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Raabe-Preis für Petra Morsbach
"Eine Feier des Rechtsstaates"

In ihrem Roman "Justizpalast" gibt die diesjährige Raabe-Preisträgerin Petra Morsbach "einen tiefen Einblick in die schmierige Gierstruktur des gesamten Wirtschafts- und Gesellschaftslebens", sagt Jury-Mitglied Hubert Winkels im Dlf. Der Humor mache "Justizpalast" jedoch zu einem sehr humanen Buch, so Winkels.

Hubert Winkels im Gespräch mit Michael Köhler |
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    Raabe-Preisträgerin 2017: Petra Morsbach (Bogenberger_autorenfotos.com)
    Michael Köhler: Die 61-jährige deutsche Schriftstellerin Petra Morsbach erhält den Wilhelm Raabe-Preis 2017 der Stadt Braunschweig und des Deutschlandfunks. Wenige Wochen vor der Frankfurter Buchmesse erhält die Autorin vom Starnberger See einen der wichtigsten und höchst dotierten Literarturpreise der Republik.
    Damit wird das literarische Schaffen im Geiste Wilhelm Raabes gewürdigt und ihr aktueller zeitgenössischer Roman "Justizpalast" ausgezeichnet. Sie erzählt darin von einer Münchner Richterin, von Verbrechen, Strafe und Gesetz. In den letzten Jahren waren die Preisträger moderne Autoren wie Rainald Goetz, Sibylle Lewitscharoff, Katja Lange Müller, Thomas Hettche oder Clemes Setz.
    Hubert Winkels ist Literaturredakteur im Deutschlandfunk und Jury-Vorsitzender des Raabe-Preises. Herr Winkels, bringen sie uns Petra Morsbach bitte näher, die doch eine literarisch eher Spätberufene ist.
    Hubert Winkels: Na ja, in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit. Ich glaube, so '95, Anfang/Mitte der 90er-Jahre ging es los mit ihren ersten Büchern, die gleich sehr umfangreiche Bücher waren, die auch alle schon gezeigt haben, was sie kann. Sie ist Jahrgang '54, '55. Das heißt, so spätberufen nicht. Aber die Wahrnehmung als wichtige Autorin, wie man so schön sagt im Feuilleton, in der ersten Reihe der deutschen Autoren, die kam relativ spät, was auch seltsam ist, weil doch immer wieder bei jedem Buch viele begeisterte Rezensenten sich geäußert haben. Aber insgesamt gab es kein Petra-Morsbach-Gefühl sozusagen, wie es ein Daniel-Kehlmann-Gefühl oder ein Ingo-Schulze-Gefühl gibt. Das ist immer schon seltsam gewesen, weil sie einfach sehr gute Romane schreibt und die auch eigentlich ein großes Publikum erreichen könnten, weil sie sich immer auf bestimmte Milieus konzentriert, sehr, sehr genaue Porträts, Berufsporträts, Berufsfelder, gesellschaftliche Felder, zum Beispiel den Raum einer Oper ausmisst.
    Köhler: "Opernroman" hieß ein Buch.
    Winkels: Der "Opernroman", oder Geistliche heute, wo sie sich vollkommen in Priester hineindenkt und deren Rolle heute in der Gesellschaft, und das blättert sie von innen auf.
    Köhler: "Gottesdiener" hieß das Buch.
    Winkels: Diese Fähigkeit hat sie von Anfang an und die ist wirklich außergewöhnlich, exorbitant.
    Köhler: Lassen Sie es mich bitte in eine Frage pressen, Hubert Winkels.
    Winkels: Ja.
    "Die Heldin durchläuft fast alle Stationen, die man im Justizwesen einnehmen kann"
    Köhler: In diesen Tagen erscheint ihr neuer Roman "Justizpalast". Sie würdigen immer ausdrücklich ein zeitgenössisches aktuelles Werk, einen Roman. Sie haben das Buch, das darf ich offen sagen, schon begeistert besprochen. Die Autorin schaut einer Münchner Richterin über die Schulter, damit auch der Gesellschaft, den Menschen. Der moderne Staat, sage ich jetzt mal mit etwas aufgeblasenen Backen, hat ja Macht in Recht transformiert. Darum haben wir einen Verfassungsstaat. Wir sprechen beide miteinander in einem Moment, da die Bundesanwaltschaft hohe Strafen im NSU-Prozess fordert. Was ist dieser Roman "Justizpalast", mit dem Sie Petra Morsbach den Raabe-Preis verleihen, eine Feier der Rechtsstaatlichkeit?
    Winkels: Tatsächlich ist das so. Es hört sich ein bisschen seltsam an für einen Roman, wo man bei Romanen davon ausgeht, dass sie irgendwie funktionierende Systeme kritisch betrachten, kritisch aushebeln und so. Aber hier ist es unter dem Strich tatsächlich eine Feier des Rechtsstaates, allerdings natürlich jetzt nicht in einer Form einer Laudatio oder einer Sonntagsrede, sondern dem Ganzen geht, glaube ich, das Kalkül voraus: Wo finde ich besonders viele dramatische Geschichten, die Menschen miteinander verstricken. Und wenn man länger darüber nachdenkt, kommt man eigentlich auf Gerichte, und dann wird man überlegen, Strafgericht, Zivilgerichtsbarkeit. Strafgerichtsbarkeit hat man natürlich in Form der gesamten Krimiliteratur.
    Die Heldin Thirza Zorniger des Romans durchläuft zwar fast alle Stationen, die man im Justizwesen einnehmen kann, Staatsanwältin, Amtsgericht, Landesgericht, Justizministerium, aber der Großteil der Fälle, die erzählt werden, und zwar Dutzende, sind innerhalb der Zivilgerichtsbarkeit, wenn man wirklich detailliert mitkriegt, wie Firmen gegeneinander oder Einzelpersonen gegen Firmen klagen und mit welcher Hinterlist und welchen Tricks und welchen internationalen Verbindungen da gearbeitet wird. Da geht es immer um viel Geld und man kriegt einen tiefen Einblick sozusagen in die schmierige Gierstruktur des gesamten Wirtschafts- und Gesellschaftslebens.
    Die darüber sozusagen befindliche justizförmige Apparatur, die erzählt wird, ist aber eine, die das auseinanderfieselt, neu ordnet, sortiert, zugänglich macht für die Gesetze. Beides erzählt sie, erstens die dramatischen Geschichten selber. Die sind schon mal episodenhaft stark wie kleistsche Anekdoten sozusagen. Und dann kommt der Justizapparat dazu und dazu kommt die Person Thirza Zorniger, deren Leben, deren privates Leben wir nach und nach, aber langsam im Roman eigentlich erfahren, und dann merken wir auch schon die Zutat dieser individuellen Menschlichkeit ihrer Person zu den Entscheidungen. Denn es bleibt quasi immer ein Rest, etwas was nicht aufgeht in der Anwendung der Rechtsnorm auf den Fall. Da kommt der Mensch ins Spiel und da wird es noch stärker romanförmig.
    "Menschenfreundlicher Humor"
    Köhler: Hubert Winkels, Sie sagen dramatische Geschichten. Ich greife das gerne auf. Ihr Markenzeichen ist die Einführung in fremde Schicksale, Lebensläufe. Sie haben es schon geschildert. Ein Landpfarrer war es in "Gottesdiener", ein gealterter DDR-Dichter in "Dichterliebe" und jetzt "Justizpalast". In einer Gerichtskomödie – Sie haben den Namen Kleist schon fallen lassen – von Heinrich von Kleist, dem berühmten zerbrochenen Krug, heißt es, zum Straucheln braucht’s doch nichts als Füße. Wie geht Petra Morsbach vor? Sammelt sie gewissermaßen dieses Straucheln literarisch, diese Stürze? Wie schreibt sie?
    Winkels: Wie gesagt, es sind meistens Zivilverfahren, die sie beschreibt, und dann blättert sie im Einzelfall wirklich auf, worum es geht, richtig mit Zahlen, mit der Chronologie der Ereignisse. Und was dann trocken sachlich aktenfresserisch beginnt, wird nach und nach lebendig. Es kommen Namen dazu, es kommen Personen dazu und am Ende als Rahmen der ganzen Geschichte das Leben von Thirza Zorniger, deren Input in die Gesetzesanwendung eigentlich immer deutlicher sichtbar wird. Da ist ein gewisser menschenfreundlicher Humor da. Sie entwickelt im Laufe ihres Lebens eine gewisse gelassene Distanz zu den Zufällen und Härten des Daseins und des wirtschaftlichen Daseins und mit Nachsicht urteilt sie über ihre Zeitgenossen, und das macht dieses Buch zu einem sehr humanen Buch, obwohl es eigentlich etwas im engeren Sinne Inhumanes beschreibt, nämlich die Apparatur der Justiz bei voller Arbeit.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.