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"Für die Syrer ein akzeptabler Schritt"

Der Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik, Volker Perthes, hat die am Rande der Mittelmeerunion geplante Aufnahme von diplomatischen Beziehungen zwischen dem Libanon und Syrien als gewaltigen Schritt nach vorne bezeichnet. Dies und die Friedensverhandlungen mit Israel zeigten, "dass Syrien seine geopolitische Rolle im Nahen Osten rejustieren will", so Perthes.

Moderation: Christiane Kaess | 14.07.2008
    Christiane Kaess: Viele Politiker, Beobachter und Kommentatoren geben sich optimistisch nach der Gründung der Mittelmeerunion, was deren Einfluss auf einen Frieden im Nahen Osten betrifft. Vom Meilenstein in der chaotischen Geschichte des Nahen Ostens ist da die Rede. Im Mittelpunkt steht die Rolle des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad, der auf der einen Seite die Anerkennung der Unabhängigkeit des Libanon andeutet und von einem Friedensabkommen mit Israel in einer Frist von sechs Monaten bis zu zwei Jahren spricht, und auf der anderen Seite warnt er, ein Militärschlag gegen den Iran wegen dessen Nuklearprogramms würde schwere Konsequenzen für die USA und Israel nach sich ziehen. Wie ist der vermeintliche Erfolg des Mittelmeer-Gipfels einzuordnen? - Am Telefon ist jetzt Volker Perthes, Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik. Guten Tag, Herr Perthes.

    Volker Perthes: Schönen guten Tag.

    Kaess: Herr Perthes, Eckart von Klaeden, der außenpolitische Sprecher der Unionsbundestagsfraktion, hat heute Morgen im Deutschlandfunk gesagt, der Prozess zwischen Syrien und Libanon sei eine bemerkenswerte Veränderung, und er hat von einem großen Erfolg gesprochen. Sehen Sie das genauso?

    Perthes: Ja, das ist tatsächlich so, wenn man sich vor allem überlegt, dass das ja nicht Baschar al-Assad oder das Assad-Regime der beiden Assads, wenn Sie so wollen, gewesen ist - also Baschar und sein Vater Hafiz al-Assad -, die irgendwann mal die politischen, die diplomatischen Beziehungen zum Libanon abgebrochen hätten, sondern dass es seit der Staatsgründung beider Staaten - seit der Gründung des Libanon im Jahre 1943 und Syriens im Jahre 1946 - noch nie diplomatische Beziehungen zwischen den beiden Nachbarn gegeben hat. Da wäre tatsächlich die Einrichtung von Botschaften in Beirut und Damaskus ein ganz gewaltiger Schritt nach vorne.

    Kaess: Wie ernst ist es denn den Syrern mit der Anerkennung der Unabhängigkeit Libanons?

    Perthes: Das wird sich in den nächsten Wochen und Monaten zeigen, denke ich. Ich glaube es wird letztlich für die Syrer ein akzeptabler Schritt sein, den sie gehen werden, wenn es gewissermaßen Teil eines regionalen Deals wird.

    Kaess: Was könnte das für ein Deal sein?

    Perthes: Es passt in die Verhandlungen hinein, die Syrien mit Israel führt. Auch wenn diese sich noch etwas ziehen werden, bis sie dann möglicherweise unter einer neuen amerikanischen Administration zum Abschluss gebracht werden, zeigt das doch, dass Syrien seine geopolitische Rolle im Nahen Osten rejustieren will, wenn man das so sagen will. Dazu gehört natürlich auch eine Wiederaufnahme vernünftiger Beziehungen zu den europäischen Staaten. Das ist ja nun ganz demonstrativ begangen worden an diesem Wochenende. Dazu würde auch gehören eine Ratifizierung oder zumindest ein Beginn des Ratifizierungsprozesses für das EU-Syrien-Assoziationsabkommen, was seit vier Jahren fertig verhandelt ist, aber auf Halde liegt.

    Kaess: Das hatte der französische Präsident Nicolas Sarkozy in Aussicht gestellt: einen raschen Abschluss des Assoziierungsabkommens mit der EU. Das hieße konkret bessere Handelsbeziehungen zur EU. Das Abkommen ist wegen Syriens Beziehungen zum Iran und seiner unklaren Beziehungen zu Terrororganisationen jahrelang ausgesetzt gewesen. Ist das jetzt übereilt, das so rasch wieder anzubieten?

    Perthes: Es ist übrigens nicht wegen der Beziehungen Syriens zum Iran außer Kraft gesetzt oder nicht ratifiziert worden, um es richtiger zu sagen, sondern im Wesentlichen wegen der syrischen Politik im Libanon. Das Abkommen ist fertig verhandelt gewesen und dann begannen halt die Auseinandersetzungen um die syrische Rolle im Libanon. Dann kam es zur Ermordung des ehemaligen libanesischen Premierministers Rafik Hariri und dann hat die EU gesagt, wir legen dies auf Halde und warten, ob die syrische Politik sich grundsätzlich ändert.

    Kaess: Aber dennoch die Frage: Nimmt man da zu schnell Druck von Syrien weg?

    Perthes: Ich glaube der Druck ist ja noch da und hat offensichtlich dazu geführt, dass Syrien sich bewegt hat. Wir werden auch, wenn wir von Syrien wollen, dass es eine konstruktive Rolle in der Region spielt, natürlich fragen müssen, was die eigenen legitimen Interessen Syriens sind. Die liegen in erster Linie sicherlich im Abschluss des Friedensprozesses mit Israel, in der Rückgewinnung des noch israelisch besetzten Golan, und man wird Damaskus zu verstehen geben müssen - und ich bin sicher, dass das Sarkozy genauso getan hat wie auch Angela Merkel, als sie am Sonntag mit Baschar al-Assad gesprochen hat -, dass man hierfür in Damaskus eine Unterstützung erwarten kann, wenn Syrien sich gleichzeitig dem Libanon gegenüber tatsächlich konstruktiv verhält, aufhört, sich in die inneren Angelegenheiten des Libanon einzumischen und die innere Lage im Libanon zu unterminieren, was es in den letzten Jahren ganz eindeutig getan hat.

    Kaess: Eine wichtige Rolle spielt auch das Verhältnis zum Iran. Können Sie erkennen, dass Syrien auf Distanz zum Iran geht?

    Perthes: Nein, ich würde das so noch nicht sagen. Was wir haben ist eine Auseinanderdifferenzierung der Interessen von Iran und Syrien in Bezug auf das israelisch-arabische Konfliktfeld. Solange es in den letzten Jahren keinen israelisch-syrischen Friedensprozess gab, waren die Interessen von Teheran und Damaskus hier identisch - auch in Bezug auf die Hisbollah als eine Organisation, die zumindest den Israelis immer mehr oder weniger heftige Nadelstiche versetzen konnte. Wenn es weiter einen glaubhaften Friedensprozess zwischen Syrien und Israel gibt, wenn es zu einem Abschluss dieses Friedensprozesses kommt, dann werden die Interessen von Teheran und Damaskus hier auseinandergehen. Man wird sich auch unterschiedlich verhalten gegenüber der Hamas und der palästinensischen Autorität, so dass man gar nicht eine Vorbedingung stellen muss und sagen müsste, Syrien sollte seine Interessen oder seine Beziehungen zu dem Iran lockern, sondern eigentlich darauf vertrauen kann, dass wenn der Friedensprozess zwischen Syrien und Israel vorwärts geht automatisch die Interessen von Syrien und Iran ein Stück weit auseinandergehen. Das heißt ja nicht, dass es nicht weiter Handelsbeziehungen zwischen den beiden Staaten gibt.

    Kaess: Aber, Herr Perthes, wie ist das einzuordnen, dass Assad gerade heute, einen Tag nach dem Gipfel, warnt, dass ein Militärschlag gegen den Iran wegen des Nuklearprogramms schwere Konsequenzen für die USA und Israel nach sich ziehen würde?

    Perthes: Selbstverständlich ist es so, dass Iran und Syrien eine lang anhaltende, sehr enge politische Beziehung haben und die aufrecht erhalten werden. Selbstverständlich ist es so, dass Baschar al-Assad wie übrigens auch eine ganze Reihe von anderen Führern in der Region große Sorge haben, was eine solche militärische Auseinandersetzung zwischen Israel und Iran oder den USA und Iran für die regionale Stabilität bedeuten würde. Das ist im Übrigen etwas, was, glaube ich, sehr viele Europäer mit Baschar al-Assad teilen, dass man sagt, eine solche militärische Auseinandersetzung würde nicht nur die diplomatischen Bemühungen der letzten Jahre zunichte machen, sondern könnte die Region in ein Chaos stürzen, was wir auch nach dem Irak-Krieg noch nicht erlebt haben.

    Kaess: Schauen wir zum Schluss noch kurz auf die Rolle Europas. Politiker sprechen von einer historischen Chance für Europa, sich mehr im Nahen Osten zu engagieren, denn die künftige US-Administration werde in den kommenden Monaten noch nicht voll arbeitsfähig sein. Ist das eine historische Chance und ist das eine Verantwortung, die Europa überhaupt tragen kann?

    Perthes: Ich glaube, es ist eine notwendige Verpflichtung für Europa, bereit zu stehen in den nächsten Monaten, also nach den US-Wahlen und bis zu dem Zeitpunkt, wo eine neue US-Administration dann tatsächlich außenpolitisch voll handlungsfähig ist, und zum Beispiel dafür zu sorgen, dass der ja noch sehr fragile israelisch-palästinensische Friedensprozess nicht einfach abbricht, weil in Washington kein Patron mehr da ist, der sich darum kümmert. Hier müssten die Europäer einsteigen. Das wäre ganz notwendig. Bei den israelisch-syrischen Verhandlungen ist das weniger so. Darum kümmert sich ja die Türkei, und sie tut das ganz gut. Europäische Staaten waren gefragt worden, ob sie diese Rolle übernehmen wollten, wollten das aber nicht. Insofern macht die Türkei es und wird auch sicherlich versuchen, den Prozess so lange zu ziehen, bis sich dann eine neue US-Administration sozusagen um das Endspiel kümmern kann.

    Kaess: Und Sie gehen davon aus, dass ein europäisches Engagement in der Region auch gewünscht ist?

    Perthes: Das ist sehr deutlich gewünscht. Wir sehen, dass dort, wo wir eine Rolle spielen - ob das jetzt nun auf sehr kleiner, humanitärer Ebene ist wie beim Gefangenenaustausch zwischen Libanon und Israel -, dass dort die europäische Rolle anerkannt wird, dass die europäische Rolle anerkannt wird, wenn es etwa um das - wir haben das erwähnt - Assoziationsabkommen zwischen EU und Syrien geht, und eigentlich wünscht man sich auch eine größere politische Rolle der Europäer - nicht immer aus den gleichen Gründen, wie wir uns das wünschen, sondern eher, weil in der Region dann auch der Wunsch ist, dass wir die USA ein bisschen ausbalancieren. Unser Interesse ist eher, dass wir dort komplementär mit den USA arbeiten.

    Kaess: Volker Perthes, Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik. Vielen Dank für das Gespräch.