nicht stört, aber bei uns war das schwierig. Hier gibt es mehr Grenzen, Intimsphäre."
    Zaki Khaliqi: "Die sind direkt, die sagen einfach direkt, was sie denken. Wenn du ins Restaurant gehst, dann musst du dein Geld selber zahlen, aber in Afghanistan ist das ganz anders.
    "Das Essen – bisher keine gute Erfahrung - süß-sauer, ich versteh' nicht, ist das jetzt Dessert mit Hühnchen? Ein Kulturschock, niemand hat's gegessen", sagt Maleka.
    "Die sind naturfreundlich, und die lieben auch, in die Natur zu gehen und genießen das Wetter, die Bäume oder die Wildnis", so Zaki Khaliqi.
    Mülleimer im Wald - beindruckend
    "In Deutschland, im Wald, wo niemand ist, finde ich einen Mülleimer, wo die Zigaretten reinkommen, beeindruckend", sagt Shaker Alabeid, 43 Jahre alt, syrischer Arzt, seit 16 Monaten in Bornheim.
    Maleka: "Wenn ich auf der Straße auf Englisch nach dem Weg frage, die Leute verstehen mich, aber antworten auf Deutsch, das ist keine große Hilfe."
    Hussam: "Als ich angefangen habe, Deutsch zu lernen, da habe ich gedacht, oh mein Gott, was habe ich mir angetan."
    Fate, 47 Jahre alt, syrische Kurdin, vor 23 Jahren geflohen, betreibt mit ihrem Mann einen Imbiss in Bornheim:
    "Ja, ja, kütt, ja, so sagt meine Freundin. Ich verstehe sowieso dieses Plattdeutsch nicht, ich habe versucht, zu lernen. Ich mache meine Ohren so richtig auf, trotzdem verstehe ich nicht."
    "Ja, Helene Fischer, super. Helene Fischer."
    Zaki Khaliqi: "Helene Fischer kenne ich, sie singt ganz gut. Ich meine, wenn man typische Kölsch-Musik oder Bayerische Musik hört, dann ist das total komisch für mich. Ich weiß nicht."
    Eyad Al Soulaiman, 21Jahre alt, syrischer Mechatroniker, seit 8 Monaten in Bonn:
    "Ich habe auch andere Lieder gehört, zum Beispiel "es geht ab", aber ich habe auch den Namen vergessen von dem Sänger, es gibt auch zum Beispiel "geh' mal Bier holen", habe ich auch gehört. Also unsere Nachbarn versuchen immer, uns was typisch Deutsches beizubringen, ja, und das denke ich, klappt mit der Zeit."
    Karneval und Halloween - die Deutschen sind verrückt
    "Was ich richtig vorher komisch fand, war das Karneval oder Halloween. Ich dachte erst mal, ja, die Deutschen sind verrückt, also, aber was ich später gedacht habe war, ist egal, ob das komisch oder nicht komisch aussieht, Hauptsache das macht Spaß", sagt Zaki Khaliqi.
    Fate: "Wenn ich etwas mache, ich möchte gern einen Sinn dafür haben, zum Beispiel Silvester, da hat man ein neues Jahr. Weihnachten ist der Jesus geboren, ist überall schön, die Lichter, der Weihnachtsschmuck, Weihnachtsmärkte. Aber Karneval für mich bedeutet nix, bis jetzt habe ich für Karneval keinen Sinn gefunden. Dieses unendliche Alkoholtrinken ohne Ende, ich finde das überhaupt nicht gut."
    "Was einen arabischen Mann schockieren kann - das Thema Homosexuelle und Ehen mit dem gleichen Geschlecht, das gibt es nicht bei uns. Es ist tabu in unserer Gesellschaft, aber in Deutschland kann man das viel sehen", sagt Fadi.
    Eyad Al Soulaiman: "Unser Nachbar sagt, also ich habe fünf Katzen, das reicht, ich brauche keine Kinder, zum Beispiel das würde man bei uns nicht sehen. Also es ist sehr traurig, dass zu sagen, aber manche Tiere in Deutschland leben besser als manche Leute in Syrien."
    "Die Deutschen sprechen mit ihren Kindern als wären sie Erwachsene, sie reden und diskutieren richtig mit ihnen", so Sabah Alsabahawy.
    Sakie Ghasemi, 24 Jahre alt, afghanische Christin, mit Mann und Tochter zur Zeit in Siegen:
    "Ich wünsche mir Freiheit, vor allem die Freiheit als Frau. Ich habe sie in den zwei Monaten, seit ich hier bin, schon so gespürt, dass das große Auswirkungen auf mein Wohlbefinden hat, und ich möchte hierbleiben."
    Respekt gegenüber Frauen
    "In Afghanistan heißt es, wenn Frauen mit ihren Männern irgendwo hingehen, was machst du hier als Frau, nach dem Motto: Wir brauchen dich nicht, und hier es ganz anders. Ich soll überall mit dabei sein, ich werde als erste gefragt und als erste begrüßt, daran merke ich, ich werde respektiert."
    "Ich wünsche mir, dass jede Frau in Afghanistan das erleben kann, was ich hier erlebe."
    Bundeskanzlerin Angela Merkel: "Wir schaffen das. Ich kann das sagen, weil es zur Identität unseres Landes gehört, Großes zu leisten."
    "Natürlich ich finde Frau Merkel sehr, sehr gut. Sie gibt uns Leben", sagt Ali Sos.
    Jeanette Malu, Mitte 40, aus Kinshasa / Kongo, 4 Kinder, wohnt seit 12 Jahren in Bonn:
    "Ich meine, dass Frau Merkel ein Vorbild für die afrikanischen Frauen sein könnte. Sie zeigt, wie man sich als Frau emanzipieren und für sein Land Verantwortung übernehmen kann. Sie macht ihre Sache gut."
    "Ich finde es falsch, dass Frau Merkel die Tür für alle öffnet. Wenn die Türen so weit offen bleiben, dann werden Milliarden Flüchtlinge nach Deutschland kommen", so Shaker Alabeid.
    Jeanette Malu : "Ich sehe, dass die Deutschen jetzt sehr viel für die Flüchtlinge tun, sich um sie kümmern, aber ich bedauere, dass die Schwierigkeiten derjenigen, die schon lange hier sind, in vielen Fragen noch nicht gelöst wurden. Das ist ein großes Problem."
    "Die Afrikaner hat man nicht so gut behandelt"
    "Die Flüchtlinge aus Afrika, die im letzten Jahr übers Meer gekommen sind, wurden in Deutschland gar nicht freundlich aufgenommen, im Gegensatz zu den syrischen Flüchtlingen. Die Afrikaner hat man nicht so gut behandelt."
    "Im letzten Jahr sind zum Beispiel viele Kinder aus Afrika umgekommen bei der Flucht übers Meer. Erst als vor ein paar Monaten ein syrischer Junge ertrunken ist, da zeigten die Deutschen große Anteilnahme. Im Fernsehen hat man damals über die afrikanischen Kinder nichts gesagt."
    Fate: "In unseren Zeiten zum Beispiel, als ich mit meinem Kind auf der Straße gelaufen bin, ich habe viele Male gehört: ‚Scheiß Ausländer', also wir waren nicht so willkommen. Wenn ich jetzt mit den neuen Flüchtlingen rede, sage ich, seid zufrieden und sagt immer, Gott sei Dank, weil ihr habt jetzt großes, großes Glück, in unseren Zeiten wir haben nur Pech gehabt."
    Für neu angekommene Flüchtlinge, die in einer Notunterkunft leben, ist es schwierig, sich über Deutschland zu informieren. Entweder es gibt dort kein Fernsehen oder sie verstehen die Nachrichten nicht.
    Daher nutzen viele das Internet. Sie interessieren sich für deutsche Politik in erster Linie, wenn es um die Themen Flüchtlinge, Integration und Fremdenfeindlichkeit geht. Wer länger hier ist, macht dann seine eigenen Erfahrungen.
    Ali Sos: "Ich habe dieses Wort Pegida gehört, und sie mögen nicht Ausländer, aber in Köln ich habe nicht gehört über dieses Thema."
    Manuel: "Rheinländer so wie hier in Bonn und Köln, sind die Leute ein bisschen offener als woanders. Ich habe auch schon Städte erlebt, da wo man sich wirklich fragt, ok, lieber gucke ich auf mein Handy, googlemap oder so was, als irgendjemanden draußen zu fragen."
    Nicht überall willkommen
    Fate: "Wir waren unterwegs, und dann hat meine Nachbarin gesagt, pass' auf, nicht nach Dresden rein, Du wirst ja nicht willkommen sein. Bei einer Familie haben wir übernachtet, am nächsten Tag haben wir gesehen, die Reifen von meinem Auto, die waren alle kaputt. Ich habe wirklich Angst gehabt - mit schwarzen Haaren nach Dresden fahren. Danach habe ich meine Haare blond gemacht, ich wollte meine Haare nicht mehr schwarz machen."
    Manuel: "Von dem Land, wo ich herkomme, Angola, haben wir natürlich auch Weiße, aber der Schock war meistens, wenn man dann im Bus sitzt, ok, ich bin jetzt der einzige Schwarze hier drin."
    "In der Branche, wo ich jetzt bin als Verkäufer, ist es wirklich ein bisschen schwierig, dass man akzeptiert wird, dass erst mal geguckt wird, ok, kann er überhaupt was, kommt er überhaupt klar hier. Ich persönlich habe die Erfahrung gemacht,auch nach einer abgeschlossenen Ausbildung, dass man auch immer fünfmal mehr an eine Tür klopfen muss, bis diese Tür sich öffnet, bis man eine Chance überhaupt bekommt, sich zu beweisen."
    Amina: "In den kleinen Dörfern gibt es Kreise. Die Mütter, die kennen sich schon aus der Schule, aus der Arbeit, und in diese Kreise als Ausländer rein zu kommen, ist sehr schwer."
    "Diese Mentalität von den Ausländern, davon vielleicht ein bisschen übernehmen, es wird irgendwie – es kütt, ein bisschen Leichtigkeit, weniger arbeiten, mehr leben."
    "Nicht alle Hilfe der Welt ist mit Geld, sondern viele Leute brauchen nur vielleicht Freunde. Wie können sie mit Deutschen sich integrieren, wenn sie Deutsche nicht kennen? Der Kontakt ist am wichtigsten", sagt Eyad Al Soulaiman.