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Fluggastdatenspeicherung
"Das ist eine breitflächige Massenüberwachung"

Der grüne Europaabgeordnete und Datenschutzbeauftragte Jan Philipp Albrecht hält die Speicherung von Fluggastdaten in Europa nicht für die richtige Politik gegen den Terror. Die Speicherung werde nicht für mehr Sicherheit, sondern eher für weniger sorgen, sagte Albrecht im DLF. Die neue europäische Datenschutzverordnung hält er jedoch insgesamt für einen Erfolg.

14.04.2016
    Der Grünen-Europaabgeordnete Jan Philipp Albrecht
    Der Grünen-Europaabgeordnete Jan Philipp Albrecht. (picture alliance/dpa)
    Christiane Kaess: Wir haben ihn gerade schon im Beitrag kurz im O-Ton gehört, Jan Philipp Albrecht von den Grünen. Ich habe vor der Sendung mit ihm gesprochen. Er ist im Europäischen Parlament als Berichterstatter für die neue EU-Datenschutzverordnung an dieser entscheidend beteiligt gewesen. Die neue EU-Datenschutzverordnung auf der einen Seite und das Speichern der Fluggastdaten auf der anderen, ich habe ihn zuerst gefragt, ob das heute ein guter oder ein schlechter Tag für den europäischen Datenschutz war.
    Jan Philipp Albrecht: Zunächst einmal ist es ein wirklich guter, denn die Datenschutzverordnung ist ein Riesenprojekt. Wir gehen da sozusagen von 28 unterschiedlichen Gesetzen in der EU auf eine EU-Gesetzgebung, die dann für alle Unternehmen, auch für viele Behörden und natürlich für alle Verbraucher gelten wird in diesem Riesenbinnenmarkt der Europäischen Union. Das ist eine Revolution, wenn man so will, und zwar zu Gunsten gerade auch der Verbraucher, aber auch der europäischen Unternehmen.
    Die Fluggastdatenspeicherung, die man versucht, da jetzt direkt mitunterzujubeln, die ist letztendlich eine kleinere, aber meines Erachtens deutlich schlechtere Maßnahme, die man jetzt zur Terrorabwehr nachschieben möchte.
    "Gegen alle Unternehmen das gleiche Gesetz heranziehen"
    Kaess: Schauen wir auf die EU-Datenschutzverordnung erst einmal noch etwas genauer. Was konkret ändert sich für den Verbraucher?
    Albrecht: Für den Verbraucher ändert sich wie gesagt vor allen Dingen eines: In Zukunft werde ich gegenüber allen Unternehmen das gleiche Gesetz heranziehen können, um meine Rechte einzufordern, egal ob das nun Google oder Facebook ist, die über Irland kommen, oder ob das Amazon ist, die sich in Luxemburg niedergelassen haben. Es gilt für alle das gleiche Recht. Selbst für diejenigen Unternehmen, die gar nicht in Europa sitzen, sondern nur in den USA zum Beispiel ihren Sitz haben, wird es diese Regeln durchsetzbar geben und die werden dann auch mit scharfen Sanktionen europaweit durchgesetzt.
    Kaess: Wenn wir das mal vergleichen mit der jetzigen Situation, was konnte denn "Schlimmes" passieren in der jetzigen Situation für den Verbraucher?
    Albrecht: Wir haben jetzt die Situation, dass die Regeln der 28 EU-Länder eigentlich umgangen werden können, gerade durch große Internet-Unternehmen. Die können sich quasi die ihnen am besten gesinnten Regeln aussuchen. Und in vielen Ländern sind die Regeln, die gemeinsam in Europa, auch so umgesetzt worden, dass die Rechte der Verbraucher eigentlich ins Leere greifen. Das ändert sich mit dieser Verordnung eindeutig.
    Das Löschen von Daten bei Unternehmen wird einfacher
    Kaess: Können Sie ein Beispiel nennen, was für den Verbraucher da wirklich ein Nachteil gewesen ist bis jetzt?
    Albrecht: Wir haben es heute tatsächlich, dass das Löschen zum Beispiel der Daten bei Unternehmen in einigen Ländern sehr, sehr schwierig ist. Da muss man nachweisen, dass einem da ein Nachteil entsteht. Oder häufig wird einem gar nicht gesagt, welche Daten man hat über diese Person. Man weiß gar nicht, wie kann ich mich da eigentlich wehren. Das wird sich mit dieser Verordnung ändern, weil auch mehr Transparenz geschaffen wird und ich mehr Auskunft darüber bekomme, was mit meinen Daten passiert.
    Kaess: Welche Garantie hat der Verbraucher? Wer überwacht das Ganze?
    Albrecht: Es wird in Zukunft sehr viel stärker agierende Datenschutzbehörden geben. Wir haben in Deutschland da ja schon relativ starke. Aber auch in den anderen Ländern der EU müssen die in Zukunft viel schärfer agieren und vor allen Dingen gemeinsam in Europa. Das ist neu, dass die Datenschutzbehörden zusammenarbeiten müssen europaweit, um dieses Gesetz auch gemeinsam durchzusetzen.
    "Es gibt jetzt einen europäischen Datenschutzausschuss"
    Kaess: Wie schwierig wird dieses gemeinsame Agieren werden?
    Albrecht: Natürlich ist es eine Herausforderung, bei 28 Ländern ein einheitliches Vorgehen und auch eine einheitliche Interpretation eines solchen Rechts und die Durchsetzung auch eines solchen Rechts zu erreichen. Aber dafür gibt es jetzt einen europäischen Datenschutzausschuss. Das heißt, es wird institutionalisiert. Und wir sehen auch heute schon, dass da eigentlich schon sehr viel zusammengearbeitet wird. Das heißt, ich gehe schon davon aus, dass wir in zwei Jahren damit rechnen können, dass der Datenschutz überall in Europa gleichermaßen durchgesetzt wird.
    Kaess: Oft ist es ja so, Herr Albrecht, dass bei internationalen Anpassungen es letztendlich dann dazu kommt, dass man eine Einigung auf den kleinsten gemeinsamen Nenner hat. Hätte man vielleicht mit nationalen Lösungen in gewissen Bereichen doch auch weitergehen können?
    Albrecht: Es ist natürlich so, dass man sich immer vorstellen könnte, auch über den Standard hinauszugehen, auf den man sich gemeinsam in Europa einigt. Aber die Datenschutzverordnung ist jetzt tatsächlich auf einem Niveau, auf einem sehr hohen Niveau vereinbart worden, das mit dem deutschen Standard vergleichbar ist, und da können wir schon sehr froh sein, wenn das dann einheitlich in ganz Europa gilt und nicht mehr unterwandert werden kann. Aber das heißt natürlich auch für die Unternehmen, die Rechtssicherheit wollen, dass wir in Zukunft auch nicht mehr mit 28 Standards rechnen möchten und deswegen auch nicht mehr darüber hinausgehen möchten.
    "Ein Riesenvorteil für die europäische IT-Wirtschaft"
    Kaess: Jetzt haben Sie schon gesagt, die Unternehmen müssen sich unterm Strich an höhere Standards halten. Daran gibt es ja auch Kritik von deren Seite und der deutsche Digitalverband Bitkom, der warnt schon vor unnötiger Bürokratie. Wie will man dem denn entgegenwirken?
    Albrecht: Ich glaube schon, dass es eigentlich genau das Gegenteil ist, nämlich dass diese Datenschutzverordnung ein Riesenvorteil für gerade die europäische IT-Wirtschaft ist, denn wir schaffen einen fairen Wettbewerb auf einem gemeinsamen einheitlichen digitalen Binnenmarkt, der gerade den europäischen Unternehmen zugutekommt, denn auch die Unternehmen zum Beispiel aus den USA müssen sich jetzt an die gleichen Standards hier halten und können sich darum nicht drücken.
    "Die meisten Täter der letzten Anschläge waren bekannte Täter"
    Kaess: Dann schauen wir zum Schluss noch kurz auf den Punkt, das Speichern von Fluggastdaten, auf das die europäischen Fluggesellschaften verpflichtet werden, ihre Daten weiterzugeben an die EU-Länder. In Zeiten des Terrors, muss man nicht unterm Strich sagen: die beste Methode, um Muster zu erkennen und mögliche Täter aufzudecken?
    Albrecht: Nein. Die meisten Täter, eigentlich fast alle der letzten Anschläge in Brüssel, auch in Paris, auch in Kopenhagen waren bekannte Täter. Das ist jetzt klar. Das heißt, der Fokus muss definitiv darauf liegen, dass man die vorhandenen Informationen der Ermittler besser nutzt zu konkreten gezielten Überwachungsmaßnahmen. Das was hier verabschiedet wird, ist eine breitflächige Massenüberwachung, die ganz viele Daten über sehr unverdächtige und irrelevante Personen sammelt für viel, viel Geld. Das ist die falsche Politik und die wird meines Erachtens nicht für mehr Sicherheit, sondern eher für weniger sorgen, weil damit weniger Polizisten eingestellt werden können und wir weniger Koordination in Europa betreiben.
    Kaess: Die Meinung von Jan Philipp Albrecht von den Grünen. Er ist Mitglied im Europäischen Parlament.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.