Samstag, 04. Mai 2024

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Frangi rechnet nicht mit Machtkampf bei den Palästinensern

Jürgen Zurheide: Die Nachrichtenagenturen melden, dass zwei jordanische Hubschrauber in Ramallah eingetroffen sind, sie sollen Jassir Arafat an Bord nehmen, er wird dann nach Amman fliegen, um von dort nach Paris weiter zu reisen. Wir wollen darüber reden, wie steht es um Jassir Arafat, wie geht es weiter in den palästinensischen Gebieten? Ich begrüße ganz herzlich am Telefon Abdallah Frangi, Mitglied der palästinensischen Generaldirektion in Deutschland. Schönen Guten Morgen Herr Frangi.

Moderation: Jürgen Zurheide | 29.10.2004
    Abdallah Frangi: Guten Morgen.

    Zurheide: Wie geht es Jassir Arafat? Was haben Sie für Meldungen? Kann man das bestätigen, was wir hören, dass es Sorgen um das Blutbild gibt? Was können Sie beitragen?

    Frangi: Ich glaube, es geht jetzt darum, dass man sein Blut untersucht. Denn man weiß nicht genau, was der Grund dieser Erkrankung war und diese Mittel haben wir in Ramallah nicht. Man konnte das auch nicht in Amman machen. Aus diesem Grund sind wir dankbar, dass er nach Paris fliegen durfte, und dass die Israelis das zugelassen haben und ihm gewährt, dass er zurückkommen kann, wenn er wieder gesund ist.

    Zurheide: Das ist eine ganz wichtige Voraussetzung gewesen, dass die israelische Regierung zugesagt hat, er kann zurückkehren. Glauben Sie, dass die Israelis ihr Wort halten werden?

    Frangi: Ich glaube, das war ein Versprechen vor aller Welt, und das nicht nur so gemacht worden ist. Das war nicht nur ein Versprechen, das waren Konsultationen zwischen Israel und allen arabischen Staaten, die betroffen sind, wie zum Beispiel Ägypten, Jordanien, aber auch die USA war involviert, Frankreich hat auch eine große Rolle dabei gespielt, und ich glaube die Franzosen haben auch gezeigt, dass sie im Nahen Osten jetzt sehr aktiv sind. Aus diesem Grund kann ich mir vorstellen, dass Frankreich später mal eine sehr gute Rolle spielen wird in der Beschwichtigung dieses Konfliktes.

    Zurheide: Jetzt lassen Sie uns auf die Machtsituation innerhalb der palästinensischen Regierung zu sprechen kommen, denn Arafat verlässt das Land, es gibt klare Regeln, die Verfassung sieht das vor. Der Parlamentspräsident übernimmt formal die Macht. Ist das damit auch eine reale Macht aus Ihrer Sicht?

    Frangi: Ich glaube, so lange Arafat lebt, wird es keinen Machtkampf geben in dem Sinne. Natürlich gibt es hier und dort Rivalitäten, es gibt hier und dort gewisse Ziele, die angestrebt werden von bestimmten Politikern. Aber im Großen und Ganzen bleibt es so im Rahmen, dass keine Gefährdung der Entwicklung aus diesem Grunde stattfinden wird.

    Zurheide: Jetzt haben Sie gerade gesagt, so lange Arafat lebt, das ist das eine. Aber es könnte durchaus sein, dass sich die Krankheit länger hinzieht und dass er nicht mehr aktiv eingreifen kann. Dann stellt sich doch die Frage, wer übernimmt die Macht?

    Frangi: Hypothetisch kann man auch keine Politik machen, und auf die hypothetische Frage kann man keine Antwort für die Zukunft geben. Aber trotzdem wage ich es zu sagen, dass erstens Arafat mit großer Wahrscheinlichkeit bald zurückkommen wird, weil diese Krankheit nicht so ist, dass man sagen kann, er würde dadurch für lange Zeit ausgeschaltet oder behindert. Zweitens haben wir auch eine Regierung, wir haben einen Ministerpräsidenten, wir haben einen Außenminister, wir haben 129 Botschaften in der Welt. Das heißt, der Staatsapparat wird weiterhin laufen, aber der Kontakt zu Arafat wird nicht unterbrochen werden. Ich glaube, so wie ich Arafat kenne, ist er ein sehr zäher Mann und man hat es ja auch in letzter Zeit gesehen - ich habe das immer wieder betont, sehr oft wollte man das nicht wahrhaben. Ich habe auch vor einem Jahr erlebt, wie die Krankheit vor einem Jahr kam, aber er konnte das in einer Woche überwinden. Jetzt sind die medizinischen Voraussetzungen viel besser als in Ramallah. Ich nehme sehr stark an, dass er nicht für lange Zeit abwesend sein wird.

    Zurheide: Auf der anderen Seite: Das wird dann natürlich möglicherweise - Sie haben es angesprochen - diejenigen, die um die Macht rangeln, nennen wir es vorsichtig so - vielleicht noch mal zusammen zu führen. Helfen Sie uns, Herr Ministerpräsident Kurei wird immer als eine der starken Figuren genannt aber dann taucht auch immer sein Vorgänger Abbas auf. Es heißt, die beiden haben sich geeinigt. Haben Sie Indizien dafür, dass sie nicht gegeneinander laufen werden?

    Frangi: Innerhalb der al-Fatah sind beide Mitglieder im Zentralkomitee, beide kennen wir seit vielen Jahren, beide haben eine brüderliche Beziehung. Ich glaube, diese Beziehung ist viel stärker als ein Machtkampf. Es geht aber nicht nur um die zwei Personen. Es geht um viele junge Leute, die in der Westbank und im Gaza-Streifen den Glauben haben, dass sie berechtigt sind, in die Führungsschicht Nummer Eins reinzukommen. Und hier liegt eigentlich die stärkste Auseinandersetzung. Aber wir haben einen Rahmen, in dem die Leute sich auf demokratische Art und Weise beweisen könnten und dann haben sie eine Chance, dass sie nach oben kommen in die erste Führungsschicht von al-Fatah.

    Zurheide: Der ein oder andere Beobachter sagt möglicherweise Unruhen voraus. Aus allem, was Sie gerade schildern höre ich, dass Sie die Sorge nicht teilen.

    Frangi: Die Sorge teile ich, aber die Art und Weise, wie sie verbreitet wird, mit einer gewissen Übertreibung, das teile ich nicht.

    Zurheide: Welche Chancen gibt es denn für den Friedensprozess im Moment? Wenn Arafat weg ist, kann man sich vorstellen, dass es trotzdem Bewegungen gibt? Die Israelis haben einseitig den Rückzug aus Gaza angekündigt. Welche Prognose wagen Sie da?

    Frangi: Ich wage zu sagen, dass wir jetzt eine bessere Chance haben. Jetzt bald werden die amerikanischen Wahlen entschieden. Egal wer kommt, der Nahe Osten wird nie zur Ruhe kommen, auch im Irak, auch in Afghanistan, wenn das Palästina-Problem und der Konflikt Israel- Palästina nicht gelöst worden ist. Und daher glaube ich, dass sich die neue amerikanische Administration damit befassen und beschäftigen wird. Auch innerhalb der europäischen Staaten ist es eindeutig, dass die Gefahr, die vom Nahen Osten und von diesem Konflikt Israel-Palästina kommt, sie nicht verschont. Das heißt, sie sind auch zwangsweise und im eigenen Interesse mehr aufgefordert als bis dahin, etwas zu tun und nicht so neutral von weitem hinzugucken, wie die Winde sich entwickeln und sich dann einzuschalten. Ich habe das Gefühl, dass jetzt eine Chance vorhanden ist. Man hat durch die Krankheit von Präsident Arafat gesehen, wie gefährlich es sein kann, wenn man diesen Konflikt vor sich her schiebt.

    Zurheide: Das heißt aber auch möglicherweise eine Lösung mit Scharon, der ja bisher als einer der Hardliner und Schwierigen auf der anderen Seite galt?

    Frangi: Wissen Sie, wenn Scharon zum Beispiel jetzt den einseitigen Rückzug vom Gaza-Streifen fortführt und wenn er auch weiterhin mit uns Palästinensern verhandelt, dann besteht eine reelle Chance, dass wir auch mit Scharon zurecht kommen können. Aber die Befürchtung wiederum auf der anderen Seite ist vorhanden, dass Scharon diesen Plan vorhat: Erst mal Rückzug vom Gaza-Streifen und dann lange Zeit alles einfrieren in der Westbank und warten, bis mehr Siedlungen gebaut worden sind, bis mehr Schwierigkeiten auftauchen, und dann zu sagen: Tut mir leid, wir haben das mit Mühe und Not im Gaza-Streifen geschafft, und jetzt können wir nicht mehr machen. Ihr sollt euch begnügen mit dem Gaza-Streifen. In diesem Fall werden wir keinen richtigen Frieden haben. Ein richtiger Friede, den wir alle anstreben liegt darin, dass wir einen Palästinenserstaat neben Israel haben und einen Palästinenserstaat, der Westbank und Gaza-Streifen mit einem Korridor, der sie verbindet, umfasst. Dann besteht eine tatsächliche Chance, dass endlich mal Ruhe in den Nahen Osten und Ruhe, die zu einem Frieden führen kann, kommen könnte.