Dienstag, 19. März 2024

Archiv

Fußball-WM in Russland
Nach dem Giftanschlag in Salisbury: Boykott ist keine Lösung

Es ist nicht bewiesen, dass Russland hinter dem Anschlag auf den Doppelagenten Sergej Skripal und seine Tochter in Salisbury steckt. Aber es gibt schwerwiegende Indizien. Nun ist die Diskussion um einen WM-Boykott wieder entfacht.

Ein Kommentar von Gesine Dornblüth | 17.03.2018
    Soldaten in Schutzanzügen während der Ermittlungen zur Vergiftung des Ex-Doppelagent Skripal und dessen Tochter.
    Soldaten in Schutzanzügen während der Ermittlungen zu Skripals Vergiftung. (dpa-Bildfunk / PA Wire / Andrew Matthews)
    Es ist gut, dass in Europa nach dem Giftanschlag in Salisbury über Konsequenzen gegenüber Russland nachgedacht wird. Für einen Boykott der Fußball-WM gibt es gute Argumente; die besseren sprechen dagegen.
    Erstens:
    Ein Boykott der WM schadet der russischen Machtelite nicht wirklich.
    In Russland herrscht eine korrupte, kleptokratische Clique von Putin-Freunden. Für sie war und ist die Fußball-WM, ebenso wie schon die Olympischen Spiele in Sotschi, vor allem ein Anlass, sich weiter zu bereichern. Diese Leute erhalten vor Großveranstaltungen lukrative Staatsaufträge. Die WM-Stadien sind mittlerweile gebaut, die Schmiergelder einkassiert. Die Mächtigen haben ihre Schäfchen längst im Trockenen. Das Turnier selbst ist für sie nur ein unterhaltsames Finale, die Feier eines weiteren guten Geschäfts auf Kosten des Sports.
    Zweitens:
    Im Westen hat Wladimir Putin seine Reputation ohnehin längst verspielt. Ein paar Fotos mit Staats- und Regierungschefs am Rande einer Fußball-WM werden sein Image international nicht aufbessern.
    Drittens:
    Den meisten Russen ist Fußball egal. Sie machen ihre Zustimmung für Putin nicht von einer Fußball-WM abhängig.
    Viertens:
    Putins Macht beruht auf dem Mythos von Russland als einem Opfer, das vom Ausland bedroht sei. Das klein gehalten werden solle. Ein Boykott würde diese Mär von Russland als Ziel von Neid und Missgunst der anderen nur befördern. Russlands Außenminister Sergej Lawrow hat da schon mal vorgesorgt. Nach dem Anschlag im britischen Salisbury behauptete er, diejenigen, die Russland bedrängten, würden nur nach neuen Anlässen suchen, die Ausrichtung der Fußball-WM zu erschweren. Das, so Lawrow, wüssten "alle". Das war nicht ungeschickt. Ein Boykott würde Lawrow bestätigen, würde die Wagenburgmentalität in Russland stärken und letztlich die Macht der Herrschenden festigen. Konfrontation nützt dem Regime um Putin.
    Fünftens:
    Die Fußball-WM ist eine der wenigen Gelegenheiten, Menschen zusammenzubringen. Das klingt wie ein Werbeslogan der FIFA. Es wird deshalb nicht weniger wahr. Die Situation zwischen Russland und dem Westen ist auch deshalb so verfahren, weil es zu wenig Austausch zwischen den Menschen gibt. Das macht es leichter, Feindbilder aufzubauen und zu verfestigen – auf beiden Seiten.
    Wer nach Russland reist und mit den Menschen spricht, wird schnell begreifen: Es sind nicht DIE Russen, die die Beziehungen immer weiter verschlechtert, es ist die Regierung.
    Fans schauen nach links und rechts, sie können goldene Kuppeln bewundern, die für die WM herausgeputzten Fassaden und Cafés, aber auch die Wohnverhältnisse abseits der touristischen Routen anschauen. Sie können in den Provinzstädten einfach mal in einen Außenbezirk fahren, und vielleicht hat der eine oder andere ja auch eine kritische Reiselektüre dabei. So eine WM bietet die Chance, das Gespräch zu finden und auch mal die Frage zu stellen, wie es um die Demokratie bestellt ist, um das Bildungssystem, um die Gesundheitsversorgung? Schauen Sie hin!
    Sie meinen, das ist ein frommer Wunsch? Wahrscheinlich. Einmal mehr zeigt sich: Es wäre am besten, sportliche Großereignisse gar nicht erst an Autokratien zu vergeben. Ein Boykott aber ist keine Lösung.